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03. Januar 2006

 

Gott gibt den Wind - wir setzen die Segel

Dag Hammarskjöld

 

Kursänderung? Vielleicht. Mit der selben Mischung von Spontaneität, rationaler Überlegung und entschlossenem Handeln, mit der wir 2002 die Voraussetzungen für unsere Fahrt über´s Meer geschaffen und deren Resultat wir ab 2003 dann mit Lust und Liebe genossen haben, könnte unser "Seeleben" - zumindest in der bisherigen Form - nun auch sein Ende finden. Es geht einfach um den richtigen Zeitpunkt, und für den heißt es offen zu sein. Auf dem Meer, wie im "richtigen Leben". Ein gutes Thema zu Jahresanfang:

 

Wir hatten und haben Pläne. Pläne sind immer gut, das heißt, es ist immer gut, eine Idee von der eigenen Zukunft zu entwickeln, in die die eigenen Wünsche und rationale Erwägungen eingearbeitet und in der diese sinnvoll miteinander verbunden sind. So haben wir in den letzten drei Jahren unsere Kurse geplant und abgesteckt. Das Meer, die Winde, die Beschaffenheit der Anlegeplätze und nicht zuletzt die möglichst realistische Einschätzung unseres Könnens gaben unseren Überlegungen und Zielen dann immer wieder Impulse, die berücksichtigt werden wollten. Das führte oft zu sehr reizvollen Resultaten, manchmal wurde es auch etwas anstrengend, meist war es eine Mischung aus beidem. Aber immer galt es, alle Faktoren, die für den geglückten Verlauf eines Törns wichtig waren, zu berücksichtigen. Wir haben zu oft erlebt, wie es Crews erging, die diese im Grunde simple "Weisheit" außer Acht ließen. Im "günstigsten" Fall mit dem Resultat, dass sie abends "grün und blau" in den Hafen einliefen, zerstritten, abgekämpft und mit beschädigten Booten, ab und zu auch eine gerade noch glimpflich abgelaufene Havarie. Und fast jedes Jahr geht durch die "Seglergemeinde" die Nachricht von irgendeiner Crew, die als verschollen gemeldet wird.

 

 

Eine wichtige Erfahrung unserer Seglerjahre war, immer wieder beherzt etwas zu wagen - aber nichts erzwingen zu wollen. Stand der Wind gut für unsere Ziele, sind wir spontan aufgebrochen, sah etwas bedenklich aus, haben wir gewartet, einige Male kehrten wir sogar wenige Meter oder Meilen nach dem Start wieder um zu unserem sicheren Platz im Hafen, wenn sich die Verhältnisse "draußen" ungünstig zeigten oder entwickelten. Unsere Törns waren eine tägliche Übung darin, geduldig zu sein, Chancen und Risiken einzuschätzen und abzuwägen und gegebenenfalls entschlossen auszulaufen und die Resultate unserer (möglichst sorgfältigen) Planungen zu einem möglichst genuss- und erlebnisreichen Törn zu nutzen. Natürlich gehört stets das "berühmte Quentchen Glück" dazu - aber es sollte eben wirklich nur ein Quentchen von Nöten sein. Wer sein Glück mutwillig "versucht", wird zum "Gambler". Die englische Sprache unterscheidet da, im Gegensatz zum Deutschen, das nur den "Spieler" kennt,  sehr fein: der "Player", der sich an Regeln hält, Fairness übt und aus einer überlegten Souveränität heraus agiert und demgegenüber der "Gambler", der Hasardeur, der mutwillig gegen Regeln verstößt, Tatsachen und Risiken ignoriert, Mut mit Mutwillen und Spontaneität mit Leichtsinn verwechselt. (ich habe zu diesem Thema schon vor einiger Zeit ein Motiv innerhalb der Serie "Schachparabeln" gemalt)

 

 

Wir haben in den letzten Jahren stets versucht, unsere Fahrten über´s Meer als "Player" zu gestalten. In manchen Fällen half uns dann zusätzlich das Glück und wo wir "Pech" hatten, konnten wir uns immer auch ein wenig "an die eigene Nase fassen". Nicht zuletzt bei unserer Überfahrt zur Insel Serifos, bei der uns ein Sturm von 9 Beaufort und Wellen von nahezu 3 Metern Höhe kräftig durchschüttelten: zwischen den Inseln Sifnos und Serifos war zwar ruhiges Wetter angesagt, aber um die Südspitze des Pelepones strömten kräftige Ablenkungen eines Starkwindgebietes über dem Südionischen Meer in die Ägäis ein. Und das in einer meteorologisch gesehen relativ kurzen Distanz. Eine geringfügige Verschiebung dieser Strömung nach Norden, dazu die dann entstehende Düse zwischen den Inseln - im Rückblick war es absehbar: bereits beim Start von der Insel Antiparos hatten wir festgestellt, dass die Winde stärker waren als vorhergesagt, wir hätten anhand unserer exzellenten Wetterkarten daraus schließen können, dass sich die "ionische Strömung" etwas weiter nach Nord verlagert hatte und was das für die Fahrt zwischen den Inseln bedeuten könnte. Im Nachhinein besehen eine Fehleinschätzung der Wetterentwicklungen, die ich mir bei der nochmaligen Analyse der im Computer gespeicherten Wetterkarten selbst zuschreiben musste. Unser "Glück" bestand darin, dass wir mittlerweile auf einigen Tausend Seemeilen mit unserer Unity doch einige Erfahrung gesammelt haben und unser Schiff recht "stäbig" und seetüchtig gebaut ist. So war dieses Abenteuer zwar etwas anstrengend - aber zu keinem Zeitpunkt gefährlich. Ich habe bereits in einem früheren Logbuch darüber geschrieben, dass mir (und anderen) das Meer immer wieder die Achtung vor einer allumfassenden Kraft nahe legt, die jenseits unserer Kalkulationen und Erwägungen agiert, deren Ursprung wir kaum nachvollziehen und die wir schon gar nicht steuern können und angesichts derer ich es als unabdingbar erachte, ihre Gesetze, wenn auch nur ansatzweise, zu verstehen und zu beachten. Ob auf dem Meer oder im übertragenen Sinn in der Politik, der Wirtschaft, bei gesellschaftlichen Entwicklungen oder unserer ganz persönlichen Lebensgestaltung. Nur weil manche Menschen die Metapher "Gott" aus ihren Überlegungen gestrichen zu haben scheinen, beeinflussen die Kräfte, für die diese Metapher steht, doch nach wie vor jeden Bereich unseres Lebens.

 

 

"Gott" ist ganz sicher nicht tot. Wir scheinen "ihn" nur immer schlechter verstehen zu können. Sei es aus Ignoranz, Überforderung, Arroganz oder Hybris. Vielleicht auch nur wegen eines kleinen "Übersetzungsfehlers" von Seiten mancher "Meinungsführer". Wie mein kleiner Fehler bei der Interpretation der Wetterkarten kann sich jedoch bei näherem Hinsehen eigentlich kein Beobachter oder Betroffener darüber beklagen, wenn das metaphorische Schifflein dann plötzlich in raue Gewässer segelt. "Wie konnte "Gott" das zulassen?" Papperlapapp und Schaberlaber. Ein winziges Beispiel, zwei Tagesanfänge: Der eine Mensch stellt den Wecker auf "fünf vor zwölf", hechtet aus dem Bett, stürzt einen Kaffee hinunter und drängelt sich hektisch durch den Berufsverkehr seiner Arbeit entgegen - möglichst noch unter Vollbeschallung aus dem Autoradio um Seele und Geist auf "Betriebstempo" hochzujagen. Der andere nimmt sich eine Stunde mehr Zeit, beginnt den Tag in Ruhe, vielleicht gar mit einer stillen Meditation (wer mag, kann das auch "Gebet" nennen) und blickt dem Tag mit gelassener Konzentration entgegen. Wer von den beiden wird einen souveräneren Einstieg in den Tag erleben? Wenn jemand eine Bergwanderung mit rasch zusammengeklaubter Ausrüstung in Angriff nimmt oder einen Segeltörn ohne Wetter- und Navigationsplanung beginnt, ist der Fehler offensichtlicher. Der Einstieg in einen aktiven Tag mit dem sprichwörtlichen "Kissenabdruck im Gesicht" ist jedoch nichts anderes. Der Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit oder Fehleinschätzungen und Irrtümer während des Tages werden dann jedoch oft einem nebulösen "Pech", Mängeln irgendeines "Systems" oder gar den (vermeintlichen?) Fehlern anderer Menschen zugeschrieben.

 

 

Nun kommt uns also vielleicht ein "neuer Wind" in unserer Lebensplanung entgegen. Vor drei Jahren hatten wir beide das Gefühl, dass nach über zwanzig engagierten, spannenden Arbeitsjahren ein (vorübergehendes) "Innehalten" die richtige Entscheidung sei. Der "Wind" unserer Lebensbedingungen stand günstig für diese Entscheidung. Zuerst jedoch musste ich erkennen, dass dieser Wind, der mich bis dahin freundlich auf einem anderen Kurs unterstützt hatte, mittlerweile gedreht hatte und ein Beharren auf dem bisherigen Kurs nur eine Verschwendung von Zeit, Kraft und Kapital bedeutet hätte. Es hat im Vorfeld viel Zeit, viele Anregungen aus verschiedensten Quellen und viel Nachdenken darüber gebraucht, damit damals dann die sinnvollen Schritte bedacht und mit Neugier und Engagement eingeleitet werden konnten. Vielleicht ist an dem Text "Abschied", der in jener Zeit entstand, ein wenig abzulesen, dass diese Schritte nicht hektisch und überstürzt erfolgten, auch wenn die äußeren Umstände sich zuweilen durchaus dynamisch gestalteten.

 

 

Nun scheint sich also erneut der Wind unserer Lebensbedingungen mit allen Chancen und Möglichkeiten zu drehen. Eigentlich hatten wir unsere Pläne: Während eines weiteren Sommers die Unity über Italien, Frankreich und die Binnenwasserstraßen nach Norden zu bringen und dort dann auch einen neuen Lebensmittelpunkt aufzubauen. Vielleicht steht jedoch nun der Wind in eine ganz andere Richtung. Ich bekam ein reizvolles Angebot zur Zusammenarbeit mit einem Verlag im Süden, Elisabeth entdeckte eine spannende Aufgabe noch etwas weiter südlich. Dann könnte die Unity "plötzlich" Kurs auf Kroatien nehmen, weil das vom südlichen Teil Mitteleuropas aus besser erreichbar ist. "Tragen" die sich abzeichnenden Winde den "Törn" der nächsten Jahre? Ist das nun eine stabile "Großwetterlage", der wir uns anvertrauen können oder nur eine instabile Thermik? Die neuen Ziele, die sich mit den derzeitigen "Winden" ergeben würden, sind immerhin so interessant und reizvoll, dass wir die "Wetterlage" und andere Bedingungen mit großem Interesse erforschen. Noch sind wir im "Hafen" der bestehenden (absolut nicht unangenehmen) Bedingungen. Wohin werden wir in einigen Wochen nicht nur den Bug der "Unity", sondern vielleicht auch unsere weitere Lebensentwicklung ausrichten? Wir werden den Wind so nehmen wie er kommt (unsere Elterngeneration nannte das noch "aus Gottes Hand") und dann beherzt "Segel setzen". In Seglerkreisen kursiert der ironische Satz: "Es gibt kein schlechtes Wetter - nur die falsche Kleidung." Die Erfahrungen aus fünfzig oft spannenden und bewegten Lebensjahren und nicht zuletzt aus den vergangenen drei Jahren auf dem Meer haben mich gelehrt, dass es auch keinen "falschen" Wind gibt. Es gibt (auch im übertragenen Sinn) Wetterentwicklungen, deren Hintergründe man studieren und deren mannigfaltigen Äußerungen man Rechnung tragen sollte. Wenn dann die richtigen Segel gesetzt werden, wird es ein wunderbarer Törn. Welcher Wind wird der "richtige" sein? Wohin werden wir die Fahrt der kommenden Monate und Jahre ausrichten? Elisabeth und ich haben uns als Text für unsere Trauung gewählt: "Ist Gott für uns - wer mag wider uns sein?". In dieser Überlegung "steckt" eigentlich alles: wenn wir bereit sind, dem "Wind" zuzuhören, wird er mit anstatt gegen uns sein und es wird ein guter "Törn" werden. Wenn wir zum falschen Zeitpunkt in die falsche Richtung segeln wollen, wird es ein mühevolles "Gegenan-Motoren". Wir studieren zur Zeit im metaphorischen Sinne "Wetterentwicklung, Karten und Hafenpläne" - und es ist schon wieder mindestens so spannend, wie es das während der letzten drei Sommer auf See war....

 

 

"Gott gibt den Wind...." - wir freuen uns darauf, wieder beherzt unsere Segel zu setzen. Und wohin auch immer unsere Reise gehen wird - "Glaube, Liebe und Hoffnung" werden auch weiterhin mit an Bord sein.

 

 

Allen Lesern dieses Logbuchs wünschen wir für das anbrechende Jahr "freundliche Winde" und die Klugheit, sie in der richtigen Weise für sich zu nutzen.