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Verkaufen, verschenken, wegwerfen

Es gibt keinen Tod. Es gibt nur die Angst vor dem Tod. Und die kann man heilen. (Heidegger)

Dass vom Leben nur Staub übrigbleibt, haben bereits ganze Nonkonformistenheere romantischer Lyriker beschrieben und weil es als Metapher so schön aussieht, durfte der Wind diesen Staub dann in alle Richtungen wehen – "... we are dust in the wind, everything is dust in the wind ...". Ich muss nur niesen. Überall graubraune Wolken. Unter und auf den Schränken, in und auf den Büchern, hinter´m Fernseher. Hätte ich meine Putzfrau vor wenigen Jahren doch nicht kündigen sollen? Oder bringen dreihundert Quadratmeter mit mehreren tausend Büchern, Bücherschränken, Schallplatten, Regalen, Sofas, Sesseln, Schreib-, Arbeits-, Zeichentischen und Bergen von Papier das einfach mit sich?

Meine Existenz, die bei ihrer Auflösung in Staub zu zerfallen scheint. Und plötzlich will ich alles, aus dem dieser Staub heraus und herab rieselt, nicht mehr haben. Verkaufen, verschenken, wegwerfen. Weg.

Ab und zu flattern Erinnerungen vorbei, während ich etwas unschlüssig in der Hand drehe. Oft eher kleine, unscheinbare Dinge. Verschenken? Verkaufen? Wegwerfen? Bin ich das in den Erinnerungen? Ist der Gegenstand, den ich in der Hand halte die Erinnerung? Funktioniert die Erinnerung auch ohne den Gegenstand? Funktioniere ich ohne den Gegenstand, oder gar ohne die Erinnerung? Bin ich heute noch der, an den ich mich erinnere? Will ich, kann ich der noch sein?

Wie ein feiner DauerTon schleicht sich Angst ein, dass es mich nicht mehr gibt ohne die Dinge. Dass ich wirklich verschwinde wie der Staub, der um mich herum wirbelt. Das Haus, der Garten, meine Bücher, Möbel, Noten, Bilder. Das Haus ist verkauft, der Garten auch und da wo ich hingehe, ist kein Platz für die Dinge. Also bleiben nicht die Dinge übrig, sondern die Erfordernis, sie loszuwerden.

Staub. Ich werfe weg, verkaufe, verschenke. Ich will nicht gewesen sein, wie die Dinge, ich will sein. Vielleicht erinnere ich mich später hin und wieder. Nicht an die Dinge. Aber vielleicht an Situationen, aus denen sie stammen. An Menschen, mit denen ich diese Situationen erlebt habe. An mich selbst – und das ist das Schwierigste. Weil ich der ja gar nicht mehr bin. Weil sich in mir etwas gewandelt hat, gewachsen ist, das damals noch gar nicht da war.

Im Lauf weniger Jahre erneuern sich die Zellen unseres Körpers fast komplett. Sie erhalten die Information, wie sie sich erneuern sollen, von den alten Zellen und sie nehmen neue Einflüsse auf, nach denen sie sich ausbilden. So heilen Narben und so entsteht Krebs. Ich überlege, wie viel jetzt noch wichtige Erinnerung in meinem Haus und in den Dingen steckt und komme mir plötzlich so nackt vor, wie wenn ich ohne Hemd im Winter auf einem kahlen Feld stehen würde. Bekommt meine Seele jetzt Krebs, weil sie nicht mehr durch die Dinge und ihre Erinnerungen geschützt ist?

Aber sie ist doch kein Ding. Vielleicht grade deshalb aber braucht sie die Dinge. Oder es wird sehr wichtig, ob die Erinnerungen auch ohne die Dinge funktionieren. Ob sie mich auch ohne Hilfsmittel schützen? Schützen mich die Erinnerungen überhaupt? Es gibt so viele schmerzliche, peinliche, enttäuschte. Also ist es besser, die Erinnerungen zusammen mit den Dingen wegzuwerfen? Aber was bin ich ohne die Erinnerungen? Ein seelischer Kaspar Hauser? An was werde, an was will ich mich überhaupt noch erinnern? Ich will SEIN. Jetzt.

Und während ich zwischen den Dingen stehe, die ich nicht mehr haben will, in dem Haus, in dem ich nicht mehr wohnen werde, weiß ich, dass ich nichts verlieren werde, solange ich mir meiner selbst bewusst bin. Weil alles in den Zellen meiner Seele gespeichert ist. Nicht alles als Erinnerung. Viel wichtiger: Als Erfahrung. Die Erinnerungen, die für die Erfahrung wichtig waren, werden bleiben. Und Erfahrung ist das "leichte Gepäck", das uns erlaubt, uns von den Dingen zu befreien, ohne uns selbst zu verlieren – und weiter zu gehen. Zu neuen Dingen, neuen Erlebnissen, die zu Erinnerungen und Erfahrungen werden.

Ich klopfe mir den Staub ab und arbeite weiter. Heiter, gelassen. Und erinnere mich ein wenig, während die Dinge durch meine Hände gehen.

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Die Jahreszeiten des Lebens

Ein Plädoyer für Gottvertrauen

Es gibt Zeitqualitäten. Zeitabschnitte, mit eigener Charakteristik, eigenem komplexem Wesen, unverwechselbar wie Persönlichkeiten. Einziger Unterschied: Weil sie ein Verlauf in der Zeit sind, stehen sie nicht vor uns wie eine Person, sondern entwickeln sich ähnlich dem Prozess einer Sinuskurve. Wer dies bestreiten wollte, würde sich dem Verdacht aussetzen, ohne Wahrnehmungsvermögen durch die Welt und sein eigenes (Er-) Leben zu gehen. Man kann das Kommen dieser größeren und kleineren Zeitabschnitte fühlen, wie das Jucken einer Narbe vor dem Nahen einer Schlechtwetterfront oder diesen ganz bestimmten Geruch nach Staub und elektrischer Ladung in der Stille vor einem Gewittersturm oder den Geruch nach Schnee, lange bevor die ersten Flocken fallen. - Wenn man noch riechen, hören und fühlen kann in den aktuellen Zeiten, in denen Sensibilität eher als Behinderung denn als Fähigkeit gewertet wird.

Heute bin ich dabei, weiter zu gehen. Aus meinem Haus, zumindest vorerst auch aus "meiner" Stadt, "meinem" Land (und doch fühle ich mich durch Erkenntnis und Wohlwollen Vielem näher als je zuvor). Das Aufbrechen dauert bereits einige Jahre, ist aber zur jetzt deutlicher sichtbaren Zeitqualität zu rechnen, so wie das Schließen der Fenster, wenn wir das Nahen des Gewitters riechen, lange bevor das Gewitter anfängt. Vor sieben Jahren habe ich in der Ausstellung "Wir Engel" mit Bildern und Texten erzählt, was es braucht, um die "Jahreszeiten des Lebens", so ein Bildtitel, zu erkennen und zu leben. Ohne alle Konsequenzen zu ahnen, begann ich damals, aufzubrechen. Philosophie und Mystik wurden wichtiger. Und Beweglichkeit. Im Internet forschte ich nach neuen Ideen, tauschte mich mit Menschen rund um den Erdball aus. In einem Wohnmobil lernte ich, unterwegs zu Hause zu sein, zu arbeiten und ich fand darin wieder eine meiner tiefsten Sehnsüchte seit meiner frühesten Kindheit. Reisend entstanden Bilderserien und Texte, Menschen und Orte wurden besucht. Der Zugang zu vorübergehend begrabenen Leidenschaften wurde wiedergefunden: Das Reisen auf dem Wasser, in der unnachahmlichen Weite des Meers, wurde wiederentdeckt, das Segeln, auch als mentales Exerzitium, erlernt und geübt.

Mit den "Engeln" kam, wohl nicht von ungefähr, auch Elisabeth. Wie BallettTänzer haben wir seitdem unseren "Pas de Deux" mit Sorgfalt, Selbstkritik, Liebe und Irrungen geübt. Im Täglichen, beim Reisen, beim Segeln.

Und jetzt die Entschlüsse, die Ausführung. Entschieden und ohne Zögern - die Zeitqualität war ja lange zuvor gespürt worden, die Vorbereitungen waren, ohne zu wissen, wohin genau es von Schritt zu Schritt gehen sollte, getroffen worden. Immer im Vertrauen auf die Zeichen, die das Leben erkennen und fühlen ließ. Jetzt, so wie mit schnellen, sicheren Strichen ein längst eingeübtes Bild auf´s Papier geworfen wird, das Haus und alles, was sich darin angesammelt hat, verkaufen, die Malerexistenz in ihrer bisherigen Form abschließen, Elisabeth heiraten, ein Schiff kaufen. Die Kulmination vieler auf einen anfangs noch undeutlichen Punkt zulaufender Entwicklungen.

Geht das so einfach? – Die immer wiederkehrende Frage, die auf Pragmatisches zielt und doch nur weit hinter den Offensichtlichkeiten beantwortet werden kann. Nein, "so einfach" geht sicher nichts. Es will Wissen und Erleben zu Erfahrung werden, vielleicht zu gelassener Klugheit und vorsichtiger Intuition für die leise aber grundlegende Weisheit hinter allem lauten Schein. Beherztes Tun im bewussten "Sich-führen-lassen" will geübt werden. Wer führt? Die "Jahreszeiten des Lebens", mithin das Leben selbst, das eigene kleine und das "Größere Ganze" in dem das eigene eingebunden ist. Unsere Kultur hat das "Gott" genannt.

Elisabeth und ich haben für unsere Hochzeit, mit der unser gemeinsames Leben, Reisen und Arbeiten eine gesellschaftlich sichtbare Bestätigung bekam, das Zitat gewählt: "Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?". Einer der stolzesten Sätze biblischer Weisheitslehren. Wir haben es gewagt, ihn für uns zu reklamieren, weil wir seinen metaphorischen Wahrheitsgehalt bereits ganz real in vielen Situationen erlebt haben, gerade in der anstehenden Zeit greifbar erleben und weil er uns in Zukunft an alle guten Erfahrungen, bei denen "Gott für uns" war, erinnern soll. Als Mahnung, gelassen die "Jahreszeiten des Lebens" anzunehmen und offen für ihre Zeichen zu sein, als Ermutigung, dies auch in Zukunft zur Grundlage unseres Handelns und Strebens zu machen. Denn

"...denen, die "Gott" lieben, dienen alle Dinge zum Besten."

Oder (für alle, die sich an der "Gottes-Metapher" reiben), etwas "profaner" mit den Worten meines "Lieblings-Existentialisten": "Das Leben ist wie eine Frau, mit der du an eine einsame Insel gespült wirst: Wenn du sie, so wie ihr nun mal seid, ehrlich und von Herzen lieben lernst, ist es der Himmel, wenn nicht – die Hölle."

 

Im Juni 2002 haben Elisabeth und ich standesamtlich und kirchlich geheiratet. Ab Mai 2003 leben und arbeiten wir auf der MotorSegelYacht "UNITY", vorläufig im Mittelmeerraum (Ionische See).