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04. Februar 2006, irgendwo in Deutschland

 

 

Es gerät zur mentalen Übung, sich frei zu fühlen. Ohne Meer vor einem Hafen, in dem unser Schiff, leise an seinen Leinen schwoiend geduldig darauf wartet, wieder auszulaufen. Wohin auch immer - Hauptsache: ins Weite. Wir machen tägliche Spaziergänge in die Umgebung des "Nördlinger Ries". Diese platte Fläche, Kratergrund eines urzeitlichen Kometeneinschlags mit den rings im Kreis aufgetürmten Kraterrändern, in Tausenden von Jahren zu einer sanft gerundeten Hügelkette erodiert. Fruchtbares Land, dörfliche Idylle und wenigstens ein Hauch von Weite.

Wir haben die Perspektiven getauscht: Statt neuen nautischen Zielen nehmen wir berufliche Möglichkeiten ins Visier, das Tätigkeitsspektrum ähnlich strukturiert wie bei einem längeren oder kürzeren Aufenthalt mit dem Schiff: Warten auf "günstige Winde" (die "Wetterprognosen" scheinen positiv), Werkeln an Vorbereitungen, um gegebenenfalls unverzüglich "in See stechen" zu können.

 

 

Mein Lieblingsplatz bleibt einstweilen das Wohnmobil im Hof des schwiegerelterlichen Anwesens. Alles griffbereit für die Arbeit und da ich mir nach den Feiertagen eine Diät verordnet habe, wird hier auch gekocht. Hohes diplomatisches Geschick war gefordert, um Elisabeths "Muddi" dieses Zugeständnis abzuringen. Nach all den guten Braten, Spätzle, Aufläufen und Knödeln, mit denen sie während der Feiertage meinen Hüften eine wohlige Polsterung angekocht hat. Befremdet registriert Muddi die in ihren Augen nachgerade obszönen Mengen an Salat und Gemüse, die im Wohnmobil auf Nimmerwiedersehen verschwinden, ergo offensichtlich vertilgt werden. Es beruhigt sie immerhin, wenn ich mir gelegentlich auf dem ungewohnten Induktionsherd in ihrer Küche  eine zart gebrutzelte Putenbrust oder ein Seefisch-Filet zubereite - aber in Olivenöl! Keine Butter, kein Schmalz. Das ist doch nichts "Rechts".... Ich registriere einstweilen schmunzelnd den Raumgewinn innerhalb meiner Hosenbünde und richte Salatherzen mit einer Soße aus Kräutern und Hüttenkäse an. Köstlich!

 

 

Wie unser Schiff ist auch das Wohnmobil "allzeit bereit". Fünf Minuten und der Wassertank ist nachgefüllt, alle Gegenstände gegen Stürze gesichert, der Isoliermantel vor den Fenstern der Fahrerkabine entfernt. Der Diesel darf noch ein paar Minuten warm laufen, dann sind wir "on the raod again". Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf heißen die Koordinaten, die wir über das Autobahnnetz ansteuern. Schmerzlich vermisst werden allerdings Segel und Autopilot. Dafür spielt das Wetter kaum eine Rolle, die zurückgelegten Distanzen wären mit dem Schiff nicht so schnell zu meistern und man kann mal kurz "rechts ranfahren" um zur Mittagspause etwas zu kochen (und in aller Ruhe zu verzehren), um mit Pia spazieren zu gehen oder irgendwo ein lauschiges Plätzchen für die Nacht zu finden - ohne Anlegemanöver, drängelnde Stegnachbarn und "Port Authority". Es hat eben auch in diesem Fall alles seine Vor- und Nachteile.

 

 

In Stuttgart beobachten wir die Leuchtfeuer der Medien- und KonsumKultur. Multikulti Neujahrswünsche vom Warenhaus ans globale Dorf, Neonilluminationen am Kunsttempel und ganz zentral das unlängst gelandete UFO des Weltfußballs - "managed by Schenker-Logistics". Die Andachtsstätten der säkularisierten Ersatzreligionen schmücken sich in pompösem Licht-Design - tagsüber ist der Talmi dann wieder schlichter Profanität gewichen. Das StaatsTheater stellt demgegenüber unverdrossen die staatstragende Sinnfrage (u.). Elisabeth beantwortet diese vorübergehend mit der Freude am neuesten HighTec-Fetisch, einer superflachen DigitalCamera für´s Handtäschchen - Glück durch Klick?

 

 

Ich übe nebenbei ein paar Motive für ein Aquarell-Bastel-Buch. Einfacher, Herr Weisenberger, v_i_e_l einfacher! sagt der Verlag. Und "frische Farben!". Da hat man nun über zwanzig Jahre hinweg einen hoch komplexen Technik-Mix zu einem eigenen Stil entwickelt und dann so was.

 

 

Ich nehm´s mal als Herausforderung: Die Generierung eines "Instant Karma" für hoffnungsfrohe Mal-Eleven - oder so ...

 

 

Dann "International Boat Fair Duesseldorf". Ein paar fällige Kleinigkeiten für Wartung und Pflege der Unity werden mit Messerabatt geordert, ein paar Fachsimpeleien vom Zaun der Messestände gebrochen. Eigentlich tun uns nun bereits die Füße weh. Aber wenn wir schon mal da sind ...

 

 

Das in GFK gegossene und mit reichlich Edelstahl applizierte Imponiergehabe sagt uns wenig. Die Besprechungs-"Lounge" ganz in Schwarz (oben Mitte) wirkt wie der Empfangsraum eines riesigen Bestattungsunternehmens. Zur Bestattung fällig sind ja gegebenenfalls auch Millionenbeträge, die ohne Not in den zwei- bis dreistelligen Bereich lappen. Bleibt als Fazit: Das einzige Bootsmodell der Messe, von dem wir träumen könnten (Nauticat33), befindet sich bereits in unserem Besitz und wurde in den letzten Jahren wahrscheinlich ausgiebiger von uns bewegt, als das der Mehrzahl der Mega-Skipper je möglich sein wird - zuweilen braucht es eben doch etwas Zeit, die erforderlichen Millionen irgendwie zu beschaffen (wenn schon nicht zu verdienen). Nimm dir, was du willst, sprach Gott, - und bezahle dafür...  Bedenklich war uns noch die Beobachtung, dass die neueste Version unserer Nauticat einen metallbeschlagenen Rammschutz hat, wo unser Modell noch ringsum eine dicke Gummileiste aufweist. Wer weiß, wie es zuweilen in überfüllten Häfen zugeht, kann diese Entwicklung nur als "asozial" bewerten. Mit seemannschaftlicher Umsicht und Sorgfalt bei der Handhabung des Bootes hat das jedenfalls nichts mehr zu tun.

 

 

Ab nach Frankfurt, noch ne Messe: "Paperworld". "Alles für Ihre Kreativität!". Wenn ich bedenke, dass ich mein erwachendes Talent vor vierzig Jahren mit Werbebleistiften auf der Innenseite aufgeschlitzter Briefumschläge aus Papas Papierkorb entwickelte und die ersten hundert Bilder bis zum "Weltruhm" mit einem Hobbymalkästchen in der Größe einer Zigarettenschachtel entstanden sind, schleiche ich wie ein Outlaw durch die Hallen und inspiziere kostbarst geschnitzte Pinselstile und auf Hochglanz polierte Malkästen aus Edelholz in der Größe eines kleineren "Samsonite"-Reisekoffers. Ein Halb-Akt wird "live" zelebriert, nebenbei nehme ich wieder einmal die wohlbekannte Atmosphäre des Messezentrums mit gemischten Gefühlen in Augenschein. Vor vielen Jahren hab ich hier auch mal was gemalt. Kein Akt - trotzdem berichten mir die letzten Veteranen des Handelswesens, die aus jener Zeit noch "im Geschäft" sind, ganz stolz, dass meine Studien noch immer bei ihnen in Ehren gehalten werden. Hab ich nun trotzdem oder gerade deshalb etwas fossile Gefühle?

Zurück ins "Ries", "Muddi" feiert am Wochenende Geburtstag. Elisabeth wird in ihrer Eigenschaft als Profimusikerin gebraucht um die Schar ihrer Geschwister beim Geburtstagskonzert in der Dorfkirche anzuführen:

 

 

Vor vielen Jahren erspielten sich "die Sieben" sogar gemeinsam einen 2. Platz bei "Jugend musiziert" - das ist noch immer gut hörbar und später gibt es daher auch noch einmal ausgiebig Hausmusik. Ich hielt mich auf der Seite des Auditoriums und meditierte gerührt darüber, wie stolz sich Eltern wohl fühlen mögen, wenn ihnen zum Ehrentag sieben fröhliche Menschen ein Konzert geben - und alle sind seit der ersten Windel durch ihre liebevolle Fürsorge und Förderung prächtig gediehen ....

 

 

An diesem besonderen Tag muss ich natürlich Muddi zuliebe meine Diät (s.o.) unterbrechen - alles andere wäre ein unakzeptabler Affront. Als am Nachmittag jedoch zwei aneinander gestellte Tische fast unter der geballten Wucht kaloriengeschwängerter Sahnetorten niederbrechen, fühle ich mich unmittelbar alleine vom Anblick der Pracht um mehrere Pfunde schwerer werden. Bis zum Glück noch ein Himbeerkuchen ganz verschämt am Rande platziert wird. Unter achtsamer Umgehung der unweit davon platzierten Schlagsahne rette ich so meine Kalorienbilanz wenigstens noch auf ein glimpfliches Level.

 

 

Immer, wenn wir hier wieder einmal einfallen grüßt das "Alte Europa" mit der historischen Handels- und Handwerkerstadt Nördlingen und dem von protestantischer Geisteshaltung geprägten Umland. Von den aktuellen Seelenk(r)ämpfen zwischen säkularisiertem Liberalismus und demgegenüber religiösem Fanatismus scheint es so gänzlich unberührt. "Bet´ und arbeit´" heißt die Devise und alle scheinen überzeugt davon, dass, täten´s "die anderen" auch so halten, die Welt ein bissel besser aussehen würde. Man ist fast geneigt, es zu glauben. Vom Glauben kommen wir ja ohnehin nicht weg: Seit über zehn Jahren entwickelt und diskutiert die Wissenschaft die superelegante "String"-Theorie. Ergebnis: auch wenn alles ganz plausibel klingt, "verifizierbar" ist es leider nicht. Die heilige Kuh der Wissenschaft hat damit wieder einmal ihr Gatter gefunden, über das sie kein noch so kühner Reiter hinwegstemmen könnte. Aber glauben, nein glauben tun wir nichts. Da wird eher ein ganzer Wissenschaftszweig gekippt - die Erde bleibt eine Scheibe.....

 

 

Das Letzte: da nun auch wieder TV-Nachrichten und Magazine in deutscher Sprache empfangen werden können, hab ich mir einen winzigen Schwarz-/Weiß- Fernseher auf den Schreibtisch im Wohnmobil hinter den Computer gestellt, um kurz bei ZDF oder ARD vorbei schauen zu können (Vaddi kuckt immer Bayern3). Versehendlich kam ich so auch in den Genuss eines Interviews zweier "Tele Novela"- Schauspieler. Wird da wirklich niemandem außer mir kotzübel?