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Livadia, Insel Serifos, 21. September 2005

 

.... und eine Stimme sprach zu mir: "Kopf hoch, hab Mut, es könnte alles viel schlimmer sein!" Ich hob mein Haupt, fasste Mut - und alles wurde noch viel schlimmer.... Wir hatten von erfahrenen Seglern gehört, dass es Tage auf See gibt, an denen man sich schwört, dass man, sollte man jemals doch noch mit heiler Haut einen Hafen erreichen, nie wieder den Fuß auf ein Segelboot setzen werde. Wir dachten, dass uns das bei unseren sorgfältigen Törnplanungen nie passieren würde. Denkste..... Aber - der Reihe nach:

 

Wir hatten es satt. Alle Mosaiken auf den Ausgrabungsfeldern von Kos entdeckt, zum zwanzigsten Mal der dekorativen Angestellten der Hafenverwaltung so unverbindlich zugelächelt, dass es meinem Status als liebendem Ehemann gerecht wurde, das fünfhunderste Tatoo vorbeiwandern gesehen (Kos weist nach unserer Beobachtung eine extrem hohe Dichte tätowierter Menschen auf, was vielleicht ein wenig auf die soziale Herkunft des durchschnittlichen Kosbesuchers schließen lässt...), zum vierzigsten Mal von sichtlich erfreuten (aber uns gänzlich unbekannten) deutschen Touristen begrüßt worden mit Feinsinn im Stile "Na, seid ihr auch da...?" (dies vorzugsweise, wenn wir grade auf der Heckterrasse speisten und das Essen kalt zu werden drohte), zum siebzigsten Mal An- und Ablegemanöver anderer Yachten beobachtet in der Sorge, unseren Anker ausgerissen zu bekommen (einer schaffte es dann auch und rammte als Dreingabe noch unseren Bug (mit entsprechenden Schäden) bei einem Manöver, das der englische Nachbar auf der anderen Seite der Lücke mit der Bemerkung quittierte, dass "solchen Menschen verboten werden sollte, ein Boot zu besteigen oder gar zu führen"), zum auch schon wieder fünften Mal alle aktuellen Wetterprognosen aus dem Internet geholt, um herauszufinden, wann wir endlich aus dieser Ecke der Ägäis mit fast permanent hohen Wind- und Wellenwerten herauskommen könnten. Am 14. dann: ja - das könnte klappen, gibt aber eine Nachtfahrt - ein schmaler Korridor zwischen der letzten Störung und einem Gewittertief, das ihm laut Vorhersage "auf dem Fuße" folgen sollte. Also liefen wir um fünf Uhr nachmittags aus, während gerade die Armada der Touristengüllets nach ihrer Tagestour sehr dekorativ, geradezu majestätisch unter Segeln dem Hafen zustrebten (Bild oben und unten rechts). Bei uns war leider kein Segeln angesagt: Wind und Welle kamen genau von vorn und das änderte sich dann auch die kompletten 18 Stunden unserer Fahrt nicht: auch wenn wir nach Passieren einer Insel unseren Kurs änderten, tat uns dies der Wind so prompt nach, dass es fast grotesk anmutete - wo wir fuhren, war "gegenan". Aber diese Tour war ja nun auch nicht als Spaßfahrt geplant, also fügten wir uns in die Verhältnisse.

Während wir die Insel Pserimos im Norden von Kos anliefen, zeigte der Himmel bereits die ersten Anzeichen des bevorstehenden Tiefs: die Wolken wurden durch starke Höhenwinde durcheinander gewirbelt (Bild links). Ich hoffte inständig, dass auf unseren Wetterdienst Verlass sei und das Gewitter uns nicht mitten auf der weiten Passage auf offenem Meer erwischte. Nachdem uns die letzte Güllet passiert hatte, war es plötzlich absolut still auf der sonst viel befahrenen Seestraße. So etwas macht uns normaler Weise extrem misstrauisch: war da allgemein etwas bekannt, was wir nicht mitbekommen hatten? Wir schoben die Leere um uns auf den hereinbrechenden Abend und dampften weiterhin tapfer der Nacht entgegen.

Nicht dass unsere Nachtfahrt nun gefährlich gewesen wäre, aber eine komplette Nacht ist einfach anstrengend auf einem Meer, das mitunter doch recht aufgewühlt war (Fotos unten: 1) Welle im Mondschein, 2) Der Mond bei einer Sekunde Belichtung zeigt das allfällige "Gewackel", 3. vom Horizont schleicht sich aus dem Halbdunkel die nächste Welle an, 4) das sind bitteschön alles Farbbilder - es war wirklich rabenschwarz). Das ständige Rauschen, Gurgeln und Plätschern der Wellen und die geheimnisvollen Formen und Schatten, die von den Wellen ringsum im Mondlicht gebildet wurden, macht nachvollziehbar, warum Seefahrer früherer Zeiten sich in einer solchen Situation von Nixen und Ungeheuern umgeben wähnten. Am dunkelsten wurde es in den zwei Stunden zwischen Monduntergang und Sonnenaufgang - kein anderes Schiff in der Nähe, nur schwarze Leere ringsum.
Nicht einmal der Schatten einer Insel konnte als Orientierung dienen - unsere Route ging über´s offene Meer nach Westen. Wir wechselten uns ab bei der Wache, überprüften die Navigation auf dem Kartenplotter, tranken viel Wasser, um uns wach zu halten, verfolgten den Weg passierender Frachter und Fähren auf dem Radar, rauchten ein paar Zigaretten zu viel und begrüßten nach fast 9 Stunden Dunkelheit erleichtert die Morgendämmerung, aus deren Dunst bald nach Sonnenaufgang die schroffe Felsküste an der Nordküste der Insel Amorgos auftauchte. Wir hatten die Meltemi-Rennstrecke ohne allzu unangenehme Zwischenfälle passiert, waren dem "Windloch" Kos glücklich entkommen und fanden, dass sich die Anstrengung dafür gelohnt hatte.

Auf Amorgos konnten wir uns dann im kleinen Hafen von Giali längsseits ans Pier legen und nahmen ein kleineres englisches Boot, das uns freundlicher Weise Platz gemacht hatte, ins "Päckchen". Der Rest des Piers musste auf Anordnung der Port Authority frei bleiben - am Abend bekamen wir wenige Meter hinter unserem Heck noch einen etwas größeren Nachbarn (Bild unten rechts).
Einen Tag machten wir Pause auf Amorgos, um uns von der Nachtfahrt zu erholen. Außerdem hatte bei unserer morgendlichen Annäherung ein Feld von "Linsenwölkchen" in schulbuchtauglicher Ausprägung (Bild unten) das Nahen des vorhergesagten kleinen Tiefs angezeigt.

Am Abend ballten sich dann auch dicke Wolken über den kleinen Felsinselchen vor der Hafenbucht (unten), nachts zeigte dann heftiges Wetterleuchten hinter den Bergen ein schweres Gewitter an und am nächsten Tag genossen wir den ersten Regen seit vielen Wochen.

Für unseren Geschmack, resultierend aus unseren mehrjährigen Beobachtungen der örtlichen Wetterverhältnisse waren wir auf den äußeren Kykladen noch immer zu nahe an der "Meltemistraße". Also machten wir uns am 17. September wieder auf den Weg nach Westen zur Insel Iraklia. Der Wind sollte laut Vorhersage auf Südwest drehen, was für unseren Kurs West-Nord-West eventuell Segeln "hoch am Wind" bedeuten konnte. Die erste Hälfte der Strecke stimmte das auch und wir setzten eine Düse aus Genua und Kutter zusammen mit dem Hauptsegel (rechts). Still unter Segeln über die Weite des Meers zu gleiten ist immer wieder ein besonderer Genuss, der aber in griechischen Gewässern oft nicht allzu lange dauert. So auch in diesem Fall: Die zweite Hälfte der Strecke führte im Zickzack durch eine kleine Inselgruppe vor der Südküste von Naxos.

Also passierten wir innerhalb von zwei Stunden die Inselchen Pano Koufonisi, Keros, Kato Koufonisi und Schinoussa. Eigentlich eine hübsche Strecke. Leider bog unser Weg aber nach jeder Insel um etwa neunzig Grad ab - und der Wind ebenso, das heißt: nach jeder Ecke hatten wir den Wind nun durch die Ablenkung der Inselchen aus einer anderen Richtung - aber immer von vorn. Zum Glück betrug dieser Teil der Strecke nur 10 Seemeilen. Nach sechs Stunden insgesamt doch recht schöner Fahrt über´s Meer liefen wir zuletzt im kleinen Hafen von Iraklia ein.

Ein freundliches holländisches Paar, das offenbar kurz vor uns angekommen war, half uns anzulegen, beim kurzen Gespräch stellte sich heraus, dass sie Freunde der englischen Segler waren, die wir auf Amorgos im Päckchen gehabt hatten - die Seglerwelt ist klein. Auch ein auffällig gelb gestrichenes Boot mit einem freundlichen französisch-/schweizerischen Ehepaar und zwei kleinen Kindern begegnet uns seit dem Sommer letzten Jahres immer wieder in verschiedensten Häfen, was stets mit heftigem Winken gewürdigt wird und hier und da ergibt sich auch ein Austausch über das aktuelle "Woher" und "Wohin". In Iraklion kann man mittlerweile, wie in vielen griechischen Häfen die angenehme Wirkung von Kläranlagen bewundern, die im Laufe der letzten Jahre installiert worden sind: glasklares Wasser - in diesem Fall standen über 5 Meter auf dem Echolot:

Der Wind sollte weiterhin aus freundlich-südwestlicher Richtung wehen, also liefen wir am nächsten Morgen wieder aus in Richtung der Insel Antiparos. Noch einmal ein herrlicher Segeltag, den wir schweren Herzens auf den letzten Meilen abbrachen: die enge Seestraße zwischen den Inseln Antiparos und Paros ist navigatorisch so anspruchsvoll, dass wir sie lieber unter Motor durchliefen. Kurz vor dem Ende kommt der kleine Hafen von Antiparos, der sich als fast gänzlich ungeeignet für Segler präsentierte. Die Stellen des Piers, die nicht zu flach sind, werden von Fähren und Ausflugbooten gebraucht. Ich setzte Elisabeth mit dem Bugkorb vorsichtig an Land, damit sie die Lage sondieren konnte. Danach durften wir freundlicher Weise längsseits "im Päckchen" am Boot der örtlichen Tauchschule festmachen:

Noch immer sollte der Südwest anhalten mit schwachen 1-2 Beaufort Stärke. Also machten wir uns am nächsten Morgen wieder auf den Weg, der zuerst einmal durch den mit Untiefen und Riff-Feldern versetzten Nordteil der Meerenge zwischen Paros und Antiparos führte. Oberflächlich sieht diese Passage völlig harmlos aus, in der Seekarte ist jedoch ersichtlich, dass nur ein wenige Meter breiter Korridor zur Durchfahrt bleibt. Wir hatten den Kartenplotter in unserem Navigations-Laptop bereits verschiedentlich getestet und wussten, dass er unsere Position bis auf wenige Meter exakt anzeigt (Beispiel rechts: von der angezeigten Stelle des kleinen Piers im Hafen von Antiparos starteten wir auch "in echt" - s. Photo oben). Die Abbildung zeigt unsere Schleichfahrt und ein Fischernetz (dunkler Balken, nachträglich eingefügt), das ausgerechnet an der engsten Stelle ausgebracht war... (Untiefen- und Riffgebiete nachträglich rot eingefärbt). Alles funktionierte ansonsten erfreulich präzise, nach einer halben Stunde hatten wir wieder freies Wasser vor dem Bug.

Als weniger präzise erwies sich die Wettervorhersage: statt des vorhergesagten ruhigen Wetters blies es frisch und es hatte sich auch bereits etwas Welle gebildet. Abbiegen in den vom letzten Jahr in guter Erinnerung befindlichen Hafen von Paros? Der Himmel spannte sich strahlend blau über der Szene und wir beschlossen, dass es sich bei den stärkeren Winden um eine lokale Erscheinung handeln müsse. Das erwies sich jedoch nicht viel später als schwerwiegender Irrtum. Zunächst kam der Wind jedoch aus "brauchbarer" Richtung, wir konnten Segel setzen und kamen recht flott voran. Wenige Meilen vor der nördlich zu passierenden Insel Sifnos änderte sich jedoch die Lage: der Wind kam immer mehr und immer stärker von vorn, es baute sich eine immer höhere Welle auf. Die Segel waren längst geborgen, die Maschine auf das Eineinhalbfache unserer üblichen Drehzahl hochgefahren, als wir uns in einer Situation wiederfanden, die wir stets durch sorgfältige Wetterbeobachtung und Törnplanung unbedingt vermeiden wollten: mitten auf dem Meer fetzte uns ein Sturm mit 8-9 Beaufort Stärke um die Ohren und hohe Wellen brausten uns in unablässiger Folge entgegen. Unser Ruderhaus ist 2,50 Meter hoch, gemessen vom Wasserspiegel. Die Wellen um uns waren deutlich höher.....

Wir saßen auf der Backskiste an der "hohen Kante" der Heckterrasse, Pia zu unseren Füßen, wenn sie nicht ab und zu einen Blick rechts und links um die Ecken des Ruderhauses nach vorn riskierte. Immer wieder klatschten in ungünstigem Winkel anlaufende Wellen seitlich gegen das Boot und hämmerten gegen das Ruderhaus. Es war überdeutlich, warum dessen Scheiben aus speziell gehärtetem Glas bestehen (und bei einer Atlantiküberquerung noch zusätzlich verstärkt werden müssen). Bei unseren bisherigen Törns war das Deck unserer Unity außer durch etwas überkommende Gischt stets trocken geblieben, nun tauchte der Bugkorb teilweise tief in die Wellen, was diese umgehend dazu benutzten, das Vordeck der Unity bis zu den Stufen zur Heckterrasse komplett zu überfluten.

Ansonsten machte die Unity ihrem Ruf als Schwerwetterschiff aber alle Ehre, insbesondere durch den Langkiel, der das Schiff relativ ruhig und kursstabil in den Wellen hielt. Auch um unsere Hydrauliksteuerung war ich ganz froh, da sie den Ruderdruck kaum an den Autopiloten weitergibt. Eine der üblichen direkten Konstruktionen wäre bei diesen Verhältnissen längst "ausgestiegen", unser "Autohelm 7000" musste jedoch nur etwas Öl auf die eine oder andere Seite des Steuerzylinders pumpen. Viel war es durch die Kursstabilität des Schiffs nicht. Wenn man ohnehin alle Hände voll zu tun hat, um sich einigermaßen sicher festzuhalten, bedeutet es eine große Entlastung, nicht auch noch das Boot stundenlang "von Hand" auf Kurs halten zu müssen. Auch wenn wir einem solchen Wetter auf See wenn möglich nicht mehr begegnen wollen, war es durchaus einmal interessant, wie gut unser Schiff mit den Verhältnissen klar kam. Stunde um Stunde schaufelte es sich durch und schien im Rhythmus der Maschine zu murmeln: Kinder, ich mach das schon, haltet ihr Euch mal nur gut fest.... Ansonsten bleibt als Resümee ein komplettes Versagen der bisher recht zuverlässigen Wetterdienste "Wetter Online" und "Poseidon" zu vermelden. Unisono hatten sie schwache Winde und Welle in nicht signifikanter Höhe angesagt. Meine stillen Flüche während der Überfahrt auf diese gefährlichen Fehlprognosen, zudem in dieser Heftigkeit, waren dafür ziemlich signifikant....

Zwei Stunden später als geplant rundeten wir nach fünf Stunden Schwerwetterfahrt aber doch noch das kleine Kap an der Einfahrt zur Hafenbucht von Livadi an der Südspitze der Insel Serifos. Eine idyllische Szenerie bot sich dar, vom Unwetter draußen waren nur noch eine leichte Brise und schwache Dünung zu spüren.

Wir legten uns dankbar vor Anker, wobei wir nebenbei noch unser Dingi am Heck versenkten, weil wir vergessen hatten, es vom Heck zum Bug zu holen und sich daher seine Schleppleine bei Rückwärtsschub um die Propellerwelle wickelte. Das sind so die Flüchtigkeitsfehler, wenn man etwas "geplättet" in den Hafen einläuft. Irgendwie konnte mich das jedoch nach dieser Fahrt nicht mehr sonderlich erschüttern, vor allem da uns das Missgeschick schon einmal passiert war am Ende des ersten Törns der letztjährigen Saison. Auch eine besondere Situation: die eigentlich detailliert geregelten "Routinen" an Bord sitzen nicht mehr perfekt vom letzten Jahr... Also hieß ich nun Elisabeth einen provisorischen Anker zu werfen (wir waren ja nicht mehr manövrierfähig) und hüpfte mit einem scharfen Messer und der Taucherbrille bewaffnet kurzerhand in voller Montur über Bord, nach drei Tauchgängen war der Propeller wieder frei, wir konnten ein "ordentliches" Ankermanöver fahren und kurze Zeit später saßen wir endlich an Deck und genossen das Bier, auf das wir uns schon über die ganze Länge dieser Monsterfahrt gefreut hatten und das wir uns nach unserem Dafürhalten auch redlich verdient hatten.

Bild: Beginn der Nachtfahrt nach Westen von Kos nach Amorgos. Rechts im Bild: Inseln Pserimos & Platy

 

Zu schlechter Letzt: Gestern konnten wir uns dann von der Bucht ans Pier verholen (das Dingi hatte ein paar Macken abbekommen und musste aus dem Wasser). Ein deutscher Eigner, neben dem wir anlegten, verlies am Nachmittag eiligst das Pier und gab noch zu Protokoll, dass er das nicht noch einmal mitmachen wolle, womit er die Armada von Charterbooten meinte, die jeden Abend hier einfällt. Nun - insgesamt legten fast alle recht manierlich an - bis auf einen und der kam leider ausgerechnet direkt neben uns zu liegen. Zum 486. Mal wurde der Anker mit anstatt gegen die Windrichtung geworfen, zum 378. Mal über Kreuz zu unserer richtig liegenden Kette, zum 289. Mal wiesen wir darauf hin und zum 222. Mal wurde besserwisserisch und überheblich abgewiegelt. Morgens um halb sechs Uhr frischte dann der Wind etwas auf und die Dumpfbacke hing mit dem vollen Gewicht der 44-Fuß-Schüssel (vermutlich mindestens 15-20 Tonnen) auf der Backbordseite der Unity und überlastete mit dem entstehenden Druck seitlich unseren Anker, der auch prompt anfing zu schlieren. Wir standen frierend und verschlafen an Deck, aber ich musste erst mehrmals sehr energisch dazu auffordern, die Yacht doch bitteschön jetzt endlich von unserer Flanke zu entfernen und abzulegen, da selbst in dieser Situation noch völlig deplaziert coole Überlegenheit zur Schau gestellt werden sollte: obwohl dringend rasches Handeln angesagt war, musste zuerst einmal mit lockerem Schwung eine Zigarette angezündet und die Lage in aller Gemütsruhe begutachtet werden. Ich bot dem ca. dreißigjährigen Schnösel umgehend an, mit einer Maulschelle die Fluppe zu entsorgen, falls nicht sehr ruckartig ein paar sinnvolle Aktionen in Angriff genommen würden. Das ist unfreundlich, stillos und nicht besonders zivilisiert - also die formvollendet passende Reaktion auf das, was der Mensch uns grade mit seiner Dämlichkeit antat. Dann riss der Paradeskipper noch schnell unseren Anker vollends aus, sodass wir nun im Halbdunkel bei mittlerweile starkem Seitenwind ein neues Anlegemanöver fahren mussten - und das obwohl uns noch immer die Starkwindfahrt in den Knochen steckt und wir gerne und dringend ausgeschlafen hätten. Wundert noch jemand, dass wir auf besserwisserische Charterdilettanten mitunter nicht allzu gut zu sprechen sind? Es gehört schon ein gerüttelt Maß an Dummheit und Ignoranz dazu, sich einzubilden, dass man, wenn man ein oder zwei Mal im Jahr für ein paar Tage eine Yacht chartert, allzu viele Dinge besser kann oder weiß als Langfahrer, die jedes Jahr viele Monate permanent mit ihrem Boot unterwegs sind. Von irgendwelcher Etikette oder Seemannschaft zu reden stellt sich in solchen Fällen als völlig abwegiges Beginnen dar, vergleichbar mit dem Versuch, einen Analphabeten Shakespeare im Original rezitieren zu lassen. Und jetzt bitte ich alle Charterskipper, von beleidigten Zuschriften abzusehen - wie erwähnt, schilderte ich einen Einzelfall (der uns allerdings so oder ähnlich in unschöner Regelmäßigkeit begegnet), wir könnten liebend gerne darauf verzichten. Außerdem kam hier nur etwas zur Auswirkung, was offensichtlich wirklich die Regel ist: Am nächsten Abend lagen wieder 14 Charterboote mit Crews verschiedener (auch deutscher) Nationalität an der gegenüberliegenden Seite des Piers. Ein Eigner tauchte kurz die Reihe ab - bei keiner einzigen (!!!) Yacht war der Anker eingegraben, alle hingen nur am Gewicht ihrer Kette. Ein stärkerer Windstoß und hoher Sachschaden wäre fast unabwendbar. Noch Fragen, Kienzle?
Zu guter Letzt: Unter den Bildern der letzten Wochen fand ich das Dokument einer Begegnung der besonderen Art (wenn ich mich recht erinnere im Hafen von Leros): Eine fast komplett baugleiche Nauticat lag neben uns am Kai. Auch wenn sie vier Jahre "jünger" war, war es doch interessant, die Bau- und Ausstattungsdetails zu vergleichen. Bei einigen Details war nach unserer Meinung eher "verschlimmbessert" worden auf Kosten der Stabilität und "Stäbigkeit". Dass der Eigner der "Schwesteryacht" den guten Zustand unseres Bootes im Vergleich zu seinem jüngeren Boot bewunderte, machte uns aber dann wirklich etwas stolz...

Zu bester Letzt: Eine unserer Lieblingsnationen zur See sind ..... die Schweizer. Gut ausgebildete Segler, die das auch überwiegend anzuwenden wissen. Überwiegend korrekt und freundlich im Auftreten. Ob ein Zusammenhang mit der Tatsache besteht, dass die weltweit (mit Abstand) zweitgrößte Handelsflotte (!) unter schweizerischer Flagge läuft? (war mir neu, wurde mir auch nie von Schweizern erzählt (das ischt äben anderschdeitment, oodR...), sondern stand kürzlich im Wirtschaftsteil der ZEIT). Chapeau.