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"Woran wir glauben"

 

oder: warum jedes (?) Bild eine Ikone ist

 

Wer es sich leisten kann und will hängt sich mittlerweile ein etwa ein Meter breites Gerät aus Plastik und schwarzem Glas an die Wand seines/ihres Wohnzimmers. Gegenüber dem Sofa, über dem noch zwei Generationen zuvor in ungefähr gleicher Größe ein Ölbild mit einem röhrenden Hirschen "in Öl" hing. Der Hirsch hing da, weil "deutsch" und "der Wald" und vor allem "wer hat dich, du ....". Ja wer wohl? Der Herrgott eben und der hatte noch zwei Generationen zuvor seinen festen Platz in der Ecke als Kruzifix im ..... "Herrgottswinkel" – q.e.d.. Diese Funktion nimmt im Flat-Screen-TV-Wohnzimmer eventuell noch ein kleiner Designer-Engel oder Bronze- Buddha auf dem Fensterbrett ein.

An der Wand jedenfalls hängt, an was wir wirklich glauben. Heute oft das multimediale Info-Entertainment, früher die Überzeugung an das "deutsche Wesen" (das ja mit der "Leitkultur" sein zeitgenössisches Äquivalent gefunden hat). Davor: Jagdszenen in der Steinzeithöhle, Sonnengötter in Peru, romanische Fresken, barockes Trompe-l’œil in der Wallfahrtskirche und dann die "Kunst". – Nachdem Abbilder nicht mehr zwingend "soli deo gloria" sein mussten, nahmen andere Inhalte den Platz der gottgefälligen Darstellungen ein: zuerst noch klassizistisch Verbrämtes wie "Leda und der Schwan" (eigentlich ging es ja nur um Ledas Titten), dann staatstragendes wie der oben erwähnte deutschnationale Hirsch (bei dem es auch nicht zwingend um Naturschutz ging): "Wer hat dich du schöner Wald...". Im "tausendjährigen Reich" mündeten die beiden letztgenannten Sujets in ein wildes Geschwurmel (Diana mit Hirschkuh im Bade). Danach war Avantgarde (schwarze Fläche auf schwarzem Hintergrund drei mal sechs Meter), und danach ..... "Infotainment", sinnigerweise (zumindest bei Stromausfall) ebenfalls als schwarzes Rechteck.

(Nicht nur) das deutsche Wohnzimmer bildete und bildet im Lauf all der Jahre alle Nuancen zwischen diesen Entwicklungen getreulich ab. Und immer sind es mal beiläufige, mal innige Glaubensbekenntnisse. An "die Schönheit", das Freundliche, Nette, die "Werte", das "Gute", das "Wahre" – ob sich das nun als Blumen oder spielende Kätzchen manifestiert, als zentnerschwere Sinnhaltigkeit oder als Eklektizismus der Postmoderne (schwarzes Rechteck mit klitzekleinem Hirsch in der linken unteren Ecke...). Ein Bild ist eine bewusst oder, wie vermutlich in vielen Fällen, unbewusst platzierte Ikone, ein Ausdruck des Glaubens an welche "Geister" auch immer. Da macht der einsam hängende Flatscreen-TV im kühl durchgestylten Livestile-Ambiente keine Ausnahme, auch wenn der schon wieder ein Bild gewordenes "Geschwurmel" (s.o.) bedeuten kann – was man ihm im "Leerlauf" (neudeutsch: "Standby-Betrieb") aber nicht unmittelbar ansieht. Ob sich nun unbedingt zur Speerspitze des kulturellen Fortschritts zählen darf, wer sich nur noch Info-Elektronik an die Wand hängt, bleibt allerdings dahingestellt. Nach meinem persönlichen Dafürhalten ist es im Übrigen ebenso kein besonderes Anzeichen progredierender Kreativität von "Kultur"-Schaffenden, im von einer jeweiligen Szene angesagten Darstellungs- (oder eben Nicht-Darstellungs-) Stil jeweils angesagte Inhalte zu gestalten - und seien diese noch so "politisch korrekt" und/oder in aller Feuilletonisten Munde (was nun trotzdem nicht gleich jedem Genre-Schinken, gleich welcher Gattung, den Ritterschlag konzeptuellen Tiefgangs erteilen soll oder auch nur will..).

In meiner bildnerischen Arbeit war mir von Anfang an wohl bewusst, "Ikonen" zu entwickeln. Ob das nun Bilder über das historische Dinkelsbühl (später das lokale Festspiel "die Kinderzeche") für die ortsansässigen "bürgerlichen Anarchisten" waren oder die Serie "Bilder über Musik" für bildungsbürgerliche Wohnzimmer (ohne "Museumsanspruch" ...). Noch später die "Darstellungen zur Unternehmenskultur" für Welt- und andere Unternehmen, danach endlich "Wir Engel" als bis dahin vielleicht deutlichste "Ikonen"-Serie.

In diesem Zusammenhang bildet die Reihe der "Gardinger Evangelien" nur eine konsequente Fortsetzung dieser Entwicklung: ein Fortschreiten meines eigenen Denkens und Schaffens, das meine "Ikonen" in Platzierung und Inhalt zum Ursprung des Wortsinnes führt. Manchmal nehme ich sogar formale Anleihen dieser Ursprünge auf: während unserer Seglerjahre in Griechenland hatte ich reichlich Gelegenheit, die Stilisierungsmethoden orthodoxer Kirchenmalerei zu studieren, was sich, mehr oder weniger verhalten, in manchen meiner "Evangelien"-Motive (oder auch nur in Details) widerspiegelt.

Rückschritt oder Rückbesinnung auf "Soli deo gloria"? Da es der Einsicht meines persönlichen Wollens und nicht einem oktroyierten Sollen entspringt, sehe ich weniger eine "Entsäkularisierung" meiner Arbeit, als eine fließend aber doch ganz bewusst vollzogene Zuwendung zu ohnehin vorhandenen Wurzeln. Eine Zuwendung, zu der es wohl alle voraus gegangenen "säkularen" Entwicklungen und Erkenntnisse in meiner Arbeit (inklusive einer "Einpreisung" der Moderne, teils durch Überwindung, teils durch Integrierung) und die Erfahrung vieler Jahre brauchte. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass mir die Entwicklung einer Serie wie die der "Gardinger Evangelien" vor 30 Jahren sowohl inhaltlich wie formal noch nicht möglich gewesen wäre - was ein gelassenes Selbstbewusstsein gegenüber manch modischem Mainstream beinhaltet - die kreative Potenz so mancher "Mitschwimmer" in diesen Gewässern kam und kommt mir ohnehin zuweilen recht zweifelhaft vor, so lauthals sich manche dieser Protagonisten auch zu gerieren belieben.....

 

 

 

 

Stichwort "Avantgarde": aus dem Französischen "avant la garde" - das oder der, der vor der "Garde", also dem, was da im Gleichschritt einher trottet, voraus stürmt – womöglich mitten hinein in den Kugelhagel.... Was Stanislaw Lec in einem lakonischen Aphorismus ausdrückte: "Wer seiner Zeit voraus ist, muss in unbequemen Unterkünften auf sie warten". Wenn im ZEIT-Magazin vom 08.10.2009 Harald Martenstein bekennt "ich bin so reaktionär, dass es schon wieder Avantgarde ist", outet er sich als echtes Kind postmodernistischer Geisteshaltung – vielleicht, weil er im derzeit "schwer angesagten" Aufwärmen einer bilderstürmenden "Moderne" nicht unbedingt ein Heilsversprechen sieht - womit wir wieder bei der *Ikone* wären ... (zurück zum Text >>)