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"Methodisten"

 

Da viele Leser mit dem Begriff vielleicht nicht allzu viel anzufangen wissen, hier ein kurzer Abriss ohne Anspruch auf umfassende Allgemeingültigkeit. Wer am Anfang den maritimen Bezug vermisst (der Text wurde während unserer "Seejahre" verfasst): Kommt im Laufe der Geschichte.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts studierten einige junge Männer Theologie in Cambridge (GB), um Geistliche der englischen "Hochkirche" zu werden. Das bedeutete im Normalfall, sich einige Jahre lang  regelmäßig gut zu betrinken und den Kellnerinnen unter die Röcke zu fassen, bis man die Priesterweihe erhielt um dann, ausgestattet mit weitreichenden Pfründen, "staatstragend" zu sein. Die eingangs erwähnten jungen Männer nun waren Exoten, Freaks, Revoluzzer. Angeweht vom aufkeimenden Geist der Säkularisierung und Aufklärung, taten sie für Theologiestundenten jener Zeit Unerhörtes: Sie studierten die Bibel, um herauszufinden, was denn nun hinter all dem Schwulst und Bombast steckte, den die Hochkirche als permanenten royalistisch abgesegneten Budenzauber aufführte. Sie gingen dabei ganz systematisch und methodisch vor. Dafür wurden die naseweisen Spinner verlacht und gehänselt, wie sich das für Spinner eben so gehört. Und sie bekamen auch ihren Spottnamen: "The Methodists" - die "Methodiker", was nicht unbedingt freundlich gemeint war. Da man jedoch zum Schluss kam, dass "fanatisches" Bibelstudium auch nicht viel schlimmer als Saufen und Hurerei war, wurden die "Methodists" nach Abschluss der Studienzeit trotzdem zu Geistlichen der Hochkirche geweiht. Eine krasse Fehleinschätzung, denn damit begann der Ärger erst so richtig:

Wenn man die englische Hochkirche des 18. Jahrhunderts in jener Zeit als "käuflich" bezeichnet hätte, hätte sich kein britisches Augenlid auch nur einen Millimeter in jener unnachahmlichen Weise vor Erstaunen gehoben, wie das eben nur britische Snobs beherrschen. Wer in sanktionierter Weise fromm sein wollte, zahlte. Für seinen Platz in der Kirche (geprägtes Namensschild in Messing inklusive), für Taufen, Hochzeiten, Begräbnisse - ja sogar für ein andächtiges Abendmahl mit Wein und Brot wurde kassiert wie im Wirtshaus (engl. "Pub"). Schließlich heißt in der englischen Sprache "Gottesdienst" bis zum heutigen Tag "Service", damit auch in der Wortwahl gleich Klartext geredet wird.  Folge: Die Bevölkerungsschicht, die vielleicht vor allen anderen der geistlichen Tröstungen bedurft hätte, blieb außen vor. Die Armen im Geldbeutel wie im Geiste konnten ja immerhin Huren und Diebe werden. Wenn sie das gut machten und genügend Geld zusammenbekamen, konnten sie sich ja dann etwas "Service" erkaufen. Inklusive eingraviertem Messingschild auf der Kirchenbank. Wer es aber in der aufkeimenden Industrialisierung des "Manchester-Kapitalismus" nur bis zum mies bezahlten Fabrikarbeiter statt zum Betrüger brachte, konnte selbst schauen, wo er seinem Herrgott nahe sein wollte.

Aber jetzt kamen die "Methodiker". Und öffneten die Kirchenpforten für das zerlumpte Gesindel. Sie hatten in ihrer Bibel irgendwas gelesen, das sie als Legitimation solch umstürzlerischer Unerhörtheiten missdeuteten. Mancher Earl of Wintershire und mancher Count of Wessex war "absolutely NOT amused", plötzlich einen verkrüppelten Alten, eine schäbige Witwe oder einen stinkenden Waisen eine Servicestunde lang neben sich auf der (teuer bezahlten) Kirchenbank zu ertragen. Beim Abendmahl aus dem gleichen Kelch wie ein Bettler trinken, dessen verfaulte Zähne zehn Meter gegen den Wind stanken? Gracious God! Das Empire wankte in seinen Grundfesten.

Die Methodisten-Revoluzzer wurden zum Bischof von Canterbury geladen. Eine Ermahnung. Noch eine Ermahnung. Dann flogen sie raus. Um das ganz kurz zu machen. Jeder, der als unbotmäßiger Schüler je in seiner Kindheit unangenehm im Sinne des etablierten Systems auffiel, kennt den Mechanismus.

Nun saß die Revolution dort, wo sie meistens landet - ob sie will oder nicht: auf der Straße. Die geschassten Geistlichen, unter Führung ihres "Anstifters" John Wesley, fackelten nicht lange, sondern brachten ihre Version der Kirche nun eben zu denen, die vorher nicht zu ihnen kommen durften. Sie predigten unter freiem Himmel in den Arbeitersiedlungen der Industriestädte und die geschundenen Menschen kamen zuhauf, um sich den einzigen Trost abzuholen, den sie in ihrer oft unerträglichen Situation bekommen konnten. Da offensichtlich war, dass dieser Trost nicht nur aus Worten bestehen konnte, wurden die Methodisten aktiv: das erste moderne Sozialsystem der Welt wurde entwickelt. Mit Solidarkassen für ärztliche Versorgung, Arbeitsunfähigkeit, Altersvorsorge. Ob aus Gründen der Frömmigkeit, oder aus Pragmatismus - die Methodisten bekamen immer mehr Zulauf. Eigene Kirchen wurden gebaut. Als die Arbeiter Englands sich aus dem Alten Europa auf überfüllten Segelschiffen (hier der "maritime Bezug" - bitteschön) aufmachten in die Neue Welt, nahmen sie "ihre" Kirche einfach mit. So wurde die Methodistenkirche eine der größten religiösen Vereinigungen der USA (und die drittgrößte kirchliche Vereinigung weltweit). Sie ist eine protestantisch geprägte "Freikirche", die jedoch im Laufe der Zeit leider ihren originären Schwung etwas verloren hat. Dass Mitglieder wie ein gewisser Präsident Bush fast widerspruchslos und ohne Massenaustritte in ihrer Mitte akzeptiert werden, ist trauriger weise wohl weniger ein Anzeichen christlicher Duldsamkeit als ein Indiz für den Niedergang der Bewegung: Menschen vom Schlage "Bush" erzwangen einst durch ihre Arroganz erst die Bildung der Methodisten, vor Menschen vom Schlage "Bush" flohen die Methodisten aus England. Jetzt frisst die Revolution ihre Kinder.

Zeit für neue "Revoluzzer"? Ich bin geneigt, dies für unabdingbar zu halten.

Mein persönlicher Bezug zum Thema: siehe unten.

 

Grafik: "Methodists are different" (John Wesley) *  Siebdruck auf T-Shirt, Design Arne Scheuermann

 

 

Warum interessieren mich religiöse Vereinigungen?

Mein Vater stammte aus einer "erzkatholischen" Familie in Franken. Zum Entsetzen dieser Familie wechselte er nicht nur zu den Protestanten, sondern zu der Radikalversion, den Methodisten. Damit nicht genug, wurde er auch noch Pastor in dieser ketzerischen Institution. Mein älterer Bruder wurde das dann auch, meine Schwester wurde Religionspädogin und heiratete einen Pastor, ich wurde Sonntagsschullehrer, Jugendleiter, Laienprediger - eine steile "Karriere" für einen 15-Jährigen. Dann starb mein Vater und ich verabschiedete mich für´s Erste von jeder Art von Religiosität, behielt jedoch die Weisheitslehren der Bibel völlig unabhängig von irgendeiner Religiosität oder gar Kirchenzugehörigkeit als Grundlage meiner persönlichen Lebensführung bei, was sich im Rückblick als sehr sinnvoll und hilfreich erwiesen hat.

Später war ich einige Jahre Meisterschüler eines japanischen Künstlers, der in einem buddhistischen Kloster gelebt hatte und mich in die Grundlagen der ZEN-Philosophie einführte. Ich erkannte, dass in die christliche Mystik viel "ZEN" eingeflossen ist, kehrte "back to the roots" zurück in die katholische Kirche und erwog sogar, in einen Mönchsorden einzutreten. Nachdem ich davon wieder Abstand genommen hatte, wurden andere Dinge wichtig und ich ward 30 Jahre lang nur noch sehr sporadisch (Familienfeiern etc) in einer Kirche gesichtet. Erst durch die Heirat mit Elisabeth, einer evangelischen Kirchenkantorin, kam ich mit der Evangelischen Kirche in Berührung (die als deutsche Sonderform im Gegensatz zu den Methodisten international nun wieder fast bedeutungslos ist). Auch wenn ich meine Frau gerne bei ihrer Arbeit unterstütze, haben mich Inhalt und Zustand dieser "Staatskirche" nicht unbedingt überzeugt, sondern dazu gebracht, ein paar schon einige Jahre kulminierte Gedanken niederzuschreiben, da ich den Eindruck gewann, dass viele Menschen durch diese Kirche keine spirituellen Inhalte in einer zeitgemäß "renovierten", verständlichen und damit "brauchbaren" Form vermittelt bekommen (was sich ja in der Mitglieds- und Besucherzahl eindrücklich niederschlägt). Der Text ist 2013 unter diesem Titel erscheinen: