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15.Mai 2004 * Poros / Insel Poros * Wir sind im Saronischen Golf, Athen kommt "in Sicht". Weil wir aber den Segelmacher heute (Wochenende) nicht telefonisch erreichen konnten, bleiben wir (wie bereits seit 2 Tagen) erst einmal hier - auch weil die Idylle mal wieder Bilderbuch-Charakter hat. Wir liegen im Päckchen längsseits neben der Cats an der Hafenpromenade, lesen, plaudern, kochen, arbeiten. Heide hatte Geburtstag, was Peter mit einer Festbeflaggung würdigte, abends waren wir von den Beiden zum Essen eingeladen. Am nächsten Abend revanchierten wir uns mit "Linsen, Spätzle und Saitenwürstel", dem schwäbischen "Nationalgericht". Leider müssen statt der Spätzle hier profane Eiernudeln herhalten - schmeckt aber auch ganz gut.

Letzte Station war die Insel Hydra und dort der Hafen der Insel-Hauptstadt. Anerkannt einer der schönsten Häfen Griechenlands. Wir fanden´s auch nett, aber der Betrieb im Hafen war dann doch etwas heftig und da Starkwind angesagt war, wollten wir dem mäßig haltenden Ankergrund doch nicht so recht trauen. Also legten wir am 13. Mai ab zusammen mit der Cats und hatten einen herrlichen Tag unter Segeln, der uns auch einen kleinen Geschwindigkeitsrekord bescherte: 6-7 Knoten bei 5-6 Bft. achterlichem Wind blies uns in den Hafen von Poros.

Gestern war der Tag einfach zu schön zum Arbeiten, also saßen wir auf der Heckterrasse, genossen die Sicht auf vorbeifahrende, ein- und auslaufende Schiffe, das geschäftige Leben auf der Hafenpromenade und das hübsche Panorama. Nebenher las ich den viel diskutierten Skandalroman "American Psycho" fast in einem Stück durch. Als ich vor Jahren zu einer Kunstmesse im New Yorker "Marriot Marquis"-Hotel am Times-Square einquartiert war, hatte ich mir als Reiselektüre "Fegefeuer der Eitelkeiten" eingepackt und genoss es, abends mit faszinierendem Ausblick durch raumhohe Fensterflächen noch eine Weile mitten in der Kulisse des Romans zu lesen. Mit "American Psycho" hatte ich demgegenüber nun ein "Kontrastprogramm": mitten durch die heitere Idylle des frühsommerlichen Hafens zogen die Bilder eines durchgerasteten juvenilen Wall-Street-Managers, der als nächtliches "Hobby" wahllos Menschen abschlachtet. Vor vielen Jahren schaute ich mir Piere Paolo Pasolinis "100 Tage von Sodom" an. Drei Stunden zu "Filmkunst" deklarierte ununterbrochene Perversion. Am Anfang waren ca. 200 Menschen im Kinosaal. Schon im Laufe der ersten Stunde leerte sich der Saal. Die Menschen weinten verwirrt, erbrachen sich, flüchteten vor den eigentlich unerträglichen Bildern. Am Ende des Films waren wir noch zu dritt im Saal. Gegen das in "American Psycho" geschilderte Grauen ist in meinen Augen der Pasolini-Film etwas für´s Vorabendprogramm. Vor dem Hintergrund der jüngst bekannt gewordenen Gräueltaten amerikanischer Soldaten im Irak bekommt der Text einen besonders widerwärtigen Beigeschmack. Darf man, muss man gar alles schreiben, was denkbar ist (ich muss zugeben: mir wär´s nicht eingefallen)? Zugegeben - der Roman entwickelt einen gewissen Sog. Ich las ihn bis zur letzten Seite vor dem Hintergrund, dass ich in der Zeit, in der der Roman geschrieben wurde und spielt, durchaus mit Menschen der beschriebenen Szene Kontakt hatte. Erfolgreich, eitel, aggressiv, snobistisch, arrogant; mit, neben einem paranoiden beruflichen Ehrgeiz, kaum einem anderen Interesse als angesagten Nobelrestaurants, Diskotheken und Lifestile. Die Szene ödete mich nach kurzer Zeit an - aber viele Menschen, die ich damals flüchtig kennen lernte (man lernt sich in dieser im Grunde oberflächlichen Szene nur flüchtig kennen) hätten in die Rolle des "Psychos" gepasst. Natürlich kannte ich ihren Perversionsgrad nicht, aber mit irgendetwas müssen wohl auch sie das schreiende Nichts ausgefüllt haben, das bei einer solchen Lebensweise zwangsläufig entsteht. Wenn ich heute auf dem Wasser die Passagiere der millionenschweren Luxus-Motoryachten beobachte, erkenne ich oft die Spezies der damaligen Zeit und die Protagonisten im beschriebenen Roman hinter ihren verspiegelten oder schwarzen "Ray Ban"- oder "Alain Migli"- Sonnenbrillen wieder. Eine obszön wirkende Darstellung - gibt es einen bestimmten Grund dafür, sich wie ein Perverser zu geben, wenn man keiner ist? Alleine das Auftreten und Benehmen dieser Menschen weist in peinlicher Deutlichkeit auf zu vermutende Persönlichkeitsdefizite hin, was nur logisch erscheint: Jeder Mensch hat nun einmal nur ein bestimmtes Potenzial an Zeit und Kraft zur Verfügung. Wenn dies nun so ausschließlich in den Erwerb von Konsumgütern investiert wird, kann vermutlich für die Entwicklung seelischer Hygiene nicht mehr allzu viel Potenzial übrig bleiben. Auch wenn es vermutlich nicht viel hilft - darauf hinweisen als Symptom gesellschaftlicher Defizite sollte man schon, deshalb habe ich meine Gedanken (mit "Beweisfotos") dazu in einer Extraseite "Stampete zur See" dargestellt.