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Einige Abbildungen dieser Seite wurden aus Bedenken bezüglich des Copyrights ("Abmahnfirmen")vorübergehend  gelöscht und werden bei Gelegenheit in anderer Form wieder ergänzt.

Garding

Halbinsel Eiderstedt

24. Oktober 2006

 

Was hat "unsere" Halbinsel Eiderstedt mit vielen griechischen Inseln gemeinsam? Sie hat ihre eigene Flagge, die ab nächstem Jahr von der Saling der Unity wehen wird.

Mit dem Wohnmobil durch Deutschland, Österreich und nach Korfu
Umzug mit dem 7,5 t - Lastwagen
Überführung der Unity Korfu - Marseille (1000 Seemeilen / 1835 km)
Mit Handgepäck per Bahn und Fähre von Marseille nach Korfu zum dort zurückgelassenen Wohnmobil.
Rückfahrt mit dem Wohnmobil Korfu - Marseille - Garding
Vor einigen Tagen habe ich noch einmal die bisherigen Reisen dieses Jahres auf der Karte nachverfolgt (links). Über 10000 Kilometer zu Wasser und zu Lande, das Meiste davon in den Monaten Juni, Juli und August. 

Meine Generation ist ja mit dem Filmgenre "Roadmovie" aufgewachsen, (zumindest in meinem Fall) angefangen mit dem legendären "Easy Rider", in dem die Protagonisten verschiedene Lebensentwürfe "durchfahren". Bildet das Reisen noch immer? In gewisser Weise kann ich die Frage mit "Ja" beantworten, auch wenn es sich in diesem Jahr ausnahmslos um Zweckfahrten handelte - inklusive des Segeltörns. Und wie beim oben erwähnten Film war nicht jede Erfahrung erfreulich, auch wenn unser / mein Reiseabenteuer zum Glück nicht "filmreif", also tödlich, endete - immerhin bleibt eine zentrale Erkenntnis, die ich ganz unemtional und ohne übertriebene Dramatisierung verstanden wissen will:

Es war mir noch selten im Leben so deutlich, wie wenig es die meisten Menschen schert, wenn andere Menschen vor ihren Augen vor die Hunde gehen. Noch mehr: wie sehr Menschen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse (und sei es "einfach zum Spaß") die Gefährdung von Gesundheit, Existenz oder gar Leben anderer Menschen billigend in Kauf nehmen oder sogar provozieren. Von der völligen Gleichgültigkeit gegenüber dem Untergang einer anderen Existenz durch eigenes Verschulden oder höhere Gewalt ganz zu schweigen. "Homo hominis lupus est" (der Mensch ist des Menschen Wolf). Ganz besonders während des Törns Korfu-Marseille war mir wieder sehr deutlich, dass, sollte mir auch nur das geringste Missgeschick (Motorpanne, Verletzung etc.) passieren oder ein Fehler unterlaufen, dies verheerende Folgen für meine gesamte Existenz zur Folge gehabt hätte - auch weil ich oft schon ohnedies das Gefühl hatte, unter die sprichwörtlichen Räuber gefallen zu sein. Elisabeth und ich starteten vor vier Jahren mit allen Regeln der Seemannschaft und den Handlungsmodi unserer humanistischen Einstellung im Gepäck. Dass wir mit der daraus resultierenden Umsicht und Hilfsbereitschaft von vielen als exotische Idioten angesehen wurden (es sei denn, unsere Hilfe oder Rücksicht galt zufällig ihnen), fiel uns relativ schnell auf. Wir versuchten, unsere Grundüberzeugungen trotzdem beizubehalten - aus schierem Egoismus: weil wir das als Hebung unserer ganz eigenen (Er-)Lebensqualität ansahen, ohne die wir unsere Reise wahrscheinlich bereits während des ersten Sommers abgebrochen hätten. (s. auch "Seemannschaft")

Auf dem Rückweg von Stuttgart (s. Logbuch 23.09.) in den Norden machte ich dann noch einen Abstecher in das Schwarzwalddorf, in dem ich einige Kindheitsjahre und die Grundschulzeit verbracht habe, um der Einladung zum Klassentreffen anlässlich unseres fünfzigsten Lebensjahrs zu folgen. Kurz gesagt: es war (zugegeben ganz entgegen meinen Erwartungen) sehr interessant und - "einfach nett". Dass sich nach fast 40 (!) Jahren (ich wechselte mit 11 Jahren ins Gymnasium) ganz unkompliziert und herzlich eine spontane "Nestwärme" übertrug, war ein überraschendes Erlebnis. Der Blick über die von langen Wanderungen noch wohlvertraute Landschaft im abendlichen Dunst war darüber hinaus schon die halbe Reise wert (oben).

Zweite Zwischenstation war die Buchmesse in Frankfurt/M. Der erste Tag war lustig und interessant, das riesige Angebot verschiedenster Druckerzeugnisse ist für mich immer wieder ein überwältigendes Abenteuer mit vielen Entdeckungen. Dazu die Kulisse der Konsumkathedralen ringsum - nur die Verpflegung ist noch immer fast so erbärmlich wie vor 30 (!) Jahren: pappiges Sandwich mit kleiner Cola für 8 Euro (ich rechne da starrsinniger Weise immer noch "16 Mark") grenzt an den Straftatbestand "Ausnutzung einer Notlage".

Ein wenig Small-Talk hier, Kollegengeplauder da, ein paar neue Kontakte. Abends am Wohnmobil verplauderte ich mich noch mit einem Berufsfotographen, der über immer härtere Arbeitsbedingungen, Kostenersparnisse und Budgetkürzungen klagte und dass im Markt für "High-End-Photographie" klassischer "analoger" Qualität fast keine Abnehmer mehr zu finden seien. "Der Kunde sieht den Unterschied eben meistens leider nicht". Und dann zahlt er eben auch nicht dafür. Basta. Zwischen künstlerischem Anspruch und der Willigkeit des Publikums, diesen auch zu bezahlen, lag schon immer ein viel diskutierter "Sankt Andreas-Graben" von differierenden Wertmaßstäben. Nicht zu verwechseln mit den Ansprüchen der Stadt Berlin an den "Rest" der Republik, ihren Glanz und Glamour mit zu finanzieren, da es sich bei diesen Ansprüchen wohl nur partiell um künstlerische Absichten handelt.... 

Am zweiten Tag hielt es mich allerdings nur noch wenige Stunden in den heiligen Bücherhallen. Nicht zuletzt die dämpfig-dumpfe Hallenluft ließ mich flüchten, zudem war ich mit neuen Eindrücken einfach "zugeknallt" und wollte endlich "heim", nachdem ich über drei Wochen zuvor ja nur zu einem kurzen Arbeitsaufenthalt in Garding zwischengelandet war. Auf einen Satz meisterte ich den Rest der Strecke und bog abends um halb zehn in die Bövergeest ein - fünf Minuten bevor Elisabeth von ihrer Chorprobe heimkam - grade Zeit genug, um unsere hoch erfreute Pia vorab zu begrüßen.

 

 

Nun bin ich also wieder zurück auf unserer beschaulich - wilden Halbinsel. Sie bildet mit diesen Qualitäten ein äußerst attraktives Paradox, dessen (nie abgeschlossene) Geschichte hoch interessant ist. Hier spielt sich Erdgeschichte im Zeitraffertempo ab. Unten rechts das nördlich von Eiderstedt gelegene Wattengebiet, wie es heute aussieht. Die linke Karte zeigt seinen Zustand vor und nach der verheerenden Sturmflut im Jahre 1361 (vorher war auch der gesamte hellgrüne Bereich "trockenes" Marschland). Durch eine weitere Sturmflut 1634 und weitere Erosion entstand der heutige Zustand (rechts).

Wenn man bedenkt, dass ähnliche Veränderungen in anderen Gegenden teilweise viele Jahrtausende, wenn nicht Jahrmillionen dauern, begreift man die Verletzbarkeit dieser Gegend - vollends angesichts der aktuellen Entwicklungen: der November hat schon fast begonnen und in Teilen Deutschlands herrschen noch immer Tagestemperaturen von bis zu 26°. Wen das augenscheinlich überhaupt nicht nachdenklich stimmt: die Wetterfrösche im Fernsehen, die diese Katastrophe hartnäckig als "schönes" Wetter preisen. Welche Lobby zwingt diese Leute, solch verlogenen Schwachsinn zu Protokoll zu geben? Die Temperaturen steigen dramatisch, offensichtlich sogar dramatischer als das irgendein Rechnermodell prognostizierte, das Ozonloch reißt weiter auf, weiter als das irgend ein Wissenschaftler gedacht hatte, aber - locker bleiben Freunde! Setzt Euch im T-Shirt ins Straßencafé und genießt das "schöne" Wetter... Hab ich da irgendetwas nicht mitbekommen? Gibt es einen allgemeinen gesellschaftlichen Konsens darüber, Katastrophen mit fatalistischem Stoizismus einfach zur Kenntnis zu nehmen - Hauptsache es ist "schön warm"? Im November? Der Temperaturanstieg dieses Herbstes überschreitet das Zwanzigfache (!!) jeder Prognose! In Griechenland, Portugal und Spanien ersaufen ganze Landstriche, vor Japan havarieren Frachter in stürmischer See gleich paarweise.
Das nebenstehende Bild zeigt ein Seestück, das die Gewalt des Meers sehr eindrucksvoll veranschaulicht. Es hat mich noch einmal an einige (ähnliche) Situationen meines letzten Törns erinnert. Eindrücke einer Sturmfahrt habe ich ja bereits vor einiger Zeit in der gleichnamigen Schilderung festgehalten. Man bekommt nach solchen Erlebnissen eine andere Einstellung zu den Gegebenheiten, von denen nachgerade unsere gesamte Existenz abhängt und die oft noch immer so beiläufig ignoriert oder verharmlost (s.o.) werden, als ob der gerade ablaufende Prozess jederzeit zu bremsen oder gar umzukehren wäre. Was er jedoch nicht ist. Es wird bei der Schilderung von Entwicklungen immer von zukünftigen Entwicklungen gesprochen - gerade so, als fänden die desaströsen Auswirkungen nicht bereits jetzt und vor aller Augen statt.

Ein ähnlicher Mechanismus  beherrscht anscheinend die nun zu Protokoll gegebenen Sonntagsreden zur Unterschicht, die viele eben erst entdeckt haben wollen (oder zumindest so daherreden). Dabei ist die Entwicklung dieser Schicht doch nur das Resultat einer vieljährigen "Verwilderung der Sitten", bei der die Vorstellung eines neuen, noch abgedrehteren Sportwagens mehr Schlagzeilen macht als der innere Zustand unserer Gesellschaft. Dass das eine Detail die Defizite des anderen aber dann mittelbar doch in peinlicher Deutlichkeit zeigt, ist .... nun eben nichts weniger als peinlich. Man könnte auch ganz einfach und ehrlich konstatieren, dass der einzelne Mensch als solcher heute nicht einmal mehr so hoch wie sein Materialwert von ca. einem Euro geachtet wird, von seiner "Würde" und dem ganzen kontraproduktiven Quatsch einmal abgesehen. Was nicht zur "Elite" reift, ist schlicht überflüssig und damit lästig. "Human" ist längst kein "Kapital" mehr. Dass "Humankapital" noch vor kurzem ein Unwort war, ist ein bitterer Scherz - angesichts heutiger Verhältnisse wäre es direkt erfreulich, wenn ein Mitmensch noch auch nur annähernd die Pflege erwarten dürfte, wie sie der Pflege eines "kapitalen" Portfolios zugewendet wird.
Während meines jüngsten Stuttgart-Aufenthalts bekam ich wieder einmal hautnah ein soziales Absturzdrama vor Augen geführt: hinter meinem Wohnmobil stand ein riesiges Igluzelt in dem Karl aus dem Ruhrgebiet mit seiner Frau und vier Kindern wohnte. Sie waren zu Beginn der Sommerferien mit Sack und Pack in den ("reichen") Süden gefahren im linden Vertrauen darauf, dass Karl dort nach langer Arbeitslosigkeit wohl wieder eine Beschäftigung finden würde. Resultat: Sommerferien vorbei, keine Arbeit für Karl, Geld bis auf den letzten Cent aufgebraucht.

Zurück ins Ruhrgebiet ging auch nicht mehr, da fehlten 120 Euro für die Bahnkarte. Das Sozialamt wollte die nicht rausrücken, dafür aber die Kinder ins Heim und die Eltern buchstäblich auf die Straße schicken, auch wenn im Ruhrgebiet eine Unterkunft bei Freunden wartete. Zelt verkaufen? Keiner auf dem Platz hatte Interesse an dem Teil, auch wenn es Karl erst knapp vier Wochen zuvor für 600 Euro gekauft hatte. Daran, das Ding im Zug mitzunehmen, war auch nicht zu denken. Einfach wegschauen konnte und wollte ich nicht - seufzend zückte ich also die erforderlichen 120 Euro, packte das Zelt ins Wohnmobil und versprach Karl, dass ich ihm, auch wenn er den "Deal" als abgeschlossen betrachtete, einen eventuellen Mehrerlös beim Verkauf zukommen lassen würde. Wer also ein kaum gebrauchtes Iglo-Zelt mit 3 Abteilen, Stehhöhe, Grundfläche ca. 16-20 qm zum Schnäppchenpreis (120 Euro + Versand) erwerben möchte, bitte melden - ich bin froh, es wieder aus der Garage zu bekommen - es erinnert mich nur daran, dass ähnliche Szenarien aus einer Mischung von Not, Naivität, Hilflosigkeit, sozialer Kälte und Behördenschwachsinn wohl mit zunehmender Ausbreitung einer neuen Unterschicht immer häufiger zu besichtigen sein werden. Nebenbei: wer das Idiom "Neues Prekariat" erfunden hat, gehört nach meiner bescheidenen Meinung mit der Prachtausgabe des Duden außer Landes geprügelt....
 

Natürlich macht es Spaß, ein wenig mit der Sprache zu spielen (wenn nicht grade "Prekariat" dabei rauskommt...). In diesem Sinne noch was Nettes zum Abschluss: 

Auch wenn ich nicht zu der Fraktion zähle, die ein Auto als Wandzeitung missversteht, griff ich zu, als mein Lieblingssender (Deutschlandradio Kultur / Deutschlandfunk) auf der Buchmesse Aufkleber "Hört!/Hört!" verteilte. Sie sind nun dezent symmetrisch rechts und links unter den Heckleuchten von "Elisabeths Dienstwagen" angebracht. Für eine engagierte Kirchenmusikern eben doch ganz nett. Denjenigen, der zusätzlich weiß, dass "Audi" die Latinisierung ("höre!" oder eben ...>) der früheren Nobelmarke "Horch" ist, könnten die Aufkleber vielleicht zu einem amüsierten Schmunzeln veranlassen - selbst wenn er den Beruf der Fahrerin gar nicht kennt - kleiner Privatscherz am Rande......

 

Nachtrag 07. Dezember 2006: Zu dieser Seite erreichte mich die Zuschrift eines Seglers, der zu bedenken gab, dass bei den oben beschriebenen Reisen mein Lamento über die Klimakatastrophe doch etwas unangebracht sei. Ich schickte ihm eine "Energiebilanz" der letzten Jahre - sie scheint als Argument schwer beeindruckt zu haben. Immerhin produzierten wir fast den gesamten Strom mit Solarpanelen und Windrad selbst, heizten das kleine Volumen des Wohnmobils energiesparend mit Gas und der Dieselverbrauch der letzten Jahre würde die Energiebilanz selbst eines sehr überzeugten "Öko-Haushalts" in Deutschland um viele Längen schlagen, da wir ja in diesen Jahren nirgends einen "festen Wohnsitz" unterhielten, sondern ausnahmslos auf dem Schiff oder im Wohnmobil lebten. Jeder deutsche "Normalhaushalt" mit Heizungs- und Stromkosten, Fahrten zur Arbeit und in die Freizeit verbraucht ein "Zig-faches" der Energie, die wir für unseren vergleichsweise bescheidenen Lebensstandart unterwegs aufwenden mussten. Mittlerweile leben wir in einem modernen "Niedrig-Energie-Haus" - aktuelle Bilanz Elektro/Heißwasser/Kochen/Heizung für zwei Personen auf 100 Quadratmeter Wohn- und Arbeitsfläche: exakt 90,00 Euro / Monat, also 45,00 / Person. Da der Winter bisher mild verlief, könnte sich dieser Wert noch etwas, aber vermutlich nicht signifikant, nach oben verschieben, da wir konsequent abends die Rollläden schließen, die Temperatur nachts um 5° absenken, auch tagsüber nur die Räume "höher" beheizen, in denen wir uns gerade aufhalten und generell die Raumtemperatur auf Pullover- und nicht auf T-Shirt-Niveau halten, was ohnehin gesünder ist ....