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Stichwort: Seemannschaft

In Zeiten postmoderner Beliebigkeit steht Adel nicht mehr hoch im Kurs und wenn man nach England oder Monaco schaut, scheint das auch kein allzu großer Verlust zu sein. Prompt ist allerdings auch so manches, was den Menschen früher "adelte" in ein bedauerliches Abseits geraten. Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit, um nur ein paar Begriffe anzuführen. All der erwerbbare Adel eben, den sich jeder zulegen konnte, wenn er nur genug Charakter besaß, um dies als erstrebenswert zu erachten. "Einfach, aber nobel" war die Devise, die nebenbei darauf hinwies, dass es sich bei dem "Erwerbsadel" um nichts handelte, was für irgend einen Menschen, ob "hoch" oder "niedrig", nicht zu erreichen wäre.

Auch im Yachtsport hatte sich ein aus ganz praktischen Erfordernissen erwachsener Sittenkodex entwickelt. Was man tut, was man nicht tut und, gegebenenfalls, wie man es tut. In einem Metier, in dem man sich immer wieder mit Urgewalten konfrontiert sieht, in dem es, oft selbst im Hafen, keine feste Sicherheit gibt, gehörten Hilfsbereitschaft, Höflichkeit und eine Reihe von Fertigkeiten, die souveränes Handeln auf See und im Hafen ermöglichten, nachgerade zum guten Ton auf dem Wasser. Und man war, außer in Fällen überbordender Kauzigkeit, bestrebt, möglichst viel davon zu praktizieren und zu zeigen, weil es den Seemann eben - adelte.

Tugenden verschwinden leise, siechen fast unbemerkt, bis ihr Verschwinden fast nicht mehr auffällt und die Welt wieder etwas rauer, kälter, unwirtlicher geworden ist. Dass es viele tausend Jahre an Entwicklung in der Geschichte der Menschheit gekostet hat, diese Tugenden zu entwickeln, sollte eigentlich Grund genug sein, sie sorgsam zu pflegen. Denn sind sie erst einmal Verfall und Vergessen preisgegeben, öffnet ihr Fehlen auch dem Niedergang anderer Errungenschaften Tür und Tor. Man spricht nicht umsonst von einer "Kultur", wenn man eine in Blüte stehende Gesellschaft beschreiben will. Eine Kultur zeichnete sich jedoch noch nie durch ein bestimmtes Maß an finanzieller oder strategischer Macht aus, sondern durch die Tugenden und Fertigkeiten, die aus einer Position der Stärke heraus entwickelt wurden - und deren Verschwinden stets ein Indiz für den beginnenden Niedergang der jeweiligen Kultur war.

Es ist etwas Besonderes, auf dem Meer zu sein, auf dem Meer zu reisen. Ein Zauber von Beweglichkeit und Weite, ein tägliches Abenteuer, eingebettet in akkustische Kulissen von Stille oder den verschiedenen Orchestrierungen von Wind und Wellen. Wenn man heute in einen Hafen kommt, weicht jedoch der Zauber der See oft einem ernüchternden "Budenzauber". Unhöfliches Drängeln, Achtlosigkeit, die sich oft zur Rücksichtslosigkeit auswächst, ganz zu schweigen vom Fehlen auch nur eines Anflugs von zivilisiertem Benehmen. Keine Hand regt sich, um anderen Booten beim Anlegemanöver zu helfen - schon gar nicht, wenn das Boot ein paar Plätze weiter anlegt, die Ankunft anderer Boote wird grußlos zur Kenntnis genommen, die Beiboote sind achtlos an der Seite des Schiffs befestigt und verstellen eine eigentlich freie Lücke, Leinen werden so gespannt, dass sie andere Boote beschädigen, aus den Bordlautsprechern schwallt Tonmüll über den Steg, Motoren blubbern und stinken stundenlang für die Batterieladung, damit im Kühlschrank Eiswürfel bereitet werden können, die Rückkehr vom Tavernenbummel in den frühen Morgenstunden wird lärmend zelebriert, in viel zu enge Lücken wird das Boot mit Motorkraft hineingepresst, ungeachtet drohender Beschädigungen an den Nachbarbooten, Anker werden ohne Rücksicht auf die bereits liegenden Anker ausgebracht, die dann am nächsten Morgen prompt ausgerissen werden - die Liste ist beliebig erweiterbar. Und "draußen" auf dem Meer ist immer öfter zu beobachten, welch verheerende Folgen es hat, wenn sich Menschen in einem rechtsfreien Raum wähnen: einfachste Regeln der Kollisionsverhütung werden missachtet und im Fall von Motoryachten ist die Hoffnung auf ein Mindestmaß an Rücksicht und Stil meist ohnehin vergebens. Auch die Tendenz zu immer riskanteren Segelmanövern, die bis an die Grenzen der Belastbarkeit von Boot und Mannschaft gehen, scheint nur den wachsenden Beliebtheitsgrad einer zum Kavaliersdelikt verniedlichten Allgemeingefährdung anzuzeigen. Auch dass navigatorische Fertigkeiten und ein tadelloser Zustand der Yacht Unbedingtheiten ohne Alternative sind, scheint langsam in Vergessenheit zu geraten.

Haben die Menschen verlernt, Achtung vor irgendetwas zu haben? Ist nichts mehr so erhaben, dass es sie etwas Demut und damit wenigstens in minimalstem Umfang "Anstand" lehren könnte? Ein Sprichwort sagt: "Wenn eine Dame den Raum betritt, werden alle anwesenden Männer zu Herren." - Sofern es sich nicht um völlig kulturlose und damit peinliche Rüpel handelt. Wer sich durch die Größe und Erhabenheit beim Erleben des Meeres nicht zu einer "Erhebung" seines Verhaltens und seines Verantwortungsgefühls, auf See und im Hafen, veranlasst sieht, gleicht einem Tölpel, der in peinlicher Deutlichkeit einen Offenbarungseid seines kulturellen Unvermögens abgibt.

Es ist etwas Besonderes, auf dem Meer zu sein. Es ist etwas Besonderes, auf einer Yacht unterwegs zu sein. Und es sollte noch immer als Vorrecht gesehen werden, dies erleben zu können. Das Erlebnis an sich gebiert noch immer seine ganz eigenen Wunder, die es über vieles andere Erleben erhebt und eben - "adelt". Wer das Glück hat, daran teilhaben zu dürfen, sollte sich der alten französischen Regel gewärtig sein: "Noblesse oblige" - Adel verpflichtet.

Dieser Text erscheint demnächst, zusammen mit vielen weiteren maritimen Texten, in der Sammlung "Blaue Lust" als e-book