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Dass wir hier noch einmal vorbeikommen, hätten wir bis vor drei Wochen nicht gedacht, aber durch die geänderten Winter-Pläne lag das zentral gelegene Aigina auch noch einmal auf der Route - ab hier beginnt eine kleine "Griechenland-Revisited-Abschieds-Tour" bis Korfu. Der Aufenthalt hier behagt uns ohnehin, gehört Aigina doch unbedingt auf unsere "Top Ten"-Liste griechischer Häfen. Außerdem hat sich ein netter Zufall ergeben: Noch auf der Insel Serifos erreichte uns der Anruf von Freunden, die auf der Insel Malta leben und zur Zeit ein Boot von Valetta nach Aigina überführen. Schon lange haben sie uns nach Malta eingeladen - ob das nun so eine Geschichte wie mit dem Propheten und dem Berg ist, wissen wir auch nicht so genau. Jedenfalls wollen sie am 30. September oder 1. Oktober hier sein. Also bleiben wir ein paar Tage hier und erholen uns von der etwas anstrengenden Fahrt durch die Kykladen.

 

Zuweilen ergibt sich die unerquickliche Situation, dass man die Wege eines Menschen quert, der einem ganz fürchterlich auf die Nerven geht und man sich zuletzt keinen anderen Rat mehr weiß, als "auf stur zu schalten". Uns ging das dieses Jahr zuletzt bei der Kykladengruppe so. Winde aus allen Richtungen, nur nicht der angesagten. In der Stärke ebenfalls völlig willkürlich, Welle wo keine sein sollte, Gewitter entgegen aller Prognosen. Noch einmal hatten wir brav zwei Tage im Hafen von Kythnos verbracht und mehrere Gewitter abgefeiert, am dritten Tag legten wir ab. Vor dem Hafen wieder das Kykladen-Spielchen: nicht vorhergesagte Welle, Wind um einiges stärker als prognostiziert. Wir schauten kurz zum sicheren, gemütlichen Hafen zurück und dann kam eine Stimmung auf, wie man sie eben einem ziemlich nervenden Menschen gegenüber empfindet, dessen Argumenten, Schmeicheleien oder Drohungen man einfach nicht mehr entsprechen mag: ich brachte die Maschine auf Marschdrehzahl, ein gerefftes Segel wurde in den Wind gestellt und .... durch

Südspitze Insel Kea

 

Der Tag brachte dann auch im Weiteren noch einmal das sattsam bekannte Kykladen-Potpourri: Über einen Meter hohe Wellen von steuerbord, während der Wind, von der Insel Kea abgelenkt, plötzlich direkt von vorne kam, dann gar kein Wind, aber unvermindert hohe Wellen, dann die zu erwartende Düse zwischen Kea und der Attischen Halbinsel und so weiter und so fort. Wir schlossen uns im Geiste der philosophischen Schule der antiken Stoiker an, deren legitime Erben ja die Österreicher sind, die diese Stellung mit unnachahmlich stoischen Sentenzen rechtfertigen. Beispiel: "Dös ignorier i do net amoi". Also brummelte die Maschine wie üblich bei 900 Umdrehungen und wo es ging wurde so viel Tuch wie möglich in den Wind gehängt. Basta. Je mehr wir uns Attika näherten, um so freundlicher wurde die Szene und die letzten beiden Stunden segelten wir in der Landabdeckung der Halbinsel mit sanften Winden über eine fast glatte See - die Kykladen waren "geschafft". Wir hatten uns die geschützte Anavissos-Bucht im Südwesten von Attika als letzten Zwischenstopp vor Aigina ausgesucht. Sogar ein kleiner Yachthafen sollte vorhanden sein. 

Als wir in diesen einliefen, stellte sich heraus, dass auch dieser Hafen, vermutlich wie viele andere ursprünglich für Yachten vorgesehene Häfen mit EU-Mitteln finanziert und mit Wasser und Strom ausgestattet, von einheimischen Fischern annektiert und komplett mit altersschwachen Booten zugemüllt war. Es wäre genügend Platz im flacheren Teil des geräumigen Hafens für diese kaum oder gar nicht mehr genutzten Boote gewesen - aber aus welchen Gründen auch immer müssen dringend die wenigen für Yachten geeigneten Plätze mit den Schrottmühlen belegt werden. Niemand fühlt sich augenscheinlich dafür zuständig, diesem Missbrauch Einhalt zu gebieten. Wir durften dann wie einige andere Yachten auch vor dem Hafen in der Bucht ankern. Wo keine Tavernawirte um ihren Verdienst bangen, sieht es recht düster aus.
Am nächsten Morgen starteten wir dann zu unserem Etappenziel Aigina. Dazu mussten wir den Schifffahrtsweg der Großfrachter mit Destination Piräus oder von Piräus kommend kreuzen. Das Photo des Radarschirms zeigt, dass hier wirklich etwas geboten ist: jedes Strichlein ein Frachter, der von rechts oder links unseren Weg kreuzte. Rechts oben im Bild wird bereits die Südspitze von Aigina erfasst. Wieder einmal war uns das Radar eine große Hilfe, um Geschwindigkeit und Richtung der Frachter im Bezug zu unserem Boot und unserer Fahrtrichtung besser einschätzen zu können. Trotz dieses hohen Verkehrsaufkommens genossen wir die Fahrt: (sehr) moderater Seegang und endlich mal wieder ein Wind der nicht von irgendetwas in eine unberechenbare Richtung abgefälscht wurde, sondern aus brauchbarer Richtung kommend mild über den Saronischen Golf wehte, sodass Segel gesetzt werden konnten und wir gut voran kamen. Der Saronische Golf ist was Feines - wie wir feststellen konnten, kennen ihn aber viele Chartersegler nicht, weil sie sofort in die Kykladen ausschwärmen, um sich dort tüchtig durchschütteln zu lassen.

Nach einiger Zeit tauchte dann die Insel Aigina aus dem Dunst auf. Wir rundeten die Südspitze und unterbrachen unsere Fahrt in der weiten Bucht südlich des Hafens für ein erfrischendes Bad im Meer, bevor wir um vier Uhr am Nachmittag in den Hafen einliefen. Ein Platz an unserem Lieblingspier war für´s Erste nicht zu ergattern, also legten wir uns an den lauten Kai am Boulevard, um darauf zu lauern, dass am ungleich ruhigeren Pier vor dem Yachtclub auf der gegenüber liegenden Seite des Hafens ein Platz frei würde. Abends beglückte uns Aigina umgehend wieder mit einer weiteren Variation der berühmten melodramatischen Abendstimmungen:

Am nächsten Morgen konnten wir dann unseren Platz wechseln, was uns nicht nur aus Gründen des Lärms sehr gelegen kam: wir hatten festgestellt, dass unsere alte, verrostete Ankerkette nun wirklich ihren Dienst getan hatte - die Kettenglieder der am häufigsten verwendeten vorderen dreißig Meter waren so dünn geworden, dass sie beim Aufholen ständig aus der Führung des Winschrades sprangen. Außerdem verschmutzte die rostige Kette bei jeder Benutzung den ganzen Vorschiffbereich und last not least legte auch der Sicherheitsaspekt einen Wechsel nahe. Wir hatten bereits in Anavissos ein Angebot für eine Ankerkette eingeholt, das aber fast anderthalb Mal so teuer ausfiel, wie der Standartpreis. Wir verzichteten dankend, zumal wir für einen Tausch ja nicht einmal am Pier hätten anlegen können. In diesem gastlichen Hafen verführte uns also nichts, auch nur einen Cent liegen zu lassen (und hier ging es um einige hundert Euro). In Aigina jedoch wussten wir einen sehr gut bestückten Ausstatter, der wie der Sohn von Adriano Celentano (erinnert sich noch jemand?) aussieht und amüsanter Weise die Lust an der dramatischen Geste mit diesem teilt. Sein Preis für die Kette war auch akzeptabel, ich orderte exakt 77 Meter. Wieso das? Unsere letzte Kette hatte 75 Meter und es passierte uns mehrere Male, dass wir uns bei großzügigem Ausbringen des Ankers skurriler Weise fast immer exakt um einen Meter verschätzt hatten. Also: der fehlende Meter plus eine Zugabe zur Sicherheit. Wir sind gespannt, ob uns jetzt wiederum der berühmte Meter fehlen wird... Adriano (ich nenn ihn jetzt einfach mal so) zerrte also kurzerhand das Blechfass mit der Kette vor den Laden und zog unter ohrenbetäubendem Gerassel unsere 77 Meter heraus, immer entlang der Gasse hin und her ohne auf Fußgänger und Zweiräder zu achten. Dann trennte er die Kette vom Rest, verpackte sie in die Tonne und stellte diese auf einen alten Sackkarren. Mehr Kundenservice gab´s nicht - eigentlich hatte ich auf Anlieferung ans Pier gehofft. Auf einer alten Sackkarre ca. 110 Kilo Kette durch dichten mittäglichen Verkehr einen halben Kilometer weit zu schieben ist ein unvergessliches Erlebnis. Beim Auslegen der Kette am Pier dann die nächste Überraschung: Adriano hatte uns zwei Ketten verkauft: das letzte Viertel war nur mit einer Schnur an dem längeren Teil angebunden. Ich radelte zu Adriano zurück, der umgehend mit Verve das Stück "Kann ich gar nicht glauben" gab und mich zum Boot begleitete, um festzustellen, ja- das sind wirklich zwei Ketten. Zurück zum Laden, ich forderte ein Edelstahl-Bindeglied und suchte noch ein Edelstahlgelenk aus, das dem Anker erlaubt, sich an der Kette frei zu drehen, um sie nicht zu verwirbeln. Gratis! forderte ich. Adriano schaute mich an, als ob ich ihn auf´s Schwerste beleidigt hätte, nur um sofort das Stück "grenzenlose Verzweiflung" zur Aufführung gelangen zu lassen. Es entspann sich ein Duell der Augen und knappen Sätze und ich versuchte, das erste Mal zu feilschen wie ein Berber - einfach, weil das mit Adriano so viel Spaß machte und ich seine dramaturgischen Fähigkeiten noch eine Weile genießen wollte. Ergebnis: Drehgelenk zum halben Preis, Kettenglied gratis, Ersparnis 15 Euro, gegenüber deutschen Preisen sogar ca. 40 Euro. Nun gut - ich verließ schmunzelnd den Laden, Adriano beugte sich kramgebeugt über seinen Ladentisch - letzter Akt: der sterbende Held. Die Ketten auszuwechseln war dann in einer halben Stunde erledigt: ablegen, mit dem Bug voraus ans Pier (unser Nachbar bot uns freundlicher Weise an, unser Heck kurz an seinem Boot fest zu machen, damit wir keinen Heckanker ausbringen mussten), dann ein neues Anlegemanöver und jetzt liegen wir am ruhigen Kai des Yachtclubs und bereiten uns bis die Freunde aus Malta eintreffen für unsere nächste Etappe vor: durch den Kanal von Korinth, dann durch den Golf von Korinth und Patras und dann noch entlang der Ionischen Inseln nach Norden bis Korfu.

Zuletzt noch ein paar Bemerkungen zu einem Kommentar über dieses Logbuch - "Der mag Griechenland ja gar nicht".

Zeit: gestern Abend, ca. 17:00 Uhr, Ort: Segelclub-Steg, Hafen Aigina. Wir arbeiten an den Computern und haben dazu unseren Generator eingeschaltet, auch um die Bordbatterien etwas aufzuladen. Den Generator haben wir mit einem langen Kabel etwas abseits gestellt, damit er niemanden stört, was er, soweit es die am Steg liegenden Yachten betrifft auch nicht tut. Am Stegkopf liegt jedoch zusätzlich ein Schiff, das Aigina mit Wasser versorgt, da die Quellen der Insel nicht ausreichen. Das Wasser wird mit einer kräftig rumorenden Pumpe vom Schiff in das örtliche Leitungssystem bzw. ein Reservoir gepresst.

Plötzlich sind die Bildschirme unserer Computer schwarz - jemand hat ohne uns zu fragen unseren Generator abgestellt. Die Yachties kommen wahrscheinlich nicht in Frage - es gibt ein paar ungeschriebene Gesetze, unter anderem, das Eigentum anderer Yachties zu respektieren. Sehr schnell ist klar, dass die Übeltäter auf dem Wasserschiff sitzen. Die Männer geben nicht nur umgehend zu, den Generator eigenmächtig abgeschaltet zu haben, sondern beschimpfen mich, als ich protestiere, zusätzlich mit dem landesüblichen "Malakka" (Vixer, Arschloch) - nicht ein Mal sondern mehrere Male. Wir verstehen das vollkommen, haben wir doch die Erfahrung gemacht, dass die Griechen das leiseste, sensibelste und lärmempfindlichste Volk der Erde sind und selbst ein griechischer Hilfsarbeiter Segler aus aller Herren Länder in diesen Disziplinen um Längen schlägt, sodass es geradezu ein menschliches Grundrecht für einen Griechen bedeutet, ungeachtet der Folgen jegliche, auch die kleinste Quelle von Lärm umgehend zu eliminieren. Als wir unsere Laptops wieder zu starten versuchen, ist ein Laptop "tot", tut keinen Mux mehr, auch bei weiteren Versuchen. Wahrscheinlich eine Spannungsspitze beim plötzlichen Ausschalten des Generators während die Laptops noch angeschlossen waren. Das bedeutet einen Schaden von ca. 2500 Euro und den Verlust einer ganzen Menge von Daten.

In Deutschland würden wir nun eine polizeiliche Anzeige wegen Sachbeschädigung und gegebenenfalls gleich noch wegen Beleidigung aufgeben, die Adressen der (zahlreichen) Zeugen dieser Szene angeben (die sich auch umgehend von sich aus als Zeugen anboten) und das Laptop als Beweismittel hinterlegen. Henk, ein befreundeter holländischer Segler, der ebenfalls Zeuge dieser Szene war und auch einige Jahre in Griechenland gesegelt ist, meinte zu dem Fall nur bedeutungsvoll, dass wir uns eben in Griechenland befänden. Wir wissen, was er meint, weil wir uns wirklich für dieses Land interessiert haben (und es wurde uns immer klarer, dass ein detaillierteres Interesse nicht immer nur Schmeichelhaftes für ein Land erbringt...). Und eben weil wir in den drei Segelsommern unseres Aufenthaltes in diesem Land viel erlebt, erfahren und gehört haben, wissen wir, dass es völlig müßig wäre, eine Anzeige zu erstatten, und das Ganze in dieser Hinsicht am besten schnell vergessen. 

Wir haben natürlich in Griechenland auch sympathische Menschen kennen gelernt. Die gibt es hier wie in jedem Land der Erde. Und wir haben es überwiegend genossen, hier drei Sommer lang zu segeln. Es gibt schöne und gute Seiten an Griechenland, sonst wären wir nicht drei Sommer lang hier geblieben - wir neigen nicht zum Masochismus. Aber Griechenland pauschal mögen? Ich will es mal so ausdrücken: ich würde in Griechenland nie ein Haus kaufen, beruflich tätig werden oder mich in irgendeiner Weise gesellschaftlich binden. Ein Segelurlaub kann jedoch sicher eine schöne Erfahrung sein. Bei einem längeren Aufenthalt wird man sich jedoch entscheiden müssen, ob man sich mit Scheuklappen der Konfektionsgröße XXL wappnet, oder sich, zwangsläufig aber unbequem, auch mit den schwierigeren Aspekten des Landes auseinandersetzt. Wenn in diesem Logbuch ab und zu auch Kritisches über Griechenland vermerkt ist, dann aus einer gewissen Besorgnis über die Schlüsse, die daraus gezogen werden können. Aus geopolitischen und militärischen Gründen mag es irgendeinen Sinn machen, dass Griechenland in der EU ist. Davon verstehe ich zu wenig. Soweit es jedoch meine Beobachtungen und Recherchen in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht betrifft, wäre mir unter Berücksichtigung einiger Aspekte mitunter wohler, wenn mein Heimatland nicht mittelbar mit Griechenland verbunden wäre.