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Mein "Weihnachtsbild" 2014 heißt "Notwendige Dinge" und besitzt einen gewissen Hintersinn. Ich hab es schon vor einigen Jahren gemalt und zufällig wieder gefunden, ebenso wie einen Text, den ich 2002 schrieb, während ich innerhalb von 10 Tagen meine komplette bisherige Existenz "zusammenklappte", weil ich mit Elisabeth auf ein Segelschiff ziehen wollte. Vielleicht regen Text und Bild gerade jetzt in der Weihnachtszeit, wo materielle Dinge wieder so wichtig zu sein scheinen, zu einer kleinen persönlichen Meditation an. Hier also auch noch der Text, der zwar unabhängig vom Bild entstand, aber doch so schön dazu passt:

Verkaufen, verschenken, wegwerfen

Dass vom Leben nur Staub übrigbleibt, haben bereits ganze Nonkonformistenheere romantischer Lyriker beschrieben und weil es als Metapher so schön aussieht, durfte der Wind diesen Staub dann in alle Richtungen wehen – "... we are dust in the wind, everything is dust in the wind ...". Ich muss nur niesen. Überall graubraune Wolken. Unter und auf den Schränken, in und auf den Büchern, hinter´m Fernseher. Bringen dreihundert Quadratmeter Wohn- und Arbeitsraum mit mehreren tausend Büchern, Bücherschränken, Schallplatten, Musikinstrumenten, Regalen, Sofas, Sesseln, Schreib-, Arbeits-, Zeichentischen und Bergen von Papier das einfach mit sich?

Meine Existenz, die bei ihrer Auflösung in Staub zu zerfallen scheint. Und plötzlich will ich alles, aus dem dieser Staub heraus und herab rieselt, nicht mehr haben. Verkaufen, verschenken, wegwerfen. Weg.

Ab und zu flattern Erinnerungen vorbei, während ich einen Gegenstand unschlüssig in der Hand drehe. Oft eher kleine, unscheinbare Dinge. Verschenken? Verkaufen? Wegwerfen? Bin ich das in den Erinnerungen? Ist der Gegenstand, den ich in der Hand halte die Erinnerung? Funktioniert die Erinnerung auch ohne den Gegenstand? Funktioniere ich ohne den Gegenstand, oder gar ohne die Erinnerung? Bin ich heute noch der, an den ich mich erinnere? Will ich, kann ich der noch sein?

Wie ein feiner Dauerton schleicht sich Angst ein, dass es mich nicht mehr gibt ohne die Dinge. Dass ich wirklich verschwinde wie der Staub, der um mich herum wirbelt. Das Haus, der Garten, meine Bücher, Möbel, Noten, Bilder. Das Haus ist verkauft, der Garten auch und da wo ich hingehe, ist kein Platz für die Dinge. Also bleiben nicht die Dinge übrig, sondern die Erfordernis, sie loszuwerden.

Staub. Ich werfe weg, verkaufe, verschenke. Ich will nicht gewesen sein, wie die Dinge, ich will sein. Vielleicht erinnere ich mich später hin und wieder. Nicht an die Dinge. Aber vielleicht an Situationen, aus denen sie stammen. An Menschen, mit denen ich diese Situationen erlebt habe. An mich selbst – und das ist das Schwierigste. Weil ich der ja gar nicht mehr bin. Weil sich in mir etwas gewandelt hat, gewachsen ist, das damals noch gar nicht da war.

Im Lauf weniger Jahre erneuern sich viele Zellen unseres Körpers fast komplett. Sie erhalten die Information, wie sie sich erneuern sollen, von den alten Zellen und sie nehmen neue Einflüsse auf, nach denen sie sich ausbilden. So heilen Narben und so entsteht Krebs. Ich überlege, wie viel jetzt noch wichtige Erinnerung in meinem Haus und in den Dingen steckt und komme mir plötzlich so nackt vor, als ob ich ohne Hemd im Winter auf einem kahlen Feld stehen würde. Bekommt meine Seele jetzt Krebs, weil sie nicht mehr durch die Dinge und ihre Erinnerungen geschützt ist?

Aber sie selbst ist doch kein Ding. Vielleicht grade deshalb aber braucht sie die Dinge. Oder es wird sehr wichtig, ob die Erinnerungen auch ohne die Dinge funktionieren. Ob sie mich auch ohne Hilfsmittel schützen? Schützen mich die Erinnerungen überhaupt? Es gibt so viele schmerzliche, peinliche, enttäuschte. Also ist es besser, die Erinnerungen zusammen mit den Dingen wegzuwerfen? Aber was bin ich ohne die Erinnerungen? Ein seelischer Kaspar Hauser? An was werde, an was will ich mich überhaupt noch erinnern? Ich will SEIN. Jetzt.

Und während ich zwischen den Dingen stehe, die ich nicht mehr haben will, in dem Haus, in dem ich nicht mehr wohnen werde, weiß ich, dass ich nichts verlieren werde, solange ich mir meiner selbst bewusst bin. Weil alles in den Zellen meiner Seele gespeichert ist. Nicht alles als Erinnerung. Viel wichtiger: Als Erfahrung. Die Erinnerungen, die für die Erfahrung wichtig waren, werden bleiben. Und Erfahrung ist das "leichte Gepäck", das uns erlaubt, uns von den Dingen zu befreien, ohne uns selbst zu verlieren – und weiter zu gehen. Zu neuen Dingen, neuen Erlebnissen, die zu Erinnerungen und Erfahrungen werden.

Ich klopfe mir den Staub ab und arbeite weiter. Heiter, gelassen. Und erinnere mich ein wenig, während die Dinge durch meine Hände gehen.

"Es gibt keinen Tod. Es gibt nur die Angst vor dem Tod. Und die kann man heilen". (Heidegger)