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Bild oben: Für die richtige Perspektive drehen Sie Ihren Bildschirm bitte in der halben Gradsumme eines gleichseitigen Dreiecks rechtsläufig....

 

Pyt(h)agor(e)io, Insel Samos, 14. Juli 2005

 

.... das war doch "der mit dem Dreieck tanzt"? Ja - da kommen verstaubte Erinnerungen aus der Gymnasialzeit hoch (....hallo, Fräulein Rentschler - ... mittlerweile -selig vermutlich.....). Wissenschaft, Kunst, Kultur und andere Kreativitäten sollen hier einst wild gewuchert haben und HIER, ja, hier an diesem nicht nur von gnadenlos herabbrennender Sonne, sondern einst auch vom Licht des Wissens beschienen Ort soll er geboren sein, gelebt und gewirkt haben (eins davon oder alles zusammen - der Reiseführer bleibt mal wieder kryptisch). Prompt komm ich aus dem Photographieren gar nicht mehr raus. Aber nicht mit meinem eigenen Apparat. Mehrmals mache ich zwar Anläufe, das Denkmal am Hafen abzulichten, aber jedes Mal, wenn ich endlich eine interessante Perspektive erwischt habe..... spricht mich wer freundlich bittend von der Seite an "Would you please be so kind....". Bin ich doch gerne: Tante Joyce und Collgeboy Berny - mit IHM. Seht her, ihr zu Hause Gebliebenen - so schön kann Bildungsurlaub sein. Mit Pythi "Reach out for the Angle" in südlicher Sonne. Wenn das kein Grund für ein breites "Cheeeeeese" ist.....

Wir sind in der Stadt des legendären Genies gelandet, der mich mit seiner blöden Geometrie schon im zartesten Alter genervt hat. Quadrat - A...., praisischer, sakradi nochamal. Zum B-Quadrat sei vermerkt, dass unsere Befürchtungen berechtigt waren: das ist hier so ein Touristenörtchen, wie es als Vorzeigestück in jeden Klischeekatalog aufgenommen werden könnte. Das pittoreske Städtchen!! Pah - unterer Durchschnitt, da war ja Alt-Vathi eine Sensation, geradezu ein Weltkulturerbe, dagegen (von Mesta (s. "Chios") ganz zu schweigen). Wenn da nicht die Nippeslädchen wären, wär´s ein tristes Provinzkaff. Der malerische Hafen!! Brechend voll mit dicht an dicht zusammen gepressten Booten und fast durchgehend bis spät in die Nacht ein lauter Jahrmarkt, auf dem man tot getrampelt wird: Dürftig und (im besten Falle) geschmacksneutral gekleidete Menschenhorden ziehen direkt am Boot vorbei und glotzen einem fast das Buch, die Zeitung, das Abendessen, das Bier vom Tisch - man dient als kostenlose maritime Kulisse für die dicht an dicht aufgereihten Tavernas, ohne dass dies nun für einen selbst kostenlos wäre (so als kleine Gegenleistung?): nicht mal Grundversorgung ohne teuerste Bezahlung. Wir werfen jedenfalls lieber Anker in der Bucht des Vorhafens. 

Was ein nahegelegener Flughafen (dessen Geschosse beim Start mehrmals täglich in wenigen Metern Höhe direkt über´s Boot donnern) und die Tipps der Revier- und Reiseführer so anrichten, ist hier anschaulich zu besichtigen. Der Revier - Führer Rod Heikell lobpreist diesen Ort nichtsdestotrotz und macht Vathi nieder, wohl weil es seinem persönlichen Neckermann-Touristik-Standart nicht entspricht. Dort hatten wir aber sicheres Anlegen mit viel Platz, eine interessante Altstadt, herrliche Aussicht, Wasser und Strom, gute Einkaufsmöglichkeiten. Dass neben dem Boulevard eine Straße langging, auf der ab und zu Autos und Motorrädchen in griechischer Manier (knatternd, quietschend) vorbei kurvten, störte uns da wenig. Vor allem, da wir am abendlichen Boulevard einige nette Bekanntschaften mit Einheimischen und "Zugereisten" machten. Orte wie Pythagoreio findet man dagegen dutzendweise in jedem Pauschalurlauber-Papp-Paradies. Aber wenn´s der Reiseführer doch so lobt.... Zu unserer Entschuldigung: wir sind wegen des Wetterwechsels hier gelandet. Bei dem steifen Nordwind, der inzwischen herrscht, kann es in Vathi doch recht ungemütlich werden.

Aber die gähnende Leere hat Vathi nach unserem Dafürhalten so wenig verdient, wie Pythagoreio seinen massiven Touristenauftrieb. Ein anderer Grund für die Leere in Vathi könnte in einem weiteren Herdenverhalten liegen: Das neue Nirwana der Seglerszene liegt so nah: die Türkei. In dieser Neuen Welt fließt, glaubt man den zeitgenössischen Pilgervätern, die metaphorische Milch mit Honig im Überfluss aus jedem Loch: so sauber! - und komfortabel! - und billig! - und freundlich! Vor dreißig Jahren hatte Griechenland einen ähnlichen Hype. Seit das Land jedoch in der EU ist, scheint es Segler als einstige Tourismuspioniere kaum mehr nötig zu haben und wenn, dann bitteschön im rentablen 20er-Pack, sprich: von einem Leithammel angeführte Flottilien, die sich brav am Abend in diejenige Taverna abschleppen lassen, mit der der Flottilienhammel die höchste Umsatzbeteiligung erfeilscht oder erpresst hat. Die Türkei versucht nun, wie einstmals Griechenland, sich (unter anderem) via "Seglerdorado" als europatauglich oder wenigstens "eurosympathisch" zu empfehlen. Die nächstgelegene Visitenkarte liegt in Sichtweite von Samos, einen knappen Segeltag entfernt und gibt sogar dem Golf, in den Samos eingebettet ist, den Namen: Kusadasi. "Wunderschön!" - und prompt kommen Segler höchstens noch kurz zum Ausklarieren nach Vathi-Samos, und dann mit fliegenden Segeln ab nach Osten. Ganz ketzerisch sei nebenbei noch angemerkt, dass man sich bei einem Blick auf die Seekarte wundert, wieso die östliche ägäische Inselkette, direkt vor der türkischen Küste gelegen, nicht auch zur Türkei gehört. Geographische Gründe können nicht ausschlaggebend sein. Mentale Gründe? Nach meiner Beobachtung auch nicht. Kulturelle Differenzen? Nach dem semiorientalischen Gejammere und Schalmeien, das hier weithin aus jedem Autoradio zu hören ist, sind wir hier längst in Kleinasien. Bleiben noch Politik und Religion. Für Letztere als Grund sprechen ca. 5678493 "neubyzantinische" Kirchen und Kapellen mit denen Griechenland zur Selbstvergewisserung der christlichen Ausrichtung im Gegensatz zum Islam des Nachbarn möbliert ist. Und das wiederum ist hoch politisch......
Oben links: Der beschaulich-bescheidene, ja - fast protestantisch anmutende Kirchturm (wenn das ein orthodoxer Pope liest, wird das Türmchen sicher umgehend gesprengt). Mitte: nach "TUI"(ALLES - aber günstig)-Kriterien malerisches Sträßchen. Rechts: Die Hafenmeile weist auf ganzer Länge unübersehbar die wirklich essentiellen Attraktionen des Ortes aus.

 

Es gibt natürlich auch in Pythagoreio einige rings um den Ort verstreute Steinhalden. Wer in Griechenland irgendwo beliebig einen Spaten in die Erde steckt, legt unweigerlich irgend eine Agora, einen Tempel oder wenigstens ein Gotteshaus frei. Passender Weise sticht man am besten in der Nähe eines Touristenörtchens ins Erdreich - das adelt selbst das letzte Nest ganz gewaltig. Man könnte fast argwöhnen, dass man etwas veräppelt wird, wenn man vor ein paar unscheinbaren Bruchsteinmäuerchen steht, wie sie landauf, landab in jedem Olivenhain mühsam die wenige Erdkrume am Abrutschen hindern, hier jedoch ein Schild die Mäuerchen kurzerhand zum echt antiken Marktplatz erklärt - auch wenn das Gelände zur Unterstreichung seines historischen Anspruchs mit einem übermannshohen "Moschendrohtzoun" verhaut ist. Darüber hinaus buddelten entzückt-entrückte Archäologen auch hier so lange, bis sie Andachtsraum und Abtritt eines längst vergangenen War-Lord freigelegt hatten. "Ich war eine frühchristliche Basilika":

Ansonsten thront die vorsäkular-brüderliche Einigkeit von Kirche und Staatsmacht als anschaulich - solitäres Paar überm Feriengelärme (unten) - interessiert nur kaum einen (kein Frappee, kein Bier, keine Pizza und kein knapp verpackter Busen weit und breit...). Ein nicht umzäuntes Ausgrabungsfeld in der Nähe wird auch nur deshalb massenhaft besucht, weil mittendurch ein Trampelpfad zum Strand führt.

Wozu auch suchend nach kaum noch erkennbaren Zeugnissen längst vergangener Geschichte durch die Hitze irren? Direkt neben der Tavernameile am Hafen gibt´s die komplette griechisch-hellenistische Kultur in fluggepäck- und kaminsimskompatiblem Format. ("Nehm ich jetzt meiner Alten die Helena mit, oder die Iphigenie? Die bringt´s fertig und rennt dann mit der gleichen Frisur rum und macht mich zum Sokrates, die Xanthippen, die greisliche...."): 

Man merkt eben, dass Marmor in Griechenland keine Mangelware ist - spätestens auf dem Friedhof hinterm Ausgrabungsfeld: praemortale Atembeschwerden befallen mich, wenn ich mir mit dem Reichtum meiner blühenden Phantasie vorstelle, dereinst unter einer solchen Tonnenschwere begraben zu werden:

Zum C-Quadrat summiert sich das "Ceterum Censeo", es gerinnen mir meine launig - sarkastischen Ironien zu gehässig - galligem Unflat, wenn mal wieder solch ein wackliger, zum "Dayly Cruiser" hochstilisiert- und gepinselter Ex-Fischer-Kahn, vollbeladen mit lärmigen, krebsrot verbrannten Dumpfsäcken aller Nationalitäten durch die Bucht knattert. Sirtaki-Gedudle schallt bereits eine Viertelstunde vor dem Auftauchen der blöden Dschunken als Herold ihrer Bräsigkeit voraus. Animations-Befehle werden mit Megaphon über das Acht-Meter-Deck gebrüllt, als ob die gesamte Länge eines Luxusliners informiert werden müsste: "say KALIMERA", "K_A_L_I_M_E_R_AAA!!!" ("Trudi, wir haben sogar Griechisch gelernt da.....") und dann: Klatschen im Sirtakitakt, das ist ein Rhythmus, wo jeder mit muss - KLATSCHEN! "ALL TOGETHER!". Jetzt sind sie in der Bucht, fahren in Halbmeternähe mit Vollgas an jeder Yacht vorbei, damit die Passagiere ja nicht verpassen, was in den Cockpits passiert (schau, Willi, die essen da ....). Für "Diskretion" wird im Wörterbuch zwar eine griechische Übersetzung angeboten, die jedoch offensichtlich kein Teil des bei Vergnügungskapitänen gebräuchlichen Wortschatzes zu sein scheint. Alle glotzen wie mit schwerstem Exophthalmus (krankhaftes Hervortreten des Augapfels, landläufig auch "Glupschauge" genannt) geschlagen. Waaaahnsinn - da steht einer auf der Badeleiter am Heck! Gemessen an der Faszination dieses Anblicks kann man sich doch jede griechische Statue glatt schenken, auch wenn die oft nicht mal eine Badehose überm Schniedel hat. Dann geht die Fahrt noch kurz mitten durch die erschreckten Schwimmer am Badestrand - ist das ein Spaß. Für 10 Euro ein echtes Schnäppchen - vor allem gemessen an der alltäglich-öden Langeweile beim Hautkrebs fördernden Gegrilltwerden. Deppenurlaub auf Ballermann-Niveau.

Sich an dem Jahrmarkts-Boulevard mit anderen Booten um ein beengtes Plätzchen zu rangeln war ohnehin keine allzu attraktive Möglichkeit. Aber angesichts des aufkommenden Starkwindes, der wohl wieder einige Tage andauern wird und mit der Aussicht, ständig als Touristenattraktion herhalten zu müssen, verfügen wir uns auch aus der Bucht, nur wenige hundert Meter an der Küste entlang, in die durch eine kleine Landzunge von Bucht und Hafen wohltuend getrennte Marina. Die ist zwar noch nicht ganz fertig, nur wenige Boote liegen verstreut an den funkelnagelneuen Stegen, aber Wasser, Strom und ein sicherer Mooring-Liegeplatz sind schon zu haben für die Hälfte eines ohnehin günstigen Grundpreises. Ich habe in den nächsten Tagen einige dringende Arbeiten zu erledigen, die Ruhe und Konzentration erheischen und dafür ist dieser Platz geradezu hervorragend geeignet. Das Einzige, was hier noch fehlt, sind etwas Infrastruktur, Abfüllstätten für Speis und Trank - und aufdringliche, lärmende Menschen der TUI-Fraktion. Es wird aber etwas in reicher Fülle geboten, was in Griechenland immer mehr zur Mangelware wird: Himmlische Stille rund um die Uhr..... Und wenn wir diese doch mal unterbrechen wollen, sind wir in wenigen Minuten mit dem Beiboot oder zu Fuß im malerischen Hafen des pittoresken Pythagoreion.