zurück zur Logbuch-Übersicht

 

 

Insel Inuses / Chios, 05. Juli 2005

 

Ein kurzer Schlag von der Marmaro-Bucht im Norden der Insel Chios und wir legten wieder an im Hafen der kleinen Insel Inuses, knapp vor der türkischen Küste gelegen; einem durch kleine vorgelagerte Inselchen sehr idyllischen Hafen (Bild oben). Durch seine versteckte und doch zentrale Lage vor der Küste Kleinasiens war die Insel immer wieder Versteck für verschiedenste Menschen, nicht zuletzt war es immer wieder ein berüchtigtes Seeräubernest. Heute sind die Nachfahren als Seeleute und Reeder auf allen Weltmeeren zu finden, was jedoch nicht bedeutet, dass auf ihre maritime Einschätzung viel gegeben werden kann (s.u.). Bei einem Gang durch das kleine Örtchen entdeckt man immerhin viele Zeichen einer wechselvollen Geschichte - und teilweise bitterer Armut und fortschreitendem Zerfall, Seit an Seit mit farbenfrohen neuen Ferienhäusern der "Seeleute" (?), die ihre Ferien auf ihrer Heimatinsel verbringen:
Leider dauerte die beschauliche Idylle nur bis zum Abend. Dann legte auch hier der örtliche "Bums-Laden" direkt gegenüber unserem Steg los und steigerte im Lauf des Abends die Lautstärke so weit, dass an Schlaf nicht zu denken war. Erbittert wanderte ich zur Port Authority, um meine zuvor kassierten Papiere abzuholen, damit wir auslaufen konnten. Lieber eine Nachtfahrt als Klangmüll, der eventuell bis fünf Uhr morgens andauert. Der Officer war, obwohl ich ihn eine halbe Stunde Nachtruhe kostete, sehr verständnisvoll, und erklärte, dass ihm der Lärm (wir waren uns schnell darin einig, nicht von "Musik" zu sprechen) auch auf die Nerven gehe. Als ich kurz vor zwei Uhr das Schiff fertig zum Ablegen klariert hatte, flaute der Lärm ab, kurze Zeit später kehrte Ruhe ein. Während ich endlich todmüde in der Koje lag, meditierte ich beim Einschlafen darüber, wer um Himmels willen für die flächendeckende Verbreitung dieser Unzucht verantwortlich ist, oder gegebenenfalls, warum niemand dafür verantwortlich scheint, dem Einhalt zu gebieten, wenn es selbst den Einheimischen auf die Nerven geht? Da ahnte ich allerdings noch nicht, was später auf uns zukommen sollte ....

Immerhin konnten wir so am nächsten Morgen noch das kleine Nautische Museum am Hafen besuchen: Hauptsächlich eine Sammlung liebevoll gearbeiteter Schiffsmodelle aus allen Epochen der Seefahrt. Teilweise über zwei Meter lang (zum Beispiel das oben abgebildete Modell, das ich wegen seiner Länge aus 6 Detailphotos montiert habe) und von beeindruckender Detailtreue, dazwischen einige maritime Versatzstücke.
Bei den Materialien der Modelle wurde an nichts gespart: viele Modelle sind ganz oder teilweise aus Elfenbein geschnitzt mit ziselierten Einlagen aus Edelhölzern. Jedes der Stücke ist ersichtlich mit dem Arbeitsaufwand hunderter Stunden entstanden und muss ein kleines Vermögen gekostet haben.

Nach dem Museumsbesuch standen wir etwas unschlüssig am Steg und berieten die Lage. Die Wettervorhersage war generell nicht ungünstig, aber einige Details gaben Anlass zu der Sorge, dass unter den besonderen Bedingungen der Meerenge zwischen Chios und dem türkischen Festland Düsen entstehen könnten. Auch hatte "Wetter-Online" die Möglichkeit von etwas Regen vorhergesagt. Aber die Aussicht, am Abend wieder beschallt zu werden, lies uns doch mit der Abreise liebäugeln. Am Steg plauderten einige offensichtlich einheimische Männer mit Schiffermützen. Wir spekulierten, dass auf der "Seefahrerinsel" von Einheimischen, die auch das Seegebiet vor ihrer Haustüre kennen müssten, vermutlich profunde Auskünfte zu erhalten wären. Also erheischten wir von den Mannen ihre Beurteilung der Lage für eine Passage der Meerenge zum gegenüber liegenden Hafen Lagkada, der äußerst pittoresk sein soll (wir werden es wohl nie erfahren....). "No problem!" schallte es uns mit dem Impetus versierter Sachkenntnis entgegen. Na also - wir liefen aus. Schon kurze Zeit später frischte der Wind auf. Im Vertrauen auf "unsere" Spezialisten fuhren wir weiter, bis wir uns mitten auf der Meerenge befanden. Aber es wurde nicht besser: der Wind heulte uns mit schauerlichen 7-8 Beaufort um die Ohren, die Welle stieg von Minute zu Minute. Umdrehen war inzwischen auch keine Alternative mehr, also kämpften wir uns weiter durch den Schlamassel. Über Funk hörten wir "Pan-Pan"-Hilferufe von in Seenot geratenen Frachtern(!), am Rand der Meerenge beobachteten wir das Schiff der Seenotrettung, das mühsam nach Norden gegen die hohen Wellen anstampfte. Dann kam uns noch ein großer Frachter auf unserem Kurs in die Quere und ich stellte die Unity mit dem Heck gegen Wind und Welle, um ihn passieren zu lassen. Augenblicklich war die Macht der Wellen deutlich gemildert und auch der Wind fühlte sich weniger wild an. Bei einem Blick auf den Kartenplotter stellte ich fest, dass wir nun einen Kurs geradewegs auf den Haupthafen von Chios zu fuhren - nur wenige Seemeilen weiter, als unser ursprüngliches Ziel, aber mit Wind und Welle von hinten wesentlich ungefährlicher und kommoder zu erreichen. Also "verzichteten wir weise auf den Rest unserer Reise", behielten den südlichen Kurs bei und liefen, nun mit ordentlich Zusatzschub von hinten und etwa tausend Wellen später, im Haupthafen von Chios ein.

"No problems" - Ansteuerung auf Chios : das Meer hat sich zu Schaumbergen von über einem Meter Höhe aufgetürmt, es regnet und 8 Bft Starkwind pfeifen durch die Meerenge. Die Unity krängt ohne Segel 10-20 Grad: eine der "heftigsten" Fahrten, die wir bisher absolvierten - ab jetzt verlassen wir uns lieber wieder wie bisher auf unsere Infos aus dem Internet. Der "wetterkundige Einheimische" gehört wohl eher ins Reich der Folklore....

 

Im Haupthafen von Chios nun schien es, so groß das Hafenbecken war, "keinen Raum in der Herberge" zu geben. Die Plätze, die im Plan für Yachten ausgewiesen waren, wurden größtenteils von einheimischen Yachten mit Beschlag belegt und als wir doch noch ein paar Lücken entdeckten, wies uns ein junger deutscher Segler (der selbst einen der Plätze belegte), wichtigtuerisch darauf hin, dass wir hier aber nicht anlegen dürften, was sich später als Fehlinformation herausstellte. Also legten wir eben vorerst am Frachtkai in der Nähe des langen Boulevards an. An dieser Stelle eine Bemerkung zum Thema "junge deutsche Yachties": In Psara lief am ersten Tag unseres Aufenthalts eine kleine deutsche "Hanse"-Yacht ein. Wir lagen bereits sicher, hatten die Lage am Steg sondiert und bedeuteten dem Skipper, dass wir einen Angler, der am einzigen noch geeigneten Abschnitt des Piers saß, bitten würden, Platz zu machen. Als Antwort kam vom Bötchen nur eine arrogant-wegwerfende Handbewegung. Dann gab der Skipper Gas und fuhr mal eben über alle Angeln und Schnüre hinweg an den Steg (was auch an der Wellenanlage seines Bootes Schäden verursachen kann). Es war höchst peinlich. Einem freundlichen Einheimischen gegenüber, der uns zuvor geholfen hatte anzulegen, konnte ich mein (deutsches) Gesicht nur noch mit der Bemerkung wahren, dass es eben leider manche Deutsche gibt, die grundsätzlich alles besser wissen. Er grinste vielsagend.... Das Paar benahm sich denn auch weiterhin peinlich: die großspurige Show wurde mit jeder Geste abgezogen - für wen? Die unkomplizierten, freundlichen Leutchen von Psara? Die grinsten nur - und sind oft weiter gereist als viele Spinner, die meinen, hier den "Großen Max" geben zu müssen - der Tavernawirt kochte bereits in Sydney und Honkong, sein Lamm war ein Gedicht (der Tintenfisch war allerdings eher ein Schüttelreim). Oder galt das Getue gar uns? Wie naiv. Gott sei Dank nutzte das Pärchen am nächsten Morgen den letzten Tag vor Einsetzen des Meltemi, um wieder auszulaufen. Der Jungskipper in Chios war ganz offensichtlich ein "Bruder im Geiste". Es liegt durchaus etwas negativ Faszinierendes darin, wie es manche Menschen mit subtiler Deutlichkeit verstehen, den Nimbus des arroganten Besserwissers bereits mit den ersten Worten zu vermitteln - nur damit man später feststellen kann, dass das, was sie mit bedeutsam-überheblicher Geste absondern, getrost in die Kategorie "Bockmist" einsortiert werden kann: selbstverständlich konnte man sich an den zuvor erwähnten Yachtsteg legen, so lange die Liegeplatzinhaber auf (oft mehrwöchigem) Törn sind - nach uns taten das (in Abwesenheit des schlauen Jungskippers) eine ganze Reihe von Booten - und wir am übernächsten Tag auch, nachdem uns die dumme Fehlinformation einige Nerven gekostet hatte:

Am Abend bekamen wir eine bebilderte und nicht zuletzt beschallte Version des Ausdrucks "vom Regen in die Traufe" präsentiert. Waren wir aus Inuses geflohen, weil wir nicht noch einmal bis zwei Uhr morgens beschallt werden wollten, tanzte hier der Bär am zwei Kilometer langen, dicht an dicht mit Lokalen bestückten Boulevard mit allem landläufigen Klangschrott in Megalautstärke bis morgens um Fünf (!). Schalmeienrock, weinerliche Endlossuaden, Dumpfgewummere - alles fröhlich durcheinander. Ich hatte am Nachmittag einen "Spiegel" ergattert und nun gute Gelegenheit, ihn gründlich von vorn bis hinten durchzulesen, bis an Schlaf auch nur zu denken war. Am nächsten Tag legte neben uns eine große türkische "Güllet" (eine größere, vergröberte Variante unserer Nauticat aus Vollholz) mit freundlicher Besatzung an. Entweder dieses Schiff bot uns exzellenten Schallschutz, und/oder am nächsten (Montag) Abend war die Fiesta am Boulevard nicht ganz so laut - jedenfalls kamen wir ab da auch in Chios zu unserer Nachtruhe, nicht zuletzt nachdem wir uns doch noch an den etwas abseits gelegenen Yachtkai (s.o.) verholt hatten.

Der Vergnügungsboulevard am Hafen von Chios - sieht hübsch aus, aber wenn ich die entsprechende Klangkulisse auf dieser Seite wiedergeben könnte, würden wahrscheinlich alle Leser erschreckt wegklicken...

 

Bei unseren Streifzügen durch die Stadt konnten wir uns wieder einmal davon überzeugen, dass es in Griechenland äußerst beliebt ist, an jedem geeigneten und ungeeigneten Ort Marmorbüsten, -Statuen und -Gedenktafeln zu platzieren. Chios hat sogar einen ganzen Park voll davon - neben zahllosen, im Stadtbild verteilten "Säulenheiligen" - 99% sind männlichen Geschlechts:
Die Altstadt von Chios ist mitten in eine riesige alte Festungsanlage gebaut und bildet mit ihren Resten ein winkliges Gewimmel:
An einigen Stellen gibt es noch deutliche Spuren weit zurückliegender arabischer Besiedelung - unter anderem die Stelen eines arabischen Friedhofs:
Unten links: Praktische Vergangenheitsbewältigung - auf einer Marmorplatte über dem Haupttor der Festung war wohl ursprünglich etwas eingemeißelt, das in späteren Zeiten politisch, religiös oder sonstwie missliebig erschien. Also wurden die Zeichen eben fein säuberlich unlesbar gemacht - die Platte blieb (zur späteren anderweitigen Verwendung?). Mitte: in der Altstadt hat sich ein Laden ausschließlich darauf spezialisiert, das Mordwerkzeug zur archaischen Geschichte des Ortes in vielfältigen Varianten feilzubieten. Rechts: unweit davon gibt es eine Gattung von Laden zu besichtigen, wie sie noch oft in Griechenland anzutreffen ist: winzig, berstend voll und alle Waren sind kunterbunt, meist ohne Zuhilfenahme von etwas so sperrigem wie Regalen, übereinander gestapelt. Werkzeug neben Gewürzen, Seifen unter Trockengemüse. Hier gibts alles - man muss es nur finden.....
Und dann standen wir plötzlich in einem Hinterhof, wurden von einer wütenden Hundemeute angefallen, ließen uns von dieser aber zur sichtbaren Erleichterung der Anwohner (und sichtlichen Irritierung der Hunde) mitnichten beeindrucken und bestaunten eine Ansammlung der sicher ältesten noch komplett erhaltenen Gebäude von Chios. Wir haben ähnliche, aber weniger gut erhaltene Exemplare in sehr alten frühbyzantinischen Ruinen gesehen. Als Deutungsvariante bietet sich auch noch "osmanisch" an - keine Tafel erklärte etwas, auch unser Reiseführer äußerte sich nicht detailliert. Dabei sind sogar noch Reste der Freskenmalereien im Innern erhalten, wie durch kleine (Entlüftungs-?)Öffnungen in den Kuppeln zu sehen ist.
Noch ein Nachsatz zum Thema "Geschichte" und "Besichtigung". Wem in diesem Logbuch die klischeebehaftete Tempelruine auf jeder zweiten Seite fehlt, dem wird sie auch weiterhin fehlen: erstens haben wir als humanistisch-bildungsbürgerlich erzogene Kinder schon vor 30 Jahren ganz brav so viele Säulen besichtigt, dass es für drei Leben reicht, zweitens hat das mit dem heutigen Griechenland so gut wie gar nichts mehr zu tun: die Erbauer der Tempel starben durch unzählige Kriege, Scharmützel und Gemetzel fast völlig aus, sofern sie nicht der zunehmenden Dekadenz entsprungenen Gebresten erlagen. Sie wurden im Lauf der wechselvollen Geschichte durch Einwanderer aus dem Osten "ersetzt" (deshalb gleichen so wenige "aktuelle" Griechen auch nur im Entferntesten den "Tempelgriechen" auf den ungezählten Fresken und Büsten). Was uns aber interessant ist, sind die Geschichtszeugnisse, die in Mentalität, Gebräuchen, Handel und Wandel bis ins heutige Griechenland ihre Spuren hinterlassen haben. Das ist mindestens so spannend wie ein paar Tempelsäulen. Wer deren Bedeutung einschätzen will, tut ohnehin besser daran, sich mit einem Bändchen Plutarch, Seneka, Platon oder Plauton in einem schattig-kühlen deutschen Biergarten zu vergnügen, statt sich das Hirn bei 45° Bruthitze auf einem Trümmerfeld schmurgeln zu lassen - merke: bei starkem Hitzeaufkommen reduziert sich das Denkvermögen signifikant! Vielleicht sollten unter diesem Aspekt die teilweise himmelstürmend gewagten Erkenntnisse mancher Archäologen noch einmal einer kritischen Prüfung unterzogen werden.....