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"Mondsee"

 

Der Vorsitzende eines regionalen Künstlerbunds an der Küste ludt mich 2007 ein zur Bestückung der Jahresausstellung mit dem im wahrsten Sinne naheliegenden Thema "Ebbe und Flut". Die Nordsee schwappt ringsum vor der Haustür und wenn nicht bald etwas geschieht, liegt die Haustür in ihr - der Flut nämlich. Und das hat nun nichts mehr mit "Glauben" zu tun sondern das hat eher etwas von der "Wahrscheinlichkeit" eines heranrasenden D-Zugs auf der Hauptstrecke Hamburg-Berlin: etwas früher oder später kommt er - aber er kommt sicher.

Wie auch immer - ich lebe seit einigen Monaten aktenkundig auf der Halbinsel Eiderstedt. Mitten drauf - in Garding nämlich, wo meine Gattin Elisabeth als Kirchenmusikerin engagiert wurde. Also versuche ich (m)eine ersten Impressionen zu bebildern.

 

Während ich emsig der Veröffentlichung meines dritten Bandes der Buchreihe "Abenteuer Aquarell", mit dem Titel "Landschaften" entgegen schrieb und malte, wäre eigentlich das Naheliegendste ein Genrebild der Umgebung gewesen, deren Weite und Frische wir noch immer erfreut entdecken. Welcher Umstand jedoch auch impliziert, dass wir noch nicht der Meinung sind, diese zu kennen. Auch wenn mancher Sommerfrischler nach zehn glücklichen Ferientagen dies für sich in Anspruch nehmen mag.

Aus vielen Jahren Praxis als Kunstmaler resultiert jedoch der stets gehegte Anspruch, nur darüber zu malen, was ich kenne (oder zumindest der Meinung bin, dass...). Also ein "da capo" der Überlegungen. Was "kenne" ich oder zumindest: mit was bin ich bis zu einem gewissen Grade so vertraut, dass ich darüber eine visuelle Aussage machen wollte / könnte / ...?

Ein Segelboot! Nach vier Jahren "Seeleben" auf unserem Segler "Unity" fast ein "Muss". In den letzten Wochen habe ich mich mit einigen historischen Romanen in die Geschichte Nordfrieslands eingelesen. Davon weiß ich, dass die traditionelle Form der hiesigen Boote "Ewer" hieß. Und Ewer waren (eben wegen Ebbe und Flut) flachgehende  Holzboote. Ich las die Beschreibungen, gesehen hab ich noch keines. Also malte ich das, wie ich es mir anhand der Beschreibungen vorstelle. Natürlich mit schönem vollem Segel.

Ebbe und Flut als solche klingen "leicht" - das geht eben rauf und runter. Aus unseren Beobachtungen und Erkundigungen der letzten Monate wissen wir jedoch immerhin, dass es da ganz verschiedene Raufs und Runters gibt - ich deute das im Bild mal vorsichtig mit unterschiedlichen Pegelständen rund um den Ewer an. Wenn ich mehr darüber zu berichten weiß, wirds vielleicht wieder mal - ein Bild.

"MONDSEE"

Akryl auf Leinwand, 140x50 cm

 

Eines jedenfalls weiß ich sicher: Ebbe und Flut haben mit Zunahme und Abnahme des Mondes zu tun. "Mond" also soll ins Bild. Möglichst in Bewegung und in symbolischen "Phasen".

Und Garding. Ja, unsere neue Heimat muss auch mit ins Bild. Zumindest der "Kirchberg", damit auch Elisabeth mittelbar und symbolisch im Bild vertreten ist. Der Kirchberg von Garding ist fachmännisch ausgedrückt ein "Geest-Rücken". Deshalb muss er auch nicht Bergeshöhe aufweisen. Für einen Geestrücken reichen elf Meter über dem "Normalnull" des Meeresspiegels. Damit überragt er unser Haus deutlich, da unsere Haustür nur einen Meter und sechzig Zentimeter über diesem Normalnull liegt.

Der Stil? Vordergründig traditionell. Gegenständlich, "handwerklich". Was man ja gar nicht so sagen dürfte, weil dann gleich wieder ein selbsternannter Schlaumeier was von "Kunsthandwerk" brabbelt. Soll er doch. Er will eben, dass im Vordergrund nichts, zumindest nichts "Handwerliches" sei, damit er ungebremst mit seiner platten Nase darauf gestoßen werde, dass da ein "Hintergrund" sein müsse - vorzugsweise intellektuell. Sonst bleibt er nämlich dran hängen - am Handwerk. So argwöhnt er zumindest und weil er das für sich argwöhnt schließt er scharfsinnig, dass er das auch für alle anderen argwöhnen dürfe. So viel zu Schlaumeiern, Bildbetrachtung, "Moderne" und Handwerk.

Mein Bild soll jedenfalls so "harmlos" und nett aussehen, wie für viele die Halbinsel Eiderstedt aussieht - und der gedankliche Hintergrund meines Bildes noch immer auszusehen scheint oder zumindest über (zu) viele Jahre aussah. (Nota bene: Ich hatte im vorherigen Absatz nicht erwähnt, mein Bild hätte keinen "Hintergrund" - ich äußerte nur, "handwerklich" malen zu wollen....)

 

"Mondsee" - Kompositionsskizze

Ich nehme mir zwei Leinwände. Eine für Ebbe und eine für Flut? Weil beide Themen die ich malen will zusammengehören, verbinde ich auch die Leinwände rückwärtig miteinander. Unten male ich immerhin schon mal die Flut. Damit der Ewer etwas zum Schwimmen bekommt. Und gleich dabei die Siluette des Kirch-Geest-Rückens von Garding. Weil der ziemlich nahebei liegt. Oder lag. Beim Ewer nämlich. Unweit der Kirche gibt es noch heute den "Ewershop". Das bezeichnet keinen Anglizismus für ein ewig währendes Einzelhandelsgeschäft sondern war vermutlich in früheren Zeiten der "Hof", an dem die Ewer genannten Lastkähne anlegten. Heute gibt es Lastwagen und die fahren beim "Edeka-Frischemarkt" auf den Hof. Ein Meter über Normalnull, nebenbei gesagt.

Die "Ebbe" ausdrücklich zu malen, erspare ich meinem Bild. Ebbe und Flut kommt ja vom Meer und das ist bereits im Bild. Wollte ich eine Landschaft ohne Meer malen, hätte es wohl auch eine Ansicht von Ruhpolding im bayerischen Bergland getan. Da ist nämlich schon seit ein paar Millionen Jahren Ebbe.

 

Bleibt also der Mond. Der ist am Himmel, also oben und da es ohne ihn vermutlich gar keine Tide (so heißen Ebbe und Flut auf Nordfriesisch) gäbe, bekommt er die obere Hälfte des Doppelbildes. Zusammen mit dem Wind, der ja nicht nur unten, sondern auch etwas höher weht. Die Meteorologen nennen das dann "Höhenwind". Dahin reicht zwar eigentlich das Segel eines Ewers nicht wirklich, aber das ist ja auch nur symbolisch zu verstehen. Genau so wie der "heiße" Himmel. Schön "chaotisch", weil die Natur eben so ist. Was heißt eigentlich "chaotisch"? Damit bezeichnen wir alles, was nicht "schön sauber" in Reih und Glied aufgestellt ist, so wie wir Menschen das eben gerne hätten. 

Wir verstehen das Chaos nicht so richtig und deshalb mögen es einige gar nicht. Oder es wurde "Gott" genannt. Den versteht zwar auch keiner so richtig, aber der ist gut. Hört man zumindest sagen. Vorzugsweise sonntags in der Kirche. Alle reden vom "lieben Gott". Aus Furcht, dass sonst keiner mehr in die Kirche kommt? Stimmt zwar so nicht - und das haben wir nun davon: Klimakatastrophe! Steht allerdings ganz offen in der Bibel: "Gott lässt sich nicht spotten!". Wer spottet? Ignoranz und Oberflächlichkeit. Jetzt plötzlich kommt der "strafende Gott" selbst in den Medien vor. Dabei steht in der Bibel schon seit Jahrtausenden ganz deutlich, dass sich nur rächt, was wir "spotten". Und was in den letzten Jahrzehnten ablief, spottet ja nun auch ziemlich vielem. Gehandelt wurde nach dem Motto "Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häussche". Rheinischer Frohsinn global.

 

Zurück zum Bild: unten also die Tradition, das Land, das Wasser. Oben der Wind, der Mond, den die Klimakatastrophe völlig kalt lässt und der Himmel. Heinrich Heine wollte letzteren "den Engeln und den Spatzen" überlassen, jetzt gibts da oben aber plötzlich auch noch Atmosphäre. Und die ändert sich. Chaos! Chaos kann man nicht malen, Chaos wächst am besten von alleine - man muss ihm nur Raum und Bewegungsfreiheit geben. In meinem Bild reichte etwas Wasser, in dem die Farben fließen konnten - schönstes lebendiges Chaos. Und weil das Klima immer wärmer wird - warmes Chaos.

Zwischen dem Chaos und dem Mond auf der oberen Leinwand und dem Wasser, dem Zuhause und dem Traditionsschiff auf der unteren Leinwand ist ein Spalt (für den ich ja extra zwei Leinwände verwendet habe). So wie eben viele Menschen meinen, zwischen beiden dargestellten Motivteilen gebe es keinen Zusammenhang - und entsprechend handeln. So gesehen ist die "Kunst" am Bild auf seiner Rückseite angebracht: zwei Leisten, die beide Bildteile zusammenhalten. Weil ich (nicht nur seit dem ganzen "Gedöns" jüngerer Tage) durchaus denke, dass das zusammen gehört und sich beeinflusst.

Aquarellstudie zu "Mondsee"

 

Und was ist nun mit "Gott" hinter dem ganzen Chaos? Der hat genug gesprochen, das reicht noch lange. Also zurück zu den "Spöttern" und der Erkenntnis, dass "Gott" ganz gelassen, aber für uns Menschlein recht schmerzhaft reagiert, wenn wir die Aussagen der Bibel ignorieren: Die nächste "Klimakatastrophe" wartet: Jugendarbeitslosigkeit, steigende Kriminalität, Verarmung, soziale Kälte. Müssen wir noch einmal warten, bis in unserer Gesellschaft irgendein metaphorisches Meer überläuft, ein soziales Ozonloch uns die Lebensgrundlagen wegbrennt? Ich glaube, die Kirchen sollten ihrem "Lieben Gott" einen langen Urlaub gönnen und weniger ängstlich den Menschen erzählen, was da alles in "ihrer" Bibel steht. Da steht nämlich auch drin, wie Menschen miteinander umgehen sollten. "Klimakatastrophe" ist ja nun schon eingetreten und selbst wenn wir ganz schnell etwas vernünftiger werden, erleben weder wir noch unsere Enkel, dass das wieder ausgebügelt werden könnte. Brauchen wir zusätzlich auch noch eine soziale und gesellschaftliche Katastrophe? Weil die Kirchen zu verzagt und die Gesellschaft zu ignorant ist, um Jahrtausende alte Weisheiten zu akzeptieren und in ihre Handlungen einzubeziehen?

Sollten wir darüber vielleicht doch einmal nachdenken? Wir haben nicht nachgedacht, bevor wir unsere nächste Fernreise geplant, das neueste "Sports-Utility-Vehicle" geordert und die Heizung auf "Anschlag" gestellt haben. Jetzt geht es darum, ob wir morgen wenigstens noch in mäßiger Würde alt werden, ohne Selbstverteidungswaffen zum Sonntagsspaziergang aufbrechen, unser Haus nicht zur Festung ausbauen, Kinder ohne schlechtes Gewissen zeugen und unsere Nachbarn ohne Argwohn grüßen können. Panikmache? So viel "Panik" wie beim Einschalten des Fernsehers oder auch nur der Lektüre einer Zeitung aufkommen kann (so man denn gelegentlich die verschiedenen Fakten ein wenig "eins und eins" zusammenzählt), kann ich kleiner Singulus gar nicht machen. Wer vor dreißig Jahren über Klimawandel reden wollte, war als Spinner entlarvt. Das scheint genetisch anzuhaften. Nun denn -: Passt auf - Gott (was immer sich jeder unter dem Begriff vorzustellen beliebt...) lässt sich nicht spotten ..... und "nicht" heißt eben "nicht" - ob beim Klima oder unserem übrigen "Tun und Treiben". Nicht "eventuell". Nicht "unter bestimmten Bedingungen", nicht "zu diesen oder jenen Konditionen", sondern "nicht". Kein Verhandlungsspielraum, kein Feilschen.

Ich weiß - mit Bildern ändert man die Welt nicht und "Kunst" sollte doch "l´art pour l´arte" sein, also "um ihrer selbst willen" entstehen. Ich wiederum meine, wir haben lange genug Dinge um ihrer selbst willen getan. Können wir wirklich nur noch "um unsrer selbst willen" leben? Arm die Gesellschaft, in der Altruismus ein kaum gekanntes Wort ist - sie kennt kein "um deinetwillen", "um euretwillen", "um .... "der Schöpfung"-Willen"? Die Schöpfung kommt vermutlich ganz gut ohne uns aus. Umgekehrt klappt das weniger. Ein guter Grund, "willens" zu sein oder zu werden? Ich dachte immerhin, ich bin mal willens ein freundliches Bild im dargelegten Sinne zu malen. Zudem empfände ich, ganz persönlich, ganz subjektiv, ein Bild, das ich bei "Kunst-Klima" zum Thema "Ebbe und Flut" in "Zeiten wie diesen" ausstelle, und das nur Genre oder intellektuellen Kunstsinn "um seiner selbst" zum Thema hat, nicht wirklich spannend. Aber das ist, so wie das Bilder eben freundlicher Weise per se noch immer sind ..........

Ansichtssache

 

 

Nachsatz: das Bild hing dann doch nicht in der Ausstellung der anfangs erwähnten Vereinigung, wohl weil ich nicht "im Verein" war. Auch gut. Für meine Arbeit mache ich vieles gerne und bin mir für (fast) nichts zu schade. Einen Verein jedoch brauchte ich dafür noch nie. Auch wenn ich dadurch in dieser Region de facto Ausstellungsverbot habe.

 

copyright 2007 bei Th. Weisenberger. Der Stil des Textes wurde den stilistischen Überlegungen zum beschriebenen Bild angepasst.