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Zu Prättönn

 

?..... "Künstler" ......?

 

Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn als freischaffender Kunstmaler hatte ich das Vergnügen, einer wahren Lady Privatunterricht in Malerei geben zu dürfen. Eine Dame der englischen Gesellschaft mit Cottage, Studium an der Royal Academy of Arts und einem Gatten der nicht bei einer Versicherung arbeitete, sondern dem eine Versicherung gehörte. Die persönliche Freundschaft zu Premierministerin Thatcher war so obligat wie der Nachmittagstee mit gepflegter Konversation nach jeder unserer Malstunden. Die Frage, wer von uns beiden bei diesen Anlässen mehr profitierte, kann ich in der Rückschau dankbar mit einem Gewinn meinerseits beantworten. Als ich bei einem unserer Teegespräche eine Aussage mit den Worten begann "Since I am an artist....", stoppte die Lady höflich aber bestimmt meinen Redeschwall: "You should never say, you are an artist – you allways only can try, to get one....". Ein Satz, der sich mir und meinem beruflichen Selbstverständnis nachhaltig einprägte.

In all den Jahren seit dieser Anekdote erkannte ich immer deutlicher, dass ich zwar dies und jenes mit Sorgfalt, Inspiration und Fleiß malen kann, dass jedoch die Schönheit meiner Werke ganz direkt und im übertragenen Sinne letztendlich dem "Auge des Betrachters" anheimgestellt bleibt. Zu oft erlebte ich große Überraschungen bei meinen vielen Ausstellungen: Bilder, denen ich großen gestalterischen Wert beimaß, wurden kaum beachtet, andere Werke, die in meinem Dafürhalten unter "ferner liefen" in die Ausstellung aufgenommen wurden, erregten weit größere Aufmerksamkeit und wurden – definitives Zeichen von Wertschätzung – oft auch vor meinen Favoriten verkauft. Was noch lange nicht heißen muss, dass diese Werke nun als "Kunst" bezeichnet werden könnten. Ob etwas an meiner Arbeit als "Kunst" bezeichnet werden kann und damit auch temporären Zeitgeschmack und visuelle Vorlieben überdauert, werden vielleicht erst Zeitläufte erweisen, die ich längst nicht mehr erlebe. Und das ist gut so. Schon alleine wegen des Umstands, dass mein persönliches "Betrachterauge" stets subjektiv getrübt ist – wie also könnte ich die Vermessenheit aufbringen, meine Werke als "Kunst" zu bezeichnen und wie könnte ich mich selbst als "Künstler" titulieren?

Ähnliche Skrupel befielen mich stets, wenn ich gelegentlich die Ausstellung eines Kollegen besuchte und von Bekannten um eine Stellungnahme zu den Exponaten befragt wurde. Meine Verweigerung einer solchen begründete ich stets mit der Einlassung, dass ich ja mit großer Begeisterung die Entwicklung meiner eigenen Werke betreibe, was unumgänglich äußerste Subjektivität in Gestaltung und Inhalt nicht nur hervorbringe sondern geradezu fordere, ich in meiner Funktion und Existenz also der denkbar ungeeignetste Mensch für die objektive Bewertung irgendeiner gestalterischen Hervorbringung sei. Dieser Umstand wird allerdings nicht unbedingt überall ebenso wahrgenommen und hält viele Kunstmaler absolut nicht davon ab, sich unbekümmert in Kuratorien und Jurys zu engagieren.

Was auch in erschreckender Sorglosigkeit für den Gebrauch der Prädikate "Kunst" und "Künstler" gilt. Da betitelt sich ein Lädchen im lauschigen Dinkelsbühl als "Dinkelsbühler Kunststübchen". Verkauft werden wohlfeile Radierungen, Töpferwaren und ähnliche touristisch orientierte Mitnahmeartikel. Dass sich ein Lädchen, das gut sichtbar in Dinkelsbühl gleich neben dem größten Stadttor steht, durch Vereinnahmung des Stadtnamens noch einmal versichern muss, wirklich daselbst zu firmieren, ist bereits recht befremdlich. Dass die Vereinnahmung jedoch so weit geht, ganz selbstbewusst die "Kunst" in ein "Stübchen" sperren zu wollen (wenn man denn könnte....), regt sicher manchen Besucher der Stadt zu verwundertem Kopfschütteln an.

Aber die Versuchung zur Selbsterhöhung qua Schönung des Etiketts ficht uns ja allenthalben an. Wie auch beim Gebrauch des Wörtchens "zu". Eine Stadt annonciert ein Konzert, eine Ausstellung, einen Vortrag. Um die Qualität und beanspruchte Bedeutung des Events zu unterstreichen, findet dies dann nicht "in Tüpfelbach" statt, sondern "zu Tüpfelbach". Ein Hauch von Adel soll uns entgegenwehen, auch wenn es dann oft eben doch nur zu "eitel" reicht. Als besonders penetrant im Sinne dieser Attitüde fiel mir stets die Stadt Bretten im schwäbischen Gäu auf. In Bretten ist alles "zu". Und Eingeweihte des Brettener Kulturdünkels wissen dann auch der Bedeutung ihres Heiligen Grals in unnachahmlicher Weise sprachlichen Nachdruck zu verleihen: aus einer Ausstellungseröffnung in Bretten wird dann "Oine Vernüssasche zu Prättönn". Hoppenla!

Doch manchmal gibt Fortuna dann in ihrer Unachtsamkeit doch auch dem unbedarft Schnörkellosen eine Bananenschale an die Hand, um sie den "Prättönnern" dieser Welt vor die Füße zu werfen: Ich war eingeladen zur Ausstellung "Vom Orient zum Occident" des Württembergischen Künstlerverbands im Barockschlosse zu Ludwigsburg. Alle Exponate waren (wenn überhaupt) schlecht ausgeleuchtet und schummerten also in distinguiertem (oder gnädigem?) Halbdunkel vor sich hin. Die gereichten Brezeln waren ausgetrocknet und ohne Butter (aber von "Feinkost Böhm", dem etabliertesten und teuersten Händler Stuttgarts geliefert), der Weißwein war sauer und warm. Der damalige Kulturimpressario der Stadt Stuttgart, Gönnenwein mit Namen redete .... und redete ... und redete (ja, der Gönnenwein der wenig später wegen der Produktion unglaublicher Schuldenberge aus dem Amt entfernt wurde – an den Ludwigsburger Brezeln kanns jedoch nicht gelegen haben ...). Ich fand zu unserer gemeinsamen Freude im Publikum die sympathische Kulturbeauftragte einer wohlhabenden, im "Speckgürtel" Stuttgarts gelegenen Kleinstadt, in der ich mit gutem Erfolg nicht allzu lange zuvor meine Arbeiten ausgestellt hatte. Wir amüsierten uns nun bei trockenen Brezen und lauem Wein – weniger über die Exponate als über die sich exponierenden "Künstler" und Kunstliebhaber. Plötzlich stürmte ein Mensch im grellbunt karierten Jacket auf uns zu, begrüßte meine Begleiterin überschwänglich und versuchte gleichzeitig mit einer halben Körperdrehung, mich vom Objekt seiner Aufmerksamkeit abzudrängen, was jedoch nur bedingt gelang: meine Begleiterin hörte sich zwar freundlich an, dass der durch sein Jacket unzweifelhaft und weithin als "Kreativer" ausgewiesene Mensch im kommenden Jahr eine Ausstellung in "Prättön" (aber ja doch) zu geben beabsichtige, fragte dann jedoch im Plauderton mich nach meinen Plänen. Ich hatte kurz zuvor Ausstellungseinladungen nach Chikago und Santiago de Chile abgelehnt, weil ich zu sehr mit verschiedenen Ausstellungen in Deutschland und dem europäischen Ausland beschäftigt war. Das sagte ich dann eben schlicht und wahrheitsgemäß. Der bunte Mensch entschwand umgehend und wir hatten noch einen richtig netten Abend.