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Nachdem ich den folgenden Text am 09. Januar 2015 in Facebook und Twitter eingestellt hatte, bekam ich es mit der Angst zu tun: Angest vor den Massen, die plötzlich einen Slogan skandierten von dem ich mir sicher war, dass viele diese Geste nicht in auch nur ausreichender Tiefe überdacht haben. Meine Furcht: was skandiert "das Volk" *noch*, wenn es genügend andere skandieren? Andererseits: eigentlich gehöre ich nicht zu den Allerfurchtsamsten und was ich aus meinen Grundüberzeugungen heraus zu bemerken habe, ist mir wichtig. Daher habe ich folgenden Text, nachdem er einen Tag "Offline" war wieder eingestellt:

 

Ich bin *nicht* Charlie
 

So unsachlich, gemein und bösartig wie die Diskussionen und Äußerungen der letzten Wochen in Deutschland zuweilen ausfallen, muss ich meinem Text wohl leider eine Selbstverständlichkeit voranstellen:

NEIN, ich heiße es NICHT für gut, wenn Menschen, egal mit welcher Begründung auch immer von welchen Menschen auch immer erschossen werden. Ich bin selbstverständlich und unbedingt dafür, dass, wenn denn, nur der Staat ein, streng überwachtes, Gewaltmonopol innehat. Ich entstamme der Generation, in der ich zur Begründung meiner Kriegsdienstverweigerung eine dreistündige Gerichtsverhandlung absolvieren musste: dreistündig, weil die Verhandlung nach kurzer Zeit in einen sehr angeregten Gedankenaustausch mündete, an dessen Ende mich der Vorsitzende, ein Generalmajor der Reserve mit sehr wohlwollenden Worten als anerkannten Kriegsdienstverweigerer verabschiedete. Merke: auch bei gegensätzlichen oder zumindest deutlich von einander abweichenden Meinungen besteht die Möglichkeit eines kultivierten, intelligenten Austauschs von Argumenten. Ohne Provokationen und Unhöflichkeiten.

Womit ich auch schon beim Anlass meiner vorausgestellten Aussage angekommen bin:

Bereits vor Jahren empfand ich einen Teil der Karikaturen des Magazins „Charlie Hebdo“ als zumindest geschmacklos und einer konstruktiven Auseinandersetzung mit den jeweils attackierten Themen (von „behandeln“ konnte in meinen Augen keine Rede sein) absolut nicht dienlich. Besonders, wenn sich die Satiriker mit religiösen Themen beschäftigten. Ich würde mich als religiösen Menschen bezeichnen, auch wenn ich keiner bestimmten Konfession angehöre und nach meiner Kindheit über Jahrzehnte nur äußerst selten eine Kirche von innen gesehen habe. Aber religiöse Inhalte waren und sind mir eine wichtige und grundlegende Hilfe bei der Ausrichtung meiner Lebensgestaltung: Ich halte es für nachgerade dumm, Weisheitslehren, in die menschliche Erfahrungen und Erkenntnisse tausender Generationen und verschiedenster Kulturen eingeflossen sind, zu ignorieren. Für viele Menschen in verschiedensten Kulturen mit verschiedensten Religionen sind die Lehren und Ratschläge ihrer jeweiligen Religion mehr oder weniger existenzielle Lebenshilfe und Richtschnur ihrer tiefsten persönlichen Überzeugungen.

Selbstverständlich kann und soll man trotzdem die jeweiligen religiösen Inhalte und die Art, wie sich diese manifestieren, hinterfragen. Ich bin sogar der festen Überzeugung, dass dies unbedingt notwendig ist: Alleine schon deshalb, weil menschliche Erkenntnisfähigkeit nicht an einem bestimmten Punkt der Geschichte aufgehört hat, sich weiter zu entwickeln. Schon im Neuen Testament gibt es das Gleichnis der „Knechte mit den anvertrauten Pfunden“, in dem nur der Knecht als „guter und getreuer Knecht“ bezeichnet wird, der mit den ihm anvertrauten Pfunden „wuchert“, sprich: im aktiven Handeln auch einen gewissen Verlust riskiert. Ob es jenseits dessen jedoch begrüßenswert oder auch nur akzeptabel ist, tiefste religiöse Überzeugungen von Millionen von Menschen mit aggressivem Spott und geschmackloser Häme zu überziehen? Und seien diese religiösen Überzeugungen nach Ansicht mancher Kritiker auch „nur“ ein „Krückstock der Seele“: gerade dann kommt ihre mutwillige Verletzung zumindest der Geste gleich, einem „Menschen mit Handicap“ die Gehhilfe wegzukicken. „Kunst“ darf alles? Wenn das „alles“ so weit geht, bin ich der tiefsten Überzeugung: Nein, Kunst darf nicht „alles“ (auch angesichts der Tatsache, dass die Definition dessen, was als „Kunst“ zu gelten hat, immer noch und weiterhin eine zumindest diskussionswürdige Angelegenheit darstellt).

Was nun den konkreten Terroranschlag betrifft: viele Menschen haben sich selbst und ihre Überzeugungen in den letzten Jahren u.a. durch die „Charlie“-Satiren verletzt und beleidigt gefühlt, aber in unserem Kulturkreis zumindest „tolerant“ wenn nicht gelassen reagiert – schon die Bibel empfiehlt Friedfertigkeit – selbst gegenüber „Feinden“. Zudem besteht in unserem Kulturkreis die Übereinkunft, dass es nützlich, wenn nicht nachgerade notwendig ist, auch die Argumente und Äußerungen einer „Gegenseite“ zumindest zu beachten und zu prüfen (Bibel: „Prüfet alles – und das Gute behaltet). Wenn die Stoßrichtung der Satiren jedoch in Richtung des Islam geht, besteht eine kulturelle Gemengelage, die sich zuweilen doch stark davon unterscheidet. Der Islam beinhaltet als Religion in seinen Inhalten und Lehren unleugbar eine kriegerische Komponente, was nicht verwunderlich ist: Mohammed war nicht nur Religionsstifter sondern ebenso Feldherr, Politiker, Staatsoberhaupt und Besatzer. Dies schlägt sich deutlich in den Schriften des Koran nieder, weshalb im Lauf der Geschichte immer wieder die Rechtfertigung aggressiver Handlungen und Überzeugungen aus diesen Schriften abgeleitet wurde.

Es war in der Diskussion und Auseinandersetzung mit dem Islam, besonders in den vergangenen Jahren, sicher nicht hilfreich, dass u.a. das Satireblatt „Charlie Hebdo“ mutwillig die Inhalte dieser strengen und zuweilen aggressiven Religion mit Hohn und Spott überzog. Anhänger christlicher Religionen mögen vielleicht „nur“ verletzt oder verärgert sein angesichts solcher oft jenseits jeden Anstands und Geschmacks angesiedelter Attacken. Was den Islam betrifft, musste jedoch jedem halbwegs nüchtern denkenden und mit auch nur einem Ansatz von Bildung ausgestatteten Menschen klar sein, dass solche Attacken ein mutwilliges Spiel mit dem Feuer bedeuteten (warum wird zur Zeit immer nur von „rechten“ Brandstiftern geredet?). War hier Mut oder Mutwille die Triebfeder? Wie so oft, wird die Grenze zwischen beidem auch hier eine Sache kontroverser Ansichten und Diskussionen bleiben müssen. Sicher kann jedoch festgestellt werden, dass das bewusste Eingehen einer Gefahr um der Lust an dieser willen oft weniger mit Mut als vielmehr mit Dummheit zu schaffen hat. Nein, ich bin nicht der Meinung, dass es irgend einer Sache dient, Menschen in ihren tiefsten religiösen Überzeugungen zu verletzen. Ich sehe auch keine legitime „Lust zum Experiment“, wenn ein Mensch in einen Tigerkäfig springt, um was auch immer zu beweisen – und sei es den eigenen „Mut“, selbst wenn es sich nur um pupertären Übermut handelt, weil man vielleicht etwas zu viel „Asterix“ gelesen hat ohne zu bedenken, dass man nicht im Besitz eines Zaubertranks ist.

Mir persönlich erschien die Haltung von „Charlie Hebdo“ oft eher die eines kindischen Flegels, der seine Lust an der Provokation darin auslebte, dem „bösen Nachbarn“ vom vermeintlich sicheren Fenster des Elternhauses aus die Zunge herauszustrecken. Egal wie viel Ärger und Unfrieden er mit der aufreizenden Geste verursacht.

Jetzt werden die ermordeten Mitarbeiter des Satireblatts allgemein als „Helden und Märtyrer der Pressefreiheit“ gefeiert. Aber wie bei vielen „Heldentaten“ stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen Heldentum und einem Mutwillen, der sich nur allzu leicht zu schierer Dummheit auswächst. Wie viele Verfasser kluger, nachdenklicher Kommentare und Analysen mögen sich vielleicht insgeheim fragen, bevor sie spontan in den Ruf „Je suis Charlie!“ einstimmen, ob nicht genau dieser „Charlie“ ihr Bemühen um objektive Einordnung und sachliche Differenzierung mit jeder seiner Provokationen konterkariert, wenn nicht zunichte gemacht hat?

Ich bin Charlie? Nein, das bin ich sicher nicht. (auch wenn mein zweiter Vorname „Karl“ ist und ich in der Schule wegen des inflationären Vorkommens von „Thomas“ zuweilen „Charly“ gerufen wurde).

Vor einigen Jahren versuchte mich ein dem Salonsozialismus zugeneigter Bekannter angesichts meiner christlich-buddhistischen Überzeugungen mit der Aussage zu provozieren, selbst ein Atheist zu sein. Ich fragte ihn, ob dies bedeute, dass er nicht an Gott glaube. Er bejahte im stolzen Brustton überzeugter Überlegenheit. Daraufhin fragte ich ihn, wie denn der Gott beschaffen sei, an den er so dezidiert nicht glaube. Nach etwas unbeholfenem Gestottere trat verlegene Stille ein. Ich beließ es dabei.

Zur Zeit gehen Listen durch´s Internet und werden in Facebook durchgereicht: „Leite diese Nachricht weiter, wenn du gegen Nazis bist!“. Tausende „Likes“. Einmal abgesehen von der Tatsache, dass auch in meinem Fall „was ich mir denke nicht auf einen Knopf an meiner Brust passt“ (R. Mey): ich hatte noch keine Gelegenheit, einen „Anti-Nazi-Liker“ nach seinem Wissen um die Beschaffenheit von „Faschismus“ zu befragen (es interessiert mich auch nicht, solange mir niemand mit einer allzu penetrant postulierten Überzeugung in die Quere kommt – s. oben).

Und es kommt mich ebenso keine Lust an, auch nur einem der jetzt eilfertig bekennenden und inflationär auftretenden „Charlies“ eine differenzierende Nachfrage zu stellen. Aber ich erlaube mir, ganz einfach zu sagen:

 

#Ich_bin_nicht_Charlie
 

"Mut braucht es nicht, um mit vielen zu geh´n, lustig auf breiter Bahn..." (Widmung in meinem ersten Tagebuch, das mir mein Vater 1964 geschenkt hat).

Copyright 09.01.2015: Thomas Weisenberger. Zitate und Veröffentlichungen bedürfen, auch auszugsweise, der Zustimmung des Autors.