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#Germanwings #4U9525 macht mir Angst -

....aber aus anderen Gründen, als Sie vielleicht denken....

 

Nachtrag 26.03.2015: der bisherige (...) "Höhe"punkt....

 

Jeden Tag sterben (im Schnitt) 70 Menschen auf Europas Straßen. Das sind in 2 Tagen 140, in 30 Tagen 2100 und in einem Jahr 25550 (FünfundzwanzigTausendFünfhundertundFünfzig).

Jetzt ist ein Linienflugzeug abgestürzt. 140 Passagiere und Besatzungsmitglieder starben. Trotzdem ist es Fakt, dass die tödlichen Unfälle im zivilen Luftverkehr sehr gering sind gegenüber den (Straßen-)Verkehrstoten.

Selbstverständlich ist jeder Verkehrstote einer zu viel. Selbstverständlich ist es jedes Mal ein schreckliches Unglück für die Angehörigen.

Trotzdem macht mir, was aus Deutschland heute, am Tag nach dem Absturz des Germanwings-Linienflugs von Spanien nach Deutschland, berichtet wird, Angst. Wie alles, bei dem ich kein nachvollziehbares, angemessenes Verhältnis zur Ursache erkennen kann. Da geben alle möglichen Menschen ungefragt ihrem Beileid Ausdruck, C-Promis kondolieren eilfertig (und ebenso ungefragt) im Netz (die anderen Medien reportieren das ebenso eilfertig), die deutsche Regierung betreibt Katastrophen-Tourismus ins Absturzgebiet und begibt sich unnötig in Gefahr. Was soll das, Frau Merkel? Angenommen die deutsche Bundeskanzlerin stürzt mit einem Hubschrauber in den französischen Bergen ab - nur weil sie sich unbedingt „einen eigenen Eindruck verschaffen“ musste: die nationale und internationale Politik würde durcheinander wirbeln mit unabsehbaren Folgen. Dass Frau Kraft da unbedingt auch noch mit musste, verwundert nicht so sehr, auch wenn ein Besuch bei den Hinterbliebenen mehr Sinn gemacht hätte. Aber Helikopter-Sightseeing am Brennpunkt des Geschehens sieht natürlich klasse engagiert aus, auch wenn es nüchtern betrachtet nichts als sinnloser Aktionismus ist.

„Nüchtern“ ist das Stichwort für diesen Text: was bitte ist wirklich passiert?

Ein Linienflugzeug ist abgestürzt. Eines von tausenden, die täglich unterwegs sind. So viele Menschen, wie auch auf drei Busse verteilt gewesen sein könnten sind umgekommen. Wäre der Wirbel ebenso groß, wenn ein Omnibus mit 16 Schülern (um die der meiste Wirbel entstand) in Südfrankreich verunglückt wäre? Natürlich hätte man (kurz?) innegehalten, natürlich wäre der Unfall als „zutiefst bedauerlich“ kommentiert worden. Aber schon am nächsten Tag wäre der Vorfall aus den Nachrichten verschwunden.

Jetzt aber hat nicht die Technik eines Omnibusses versagt, sondern die des Äquivalents in der Luft. Das kommt vor: Flugzeuge sind technische Geräte. Wer sie besteigt, sollte das wissen. Und dass sie von *Menschen* bedient werden - ebenso.

Was also macht mir Angst: der völlig unverhältnismäßige „Hype“ der um das traurige, aber weder mystische noch (nach entsprechenden Untersuchungen) unerklärliche noch überdimensionale Ereignis gemacht wird. Zusammenrottung mehrerer Staatsoberhäupter, Sondersendungen im Fernsehen, Sonderseiten in den Zeitungen. Das sieht doch alles sehr nach Sensationsgier der Medien und Profilierungssucht der Politiker aus. Und das ist Missbrauch: Missbrauch eines traurigen Ereignisses, das aber keineswegs außerhalb irgendwelcher ohne Not denkbarer „Möglichkeiten“ liegt. So wenig wie ein Autounfall. Wäre ich ein Angehöriger, würde ich mir das Betroffenheitsgewäsch in allen Medien verbitten. Es macht, ganz entgegen aller wohlfeilen Versicherungen, *nichts* erträglicher. Es bauscht nur auf und füllt das Ereignis mit einer Meta-Bedeutung auf, die den Trauernden ihre Verlustgefühle ins Unermessliche steigert. Wären ihre Angehörigen über die Straße gegangen und von einem Auto überfahren worden, wäre das zwar sehr traurig - so jedoch wird das Geschehen erst zur Tragödie hochgepuscht.

Einen Sinn sehe ich darin nicht, nur Auflagen steigernden Un-Sinn und Profilierungssucht. Mit irgendwelcher Hilfe für die direkt Betroffenen nicht erklärbar und noch weniger entschuldbar.

Was wird der nächste Massen-Betroffenheits-Hype? Ich wage nicht, es mir auszudenken. Aber eine leichte Übelkeit überkommt mich trotzdem - alleine bei dem Gedanken: so entstehen nämlich auch „Hexenjagden“, Pogrome und ähnlich zerstörerische irrationale „Aufwallungen der Volksseele“ und Paniken.

Es würde mich sehr beruhigen, wenn sich möglichst bald der Konsens einstellen würde: „Bedauerlicher Unfall, zutiefst traurig für alle Beteiligten“. Und: PUNKT.

 

 

 

Nachtrag 25.03.2015: Der (bisherige....) "Höhe"punkt des unwürdigen Schauspiels manifestierte sich laut Berichten in den Zeitungen (wieder einmal) in Frau Maischbergers Quasselrunde: Ein vom Unglücksort LIVE zugeschalteter Reporter-Fuzzi konnte nicht an sich halten, der geneigten Zuhörerschaft ein wohliges Grauseln zu verschaffen durch die Information, dass es am Unfallort Wolfsrudel gebe, die in der Nacht wohl auch die unbewachten Leichen annagen könnten. Wenn ich ein Angehöriger wäre, würde ich dieses Arschloch (hier ist KEIN Ausdruck zu niedrig) anzeigen. Kann ein Mensch noch tiefer sinken? Ich vermute: aber ja, problemlos machbar für gierig sabbernde Medienheinis: das Event wird in allen grausamen und ekligen Details ausgeschlachtet bis nichts mehr rauszuholen ist. Pfui Deibel.

copyright: Thomas Weisenberger 2015