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Stichwort: Griechenland und die Griechen

Subjektive Feststellungen

Nur weil in Deutschland viele trutzige Burgen stehen, stammt die Bevölkerung nicht gänzlich von barbarischen Raubrittern ab, auch wenn man das vor 70 Jahren (nicht nur) aus griechischer Sicht noch einmal hätte meinen können. Nur weil in Griechenland ein paar Tempel stehen, besteht die Bevölkerung nicht gänzlich aus Nachfahren von Sokrates und Platon, auch wenn einige enthusiasmierte (deutsche) Studienräte vor nicht allzu langer Zeit in jedem Schafhirten einen Philosophen sehen wollten und argwöhnten, ihre Birkenstock-Sandalen berührten bei jedem Schritt auf griechischen Steinhalden heiligen Grund. Da gab es zwar vor zweitausend Jahren mal eine bedeutende Hochkultur, die das Geistesleben in Europa nachgerade erst ermöglichte, aber zweitausend Jahre sind halt eine ziemlich lange Zeit. Die Germanen schlagen ja auch keine Missionare mehr tot, wie sie das zu Zeiten der griechischen Hochkultur noch gerne hin und wieder zu tun pflegten.

Im Lauf der letzten zweitausend Jahre ging es Griechenland zuerst einmal wie jeder siechenden ehemaligen Hochkultur: dreckig. Dann war das Land Spielball aller möglichen Mächtigen und Möchtegern-Mächtigen. Türken, Byzantiner, Venezianer, Franzosen, Engländer, Italiener, Deutsche westen unter anderem in dem Land herum und hinterließen bestenfalls ein wenig ihrer Kultur. Dabei schnitten die Venezianer am besten ab. Dass ein bayerischer "Kini Otto" Griechenland die weiß-blaue Nationalflagge verpasste, "Sissi" den Korfioten ein kitschiges Landhaus und ein gewisser Graf von Schulenburg im Dienste der Venezianer ein Scharmüzel beendete, sind dabei höchstens Fußnoten der Geschichte. Dass deutsche Nazis im Zweiten Weltkrieg Tausende von Griechen exekutierten, wiegt das jedenfalls nicht auf. Auch nicht, dass jüngst ein deutscher Otto der griechischen Fußballmannschaft ein paar sachdienliche Tipps gab, als deren unmittelbare Folge sich ganz Griechenland inzwischen als Europameister fühlt - und das nicht nur beim Fußball....

Heute hat Griechenland die ursprünglich ohnehin im Lande "erfundene" Demokratie re-importiert, das Land ist optimistisch, wachsend an Wohlstand und Selbstbewusstsein, zuweilen etwas zu großspurig, zuweilen im kulturellen Bereich (noch?) etwas provinziell. Der "vordere Orient" ist noch nicht allzu weit weg, entsprechend erscheinen zuweilen Sitten und Gebräuche etwas archaisch-chaotisch. Die Korruptionsrate ist hoch (aber nicht allzu weit von Deutschland entfernt) und wer beim Einkaufen nicht feilscht wie ein Berber, beweist, dass er doof ist und wird unweigerlich über´s Ohr gehauen. Das aber meist recht freundlich, auch wenn bei anderen Gelegenheiten die Freundlichkeit gegen bleichgesichtige Ausländer ihre Grenzen kennt. Europa hin, Europa her.

Vor zwei Tausend Jahren galt den Griechen ein Wesen, das ihre Sprache nicht beherrschte, nicht als Mensch. Recht hatten sie - zumindest aus ihrer Sicht: weil damals eben die Kriterien dafür, was es denn bedeute, ein Mensch zu sein, in Griechenland entwickelt wurden. Und wer das schon rein sprachlich nicht verstehen konnte (ob er´s dann begriff, stand auf einem anderen Blatt...), war eben ein Barbar. Heute überfällt "mein" griechischer Bäcker in Nidri mich mit "bon jour, how are you, Guten Tag!", weil er irgendwie mitbekommen hat, dass das (Neu-)Griechische zu beherrschen mittlerweile höchstens noch eine freundliche Geste von Menschen ist, die viel Geld ins Land (und in seinen Laden) tragen. Deshalb antworte ich auch höflich mit "Jassas" und dann gehen wir zum Englischen über, bis der Handel mit ein paar "efaristo" und "paragallo"s beendet wird. Bei anderen Gelegenheiten könnte man wiederum argwöhnen, das griechische Gegenüber habe die Zeitläufte der letzten zweitausend Jahre ignoriert und halte hochmütige Arroganz noch immer für den richtigen Umgangston gegenüber nicht-griechischen Barbaren. Dabei übersteigt wahrscheinlich mittlerweile die Zahl von "Barbaren", die die originäre Sprache Platons beherrscht, die der altsprachlich gebildeten Griechen um ein Mehrfaches. Neu-Griechisch wiederum ist die Sprache von guten Fußballspielern und Tavernenwirten - für eine Fachsimpelei über "Abseitsfallen" und "Blutkrätschen" bei einem Güros mit Retsina also unentbehrlich. Bei allen Themen, die darüber hinausgehen, kann man davon ausgehen, dass ein Grieche, mit dem darüber ein halbwegs intelligenter Diskurs geführt werden kann, auch des Englischen mächtig ist. Der Rest der Griechen darf derweilen darüber nachdenken, ob man sich, ohne einer allgemein gebräuchlichen Weltsprache mächtig zu sein, nach dem Diktum, das ihre Vorfahren aufgestellt haben, als "die neuen Barbaren" betrachten muss - "sic transit gloria mundi" - um´s mal in der Sprache einer anderen "Hochkultur von Gestern" auszudrücken.

Was also bedeutet dem "Zugereisten" Griechenland heute "per se" über die Tatsache hinaus, dass das Land viel Geld dafür bekommt, damit es "EU-Außengrenze" spielt, ohne auch nur eine einzige gemeinsame Landgrenze mit einem anderen EU-Land zu haben? Für eine bestimmte Spezies von Besuchern dieses Landes besteht die Antwort eindeutig darin, dass diese "EU-Außengrenze ohne EU" sich nicht nur sehr gut dafür eignet, alles Mögliche ins Land zu schmuggeln, sondern, weil sie aus ungezählten Inseln, Buchten und Häfen besteht, auch eines der schönsten Segelreviere der Welt ist. So schnell wie möglich wird diese Tatsache zwar von den eifrigen Griechen dazu benutzt, den Besuchern möglichst viel Geld abzuknöpfen, aber da in Griechenland fast nichts allzu schnell geht, verläuft auch diese Entwicklung, außer bei einigen Tavernenwirten, nicht in atemberaubendem Tempo. Was einem wiederum den griechischen Hang zur Gelassenheit direkt sympathisch macht. Und immer wenn man sich grade wieder einmal wegen vermeintlicher oder aus welcher Sicht auch immer berechtigter Defizite über "diese Griechen" geärgert hat, kommt ganz sicher um die nächste Ecke einer und entpuppt sich als großzügig oder weltgewandt oder höflich oder charmant oder kultiviert oder korrekt oder gebildet oder hilfsbereit oder pünktlich oder "ganz einfach sympathisch" .... - aber was ein "Paradoxon" ist, haben die griechischen Vorfahren vor zweitausend Jahren ja auch schon ziemlich genau definiert...

P.S.: Vielleicht ergibt sich nicht die beste Perspektive, wenn man Griechenland vom Meer aus betrachtet. Dafür ist die Seeseite eines Landes heutzutage vermutlich zu unbedeutend. Auch die Geschichten um Odysseus, die gerne als Beleg für den seefahrerischen "genius loci" herangezogen werden, sind ja aus mythenumwaberter Vorzeit. Man ist sich nach der Lektüre unwillkürlich unschlüssig, ob man Odysseus nun als lausigen Seefahrer oder als tragischen Helden sehen soll -  außerdem widerfuhr ja auch ihm bei seinen Fahrten an Griechenlands Küsten recht Abenteuerliches ...