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LOGBUCH I

Mai - August 2003

MSY UNITY

(Aktualität der Einträge: von oben nach unten. Grüße, Fragen und Kommentare bitte an mail@t-w.de )

Neu: Bilder dieses Sommers / New: this summer´s pictures

Freitag, 22. August 2003 - Patras. Wir bleiben einfach noch 2 Tage. Der Wind sieht nicht ganz "koscher" aus und neben uns liegt ein deutsches Ehepaar, das mitten auf dem Meer seines Schiffspropellers verlustig ging (kommt anscheinend ab und zu vor) und nun zum Kranen geschleppt werden muss, damit ein neuer Propeller angebracht werden kann. Wir haben versprochen, dabei zu helfen und das Boot eventuell sogar mit der Unity bis zum Kran zu schleppen. Wenigstens unter Fahrtenseglern sollte die Hilfsbereitschaft guter Seemannschaft noch praktiziert werden. Von manchen Seglern (hoher Prozentsatz: Charterer - von Motoryachten nicht zu reden) darf man ja teilweise nicht einmal mehr die Grundregeln allgemeiner Höflichkeit und (wenigstens) akzeptablen Benehmens erwarten (ausgelassene Urlaubsstimmung ist keine Entschuldigung - dafür ist "Ballermann6" eine gute Adresse). -  Ich hoffe, einige "Charterer" lesen das und verschwenden einen oder zwei Gedanken daran, da es für die jeweilige Chartercrew mindestens so peinlich ist, wie für die jeweils Betroffenen ärgerlich (ich befürchte allerdings, dass es mal wieder "die Falschen" lesen und die, die es angehen könnte, sich absolut nicht angesprochen fühlen). Entsprechendes "Benimm" sollte nicht nur im Restaurant, der Oper oder in der Kirche selbstverständlich sein, sondern eben auch oder gerade auf See, wo Leben und Gesundheit (nicht zu reden von immensen Sachschäden) davon abhängen können.

Wir hören des öfteren davon, dass Segler immer stärker von Motorbooten verdrängt werden (Spitzenreiter: Ibiza - da dürfen gar keine Segelboote mehr einlaufen). Kommerziell verständlich: Motorboote hängen, kaum dass sie eingelaufen sind, eine Stunde und mehr an der Dieselzapfsäule, um ihre leergefahrenen Tanks aufzufüllen - wir selbst haben seit Beginn unserer Reise Mitte Mai in gut 3 Monaten mal eben knapp ein Viertel (ca. 140 l) unseres Dieselvorrats verfahren - eine Menge, die manche Motoryacht mühelos in weniger als einer halben Stunde (!!) verbraucht. Ist das nun der (vorläufige) Höhepunkt einer Entwicklung, der ökologische Gegebenheiten inzwischen völlig schnurz sind und die einfach noch einmal etwas gnadenlos ohne "Rücksicht auf Verluste" zum egoistischen Vergnügen ausnutzt, was es bald nicht mehr gibt, oder geht dieser Raubau unabsehbar weiter - ich befürchte inzwischen Letzteres und schließe mich in Demut dem Urteil vieler weiser Männer an, die quer durch die Jahrhunderte postulierten, dass das Letzte, an was man bei der Menschheit appellieren dürfe, die Vernunft sei. (Es gibt ja genügend anderes: eigenes Wohlbefinden, Gier, Macht, Neugierde, Schadenfreude, Geilheit, Sicherheitsbedürfnis, Eitelkeit oder ganz einfach "Spaß" und Zerstreuung, damit man über die Sch...., die eine solche Gesinnung anrichtet, hinweggetäuscht wird. Ein Blick in aktuelle Werbung, die ja auf zeitgemäße Bedürfnisse zielt, bestätigt obige Liste und setzt noch ein paar Aspekte hinzu, die auch nicht appetitlicher sind).

Und wo bleibt das Positive? So seltsam das klingen mag: Für uns darin, das alles zu erleben: Freundschaftliche Begegnungen mit freundlichen, interessanten Menschen und die ganze Palette menschlicher Unzulänglichkeit, ebenso wie herrliche Segeltage und Tage mit Sturm und Wellen oder Flaute und brütender Hitze, herrlich stille Buchten und stinkende Stadthäfen mit Gedrängel. Ich habe ab und zu unter Freunden als eine Begründung, eine Weile zur See zu fahren, angegeben, dass ich mich für eine Weile "in Gottes Hand" begeben möchte (nach dem bekannten Satz: Vor Gericht und auf hoher See ist man nur noch in Gottes Hand), was einiges Schmunzeln verursachte, jedoch von mir durchaus auch ernst gemeint ist: Hier, mitten unter ständig neuen Menschen, die wir, im Gegensatz zu unserem bisherigen Zuhause, erst einmal absolut nichts angehen und wo jeder Kontakt ein neues Abenteuer ist und mit den Herausforderungen einer gleichmütigen See, die uns viele wunderbare Segelerlebnisse schenkt, uns aber auch ebenso gleichmütig verschlingt, wenn wir ihre Gesetze nicht beachten, sind wir plötzlich alleine mit Gegebenheiten, in denen viel Klugheit und persönliche Demut gefordert sind. Alles helden- oder gar machohafte, aller Eigensinn, Eitelkeit und Leichtfertigkeit wird hier umgehend "bestraft". Eine Situation, in der man recht nachdrücklich mit seinem "eigenen Gott" wie auch mit seinen eigenen Schwächen konfrontiert wird. Man lernt daraus entweder (und dann ist es eine mit fast nichts vergleichbare Erfahrung), oder man geht auf die eine oder andere Art "unter". Ich habe in den letzten Monaten und Jahren in Deutschland so viel Eindrückliches erlebt zwischen Leben und Tod, Glück und Unglück, Hoffnung und Enttäuschung, dass ich das Gefühl hatte, eine solche Zeit wäre jetzt sinnvoll. Das Leben ist keine glatte, lineare Bewegung. Ein Innenhalten, Einordnen, Bilanzieren ist für eine geistige und seelische Lebensqualität ab und zu nötig. Und dann braucht man eben auch den Dialog mit einem "Gegenüber", das "höher ist als alle menschliche Vernunft". Und sei es, um daraus wieder ganz "menschliche" Entscheidungen und Schlüsse zu ziehen. Ich habe oft den Eindruck, unserer Gesellschaft geht in wachsendem Maße solch ein ganz pragmatischer Draht zu etwas, das über allem Menschlich-Allzumenschlichen steht, verloren (dass das wenig mit einem tradierten Gottesbild oder modischer Esotherik zu hat, habe ich an anderer Stelle ausführlich dargelegt). Aber wohin soll sich dann ein solcher Dialog richten, wenn überkommene Weisheitslehren nicht weiterentwickelt, sondern nur noch pauschal abgelehnt werden? (Menschen, die sich großmäulig das Papperl "Atheist" an die Brust kleben, empfinde ich als ebenso lächerlich, wie "Irgendwie-Christen"). Man muss nur beim deutschen "Volksdichter Nummer1", Gevatter Goethe, nachlesen: "Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen". Es gibt wohl nichts "Vorkonfektioniertes" (oder man muss sich eben mit der mitunter recht schlichten "Ware" von  Kirchen, Parteien und sonstigen "Dienstleistern" begnügen). Nur - wegen der damit geforderten Eigenarbeit sich des Themas ganz zu entledigen, ist sträflich ignorant und schlägt sich nach meiner persönlichen Überzeugung sowohl auf das Wohlergehen des Einzelnen wie der Gesellschaft eher über kurz, denn über lang äußerst schädlich auf allen Bereichen nieder. 

Lohnt es sich, zur Gewinnung solcher Gedanken zur See zu fahren? Antwort: wenn man sie dadurch bekommt, unbedingt (wobei anscheinend leider viele Urlaubssegler nur nasse Füße und einen Sonnenbrand bekommen - aber wer weiß, was sich in ihrer Seele tut, auch wenn sie erst einmal gar nicht darauf achten oder sich auch nur dessen bewusst werden). Wenn´s dann auch noch so viel Freude macht, wie das bei Elisabeth und mir der Fall ist, erst recht. Was es nützt? Himmel! Eine schwäbisch - hanseatisch, oder eben durch und durch protestantische Frage. Erstens sind wir gerade mal beim Nachdenken und Erkennen (sehr protestantisch), zweitens beim Genießen (ganz und gar unprotestantisch) und drittens wird uns wohl über kurz oder lang sicher einfallen, was wir daraus machen können (eher buddhistisch - fatalistisch). Aber das Gold, aus dem man einen Ring schmieden will, muss ja auch zuerst einmal gewonnen werden .... und dann gibt´s doch eine Platinenbeschichtung ..... ;-)

Donnerstag, 21. August 2003 - Patras (Pelepones) Yachtclub. Nach einer heftigen Fahrt mit 7 Beaufort Sturm und hohen Wellen, die wir trotzdem bei herrlichem Wetter sehr genossen, sind wir in Patras - Hafen angekommen. Mit gereffter Genua und mitlaufendem Motor (aus Sicherheitsgründen) durchpflügten wir den Golf von Patras schräg von Mesolongi aus in ca. 4 Stunden. Das ist richtig prima hier! Was wir nicht alles Schlechtes über Patras gehört haben - aber wir haben mal wieder einen anderen Geschmack wie alle anderen oder machen andere Erfahrungen, sehen Dinge anders, oder haben einfach mit dem Liegeplatz Glück gehabt. Vor der Kulisse der Großstadt Patras zwischen dem Yachtclub, der Strandpromenade, einem großen mondänen Hafencafe mit den festlich beleuchteten riesigen Fähren im Hintergrund und dem Blick von unserer Heckterrasse direkt über die Strasse von Korinth. Und das komfortabel "längsseits" und zum moderaten Preis von 23.00 Euro für 2 Tage incl. Wasser zum Nachfüllen der Tanks (saubere Duschen gibt´s auch gratis) und Strom zum Nachladen der Batteriebänke (.... eiskaltes Bier und exzessiver Computergebrauch satt ....).

Dazu praktische Einkaufsmöglichkeiten in (5-) Minutennähe - Thomas fuhr zwei Stunden hin und her, um alles mit Bordfahrrad und angehängtem Klappwägelchen (eine unbezahlbare und vielbeneidete Kombination) anzukarren, Elisabeth staute. Hintergrund: manche Einzelhändler, teilweise selbst in den kleinsten Fischerhäfen, machen zur Zeit mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, Besucher mit Preisen auszunehmen, die mit "astronomisch" (um nicht beleidigend zu werden) nur schwach charakterisiert sind. Beispiel: Eine Dose Bier bei Lidl (Korfu, Preveza, Patras, Kalamata): 35 Cent. Das Gleiche in den "Supermarkets" (in Deutschland würden solche Läden gerührt als letzte Überbleibsel von "Tante Emma" wahrgenommen): bis zu 2,20 Euro. Und das für das heimische "Mythos"-Bier, das mehr nach süßlichem Mais als nach Hopfen schmeckt. (Preisgefüge auf weitere Lebensmittel fast ebenso übertragbar). Auf diese Weise haben sich unsere Bordfahrräder (die natürlich auch für andere Zwecke sehr nützlich sind)  recht schnell bezahlt gemacht - vom größeren Stauraum unseres Schiffs gar nicht zu reden. Ich wurde am Anfang meiner "Künstlerkarriere" von einer klugen Galeristin ermahnt, mit den Preisen meiner Bilder auch im Erfolgsfall in realistischen (und seriösen) Dimensionen zu bleiben und bin 20 Jahre gut damit gefahren. Vielleicht sollte jemand den griechischen Einzelhändlern einen ähnlichen Rat geben. Ein gewisser "Tante Emma Aufschlag", sogar bis zum Zwei- bis Dreifachen des Großmarktpreises wäre durch die direkte Verfügbarkeit der Waren vor Ort ja nachvollzieh- und akzeptierbar (hier spricht der Ex-Einzelhändler). Beim Siebenfachen jedoch kann man nur noch von Dreistigkeit reden und dem jeweiligen Laden den baldigen Konkurs wünschen - der wohl über kurz oder lang auch eintreten wird - auch in Griechenland schläft die Konkurrenz nicht .... 

Auch ansonsten war, bevor wir wieder in Richtung der Inseln verschwinden, ein Organisations- und Arbeitstag angesagt, um die Zeit in Patras zu nutzen. Einige Klärungen mit unserem griechischen GPRS-InternetProvider "Telestet", Nachuntersuchung beim Tierarzt mit Pia, Geldtransfer in der "National Bank of Greece" an und Telefonate mit unserem Winterquartier in Kalamata und ein wenig Räumen da, ein wenig Putzen dort, Wassertank auffüllen etcetcetc. Und morgen geht´s wieder "raus" in Richtung der Insel Kefalonia. Ein kurzer (10 Seemeilen) und tags darauf ein längerer (35 Seemeilen) "Schlag". Danach wollen wir noch ca. 4 Wochen auf den Inseln Kefalonia und Zakythos bleiben, bis wir uns langsam auf den Weg zum Südpelepones machen.

P.S.: Eigentlich möchte ich die ganze Zeit wieder mal etwas von den vielen Gedanken und Geschichten erzählen, die mir während unser Zeit auf See und den ruhigen Abenden einfallen - aber entweder ist grade kein Strom für den Computer übrig oder andere Dinge stehen an. In dieser Hinsicht freue ich mich auf´s Winterquartier. Inzwischen landet eben alles in den von Hand und immer wieder spontan vollgekritzelten "Sudelbüchern".....

Dienstag, 19. August 2003 - Mesolongion (Golf v. Patras / Korinth) * Mit einer idyllischen Inseltour haben wir uns inzwischen weiter südwärts bewegt. Manchmal war wunderbares Segeln angesagt, manchmal mussten wir motoren, was wiederum unseren Batterien gut tat. Kaum waren wir von Lefkas aufgebrochen, bebte dort die Erde mit Stärke 6 /Richterskala. Wir lagen inzwischen eine Insel weiter im Hafen, als uns morgens eine Erschütterung aus dem Bett warf, wie wenn uns ein anderes Schiff gerammt hätte oder zumindest über unsere Ankerkette gefahren wäre. Wir rannten auf´s Deck - kein Schiff im Hafen bewegte sich - war der Fliegende Holländer auch in Griechenland unterwegs, oder gibt es eine griechische Abart von Klabautermännern? Wir waren für´s erste beruhigt, dass nichts Offensichtliches passiert war. Nach dem Auslaufen sahen wir weit draußen auf dem Meer eine große, langgestreckte Bugwelle auf uns zu rollen - nur das dazugehörige Schiff fehlte - langsam begannen wir, an griechische Geister zu glauben. Erst abends im nächsten Hafen erfuhren wir durch Einheimische von dem Erdbeben und den zwei vorausgegangenen Stößen. Prompt wackelte das Boot wieder, wie wenn eine gewaltige Schüttelhydraulik den Rumpf von unten attackieren würde. Um 24:00 erfolgte das letzte Beben des Tages. Die Nachbeben am nächsten Tag bekamen wir nicht mehr bewusst mit - wahrscheinlich lief gerade unser Bootsdiesel und gegen dessen Vibration kommt so ein Erdbeben nur schwerlich an. Wir hatten mit Stürmen und sonstiger Unbill gerechnet - ein ausgewachsenes Erdbeben stand jedoch nicht auf unserer Rechnung. 

Ansonsten verlief unsere Reise freundlich und erfreulich. Die große Hitze macht uns mitunter etwas zu schaffen, aber mit Ventilatoren in fast jedem Raum des Schiffs ist dieses Problem recht gut in den Griff zu bekommen und wenn ein Wind geht, ist es wieder recht angenehm:  fast täglich um ca. 15:30 setzt er ein und selbst wenn tagsüber fast Windstille herrschte, kommt abends eine thermische Brise seewärts auf, die zusammen mit den abnehmenden Temperaturen sehr von uns genossen wird. Trotzdem freuen wir uns auf den Herbst, wenn ab September die Temperaturen wieder sinken - es soll bis Dezember (dann angenehm) warm sein und selbst im Februar und März gibt es nach meiner Erfahrung herrliche Tage - die wärmere SegelKleidung, die dann fällig wird, lässt wohl echtes Ostsee-Feeling aufkommen. Die dann schneebedeckten Berge ringsum geben einen reizvollen Kontrast zur jetzt ausgedörrten Landschaft.

Während diese Landschaft an uns vorbeizieht, geht mir eine Passage aus dem Buch "Seestücke" von James Hamilton-Paterson durch den Sinn: Ist eine Insel, wenn sie durch Strom-, Wasser-, Telefonleitungen und Fährverkehr mit dem Festland verbunden ist, im eigentlichen Sinn noch eine Insel? Und sind diese südlichen Landstriche, die mehr und mehr zu fremdgesteuerten Urlaubsenklaven nördlicher Länder mutieren eigentlich noch "sie selbst"? Die gängigen Klischees von Griechenland stimmen an keinem Ort mehr, in dem der Tourismus Fuß gefasst hat. Es herrscht ein gesichtsloser Jahrmarkt mit Wasserski und Surfschulen, der so verwechselbar ist, wie in fast allen Ländern am nördlichen Mittelmeersaum. Dass auf diese Weise die einheimische Bevölkerung ein Einkommen oder zumindest Auskommen hat, ist selbstverständlich ein Argument. Dass sie selbst die kümmerlichen Reste ihrer Kultur verliert, ist die andere Seite. Aber das "große", das heroische Griechenland fand ja vor über 2000 Jahren statt, als die Berge der Inseln noch von üppigen Wäldern bedeckt waren und wesentliche geistige Impulse von diesem Land ausgingen. Aus dieser Zeit stammen wohl auch die Klischees nordischer Bildungsbürger, die ihr Arkadien in griechischen Gefilden suchen. Alles Geschichte, wie die einst üppigen Wälder - heute liegen die bergigen Inseln wie nackte Gerippe im Mittelmeer (nur die kroatischen Inseln sind noch kahler durch die rücksichtslose Ausbeutung vergangener Jahrhunderte) und die kulturelle Führungsrolle des Landes ist ein Mythos, dessen Name nur noch in einem sehr mäßigen Dosenbier fortlebt und dessen andere Versatzstücke ab und zu in zweifelhafter Folklore herumgeistern, ähnlich der Traditionspflege in der deutschen Provinz. Viele "aufgeklärte" Griechen wollen mit all dem nichts mehr zu tun haben, geben sich "westlich", beklagen Missstände wie die Korruption im öffentlichen Dienst des Landes, wirtschaftliche Schwierigkeiten (aber welches Land hätte die zur Zeit aus eigener Sicht nicht...) - und sind doch in unseren Augen so sehr griechisch: eine Mischung aus Herzlichkeit und Arroganz, organisatorischem Chaos und Geschäftssinn, Gelassenheit und südländischem Temperament, Verbindlichkeit und schlitzohriger Schlauheit. Griechenland ist der zur Zeit orientalischste Teil Europas - und beides stimmt: orientalisch (durch Lage, Mentalität, Ethnie) und Europa (durch die Geschichte der letzten 300 Jahre bis heute). Vielleicht ist diese Mischung etwas, das das heutige Griechenland einzigartig fremd-vertraut und dadurch oft auch reizvoll macht. 

Sonntag, 10. August 2003 - Lefkas / Insel Lefkas * Pia ist von ihrer Operation (s. 08.) wieder halbwegs genesen, wenn auch noch etwas ermattet. 2 Nächte und einen Tag schlief sie fast komplett durch. Dafür entwickelte sie heute einen riesigen Appetit, der mit einigen gekochten Rinderknochen bedient wurde.

Ansonsten nutzen wir den ruhigen Tag zum Lesen und Arbeiten. Wir haben so viele Mails zu beantworten und zu schreiben (Elisabeth mehr privat, ich die erfreulicherweise immer mehr werdenden Anfragen und Bestellungen von Drucken). Da wir unseren Internetanschluss an Bord haben, geht das auch sehr komfortabel - teilweise sogar, während wir unterwegs sind. Gelesen werden nicht nur gute Romane von denen wir ein paar hundert mitgenommen haben, sondern auch philosophische Werke, die uns viele geistige Anregungen vermitteln und helfen, Dinge des eigenen Lebens und der Zeitläufte in neuem Licht zu bedenken.

Überhaupt hat dieses "Bedenken" eine äußerst wertvolle Qualität. Innehalten, still sein. Wir haben einen 20 jährigen, erfolg- und ereignisreichen Lebensabschnitt hinter uns gelassen. Jetzt ein paar Gedanken über das was war, bei manchen Geschehnissen erst langsam Zusammenhänge begreifen, Situationen einordnen. Dazwischen sind die ganz praktischen Erfordernisse unseres Alltags eine erfreuliche Abwechslung. Bastel- und Pflegearbeiten am Schiff, Verproviantierung und dann wieder: Ablegen, Seekarten studieren, unterwegs sein, Routen suchen zwischen Inseln, Buchten, Riffen, Untiefen, bis wir gespannt in einen neuen Hafen einlaufen.

 Was inzwischen recht gelassen geht: die anfangs gefürchteten Anlegemanöver. Sie klappen inzwischen so präzise und ruhig, dass wir sogar mitunter Lob von anderen Skippern bekommen, die, wie wir inzwischen auch, eine gewisse Sicherheit und Routine auf anderen Booten zu schätzen wissen - wir haben inzwischen katastrophale Anlegemanöver miterlebt. Andere Boote wurden gerammt, der Anker der Nachbarn noch vor dem Anlegen durch den falsch gelegten eigenen Anker herausgerissen (sehr lästig, da das andere Boot dann ebenfalls ein komplettes An- und Ablegemanöver absolvieren muss, um seinen Anker neu zu werfen - besonders willkommen, wenn man grade arbeitet oder beim Essen sitzt). Teilweise ziehen sich bei "Chaoten-Crews" die Anlegemanöver bis zu Stunden in die Länge, weil so ziemlich alles falsch gemacht wird und die Crews der benachbarten Boote dann die ganze Zeit in "Hab-acht-Stellung" verharren müssen, um ihr eigenes Boot vor dem Schlimmsten zu bewahren. Und das passiert nicht nur bei Anfängern oder charternden GelegenheitsSkippern. Ob die Seefahrt bei diesen alltäglichen Katastrophen (man kann sich leicht vorstellen, was dann "draußen" alles passiert) noch großen Spaß macht, bleibt dahingestellt. Wir helfen natürlich, wo wir können und üben uns in guter "Seemannschaft", auch wenn diese, interessanter Weise oft gerade bei den "Chaoten", nicht überall "in Mode" ist. 

Die zweite Gruppe solcher "Modemuffel" sind oft (Ausnahmen bestätigen die Regel) Crews von Motoryachten - oft nach der Regel "je größer, je schlimmer". Ich habe früher viele Segler über diese Spezies klagen hören. Meine Erfahrung: ALLES (und noch viel mehr) ist wahr. Wenn sich diese Menschen (meist  italienischer Nationalität) mit ihren donnernden Ungetümen den Stegen nähern, hofft jeder Segler, neben dem noch eine Lücke frei ist, dass er nicht ihr Opfer wird. Alleine der brüllende und fauchende Lärm, bis die Monstren angelegt haben ist furchterregend (Motoren mit 3000 PS und mehr sind keine Seltenheit - selbstverständlich nur ungenügend schallgedämpft). Danach hat man eine mehrere Meter hohe Plastikwand neben sich und weiteren Lärm von dieselbetriebenen Stromaggregaten (für Klimaanlage, Kühl- und Gefrier(!)schränke, Festbeleuchtung innen und außen, Breitwandfernseher etc), deren Leistung die unserer (Antriebs-)Motoren oft noch immer um ein Mehrfaches übersteigt. Rücksichtslose Manöver auf See und beim Anlegen gehören anscheinend zum guten Ton dieser Kaste. Durch Häfen und Buchten zu brettern, dass vom aufgeworfenen Wellengang alle anderen Boote herumgeworfen werden, sich Masten verheddern und Gangways zerschlagen werden, ganz zu schweigen. Es gab schon viele schwere Verletzungen, weil Segelcrews in ihren Schiffen von diesen im Hafen nicht erwarteten Wellen auf und unter Deck umhergeschleudert wurden und schwere Verletzungen davontrugen. 

Zwei weitere Beispiele von MotoryachtEtikette: Im teilweise sehr engen und flachen Kanal von Lefkas der rechts und links durch gefährliche Untiefen begrenzt ist und in dem eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 4 Knoten gilt, muss äußerst vorsichtig gefahren werden, besonders wenn Gegenverkehr herrscht. Bei einer Durchfahrt herrschte äußerst reger Verkehr in beide Richtungen. Alle Schiffe fuhren vorsichtig und aufmerksam bis hinter uns eine riesige Motoryacht mit der Höhe eines dreistöckigen Hauses schnell aufholte und im dichtesten, und damit ohnehin gefährlichen, Verkehr rigoros überholte. Alle anderen Schiffe hatten damit zu kämpfen, beim Ausweichen nicht in die seitlichen Untiefen zu geraten, oder von der gewaltigen Bugwelle des Monstrums in diese abgetrieben zu werden - das Schiff fuhr mindestens das Doppelte der zulässigen Geschwindigkeit. Aber auch kleine Boote wissen sich unangenehm bemerkbar zu machen - und sei es durch dilettantisches und/oder rüpelhaftes Benehmen im Hafen: Eine Lücke von ca. 1 Meter und ein Motorboot mit einer Breite von 3 Metern, das unbedingt in diese Lücke will? Kein Problem: Voller RückwärtsSchub und alle anderen Schiffe rechts und links werden beiseite gedrückt, dass die Fender quietschen und die zuvor mit Ankerkette und Landleinen sorgfältig ausgerichteten Boote krumm und schräg liegen. 

Zu meinem Leidwesen muss ich das Resumée ziehen, dass die meisten Motorbootfahrer, zumindest was ihre Auffassung von Seefahrt betrifft, einer Geisteshaltung zuzurechnen sind, die nur als "abstoßend" bewertet werden kann. Auch der Treibstoffverbrauch wirft dabei kein gutes Licht auf diese Dinosaurier: 300 Liter (!!!) Verbrauch pro Betriebstunde (kein Tippfehler) und mehr sprechen angesichts ökologischer Debatten von einer Ignoranz und unappetitlichen Arroganz, die schwerlich Sympathien aufkommen lässt. Die meisten Motoryachten haben keine Namen (was ihrem unsympathischen Wesen entspricht). Wir wurden auf offener See von einem Boot, das unsere Vorfahrt grob missachtete und uns gerammt hätte, wenn wir nicht im letzten Augenblick ausgewichen wären, in große Gefahr gebracht und wollten uns für eine evtl. Anzeige den Schiffsnamen notieren, der jedoch nirgends zu entdecken war - danach dämmerte uns, warum auf fast keinem der Rabaukenboote ein Name steht. Viel wird sich an diesem Unwesen wohl nicht ändern: was außerhalb einer Zone von wenigen Meilen vor der Küste passiert, interessiert kein Land - und hier im Süden schon gar nicht. Wir haben inzwischen von Seglern gehört, die sich bewaffnen, um sich mit (im wahrsten Wortsinn) Schüssen vor den Bug vor den MotorRambos zu schützen - Wildwest im Mittelmeer. 

Freitag, 08. August 2003 - Lefkas/Insel Lefkas * Wir sind noch immer in der Gegend - es ist sehr hübsch hier und wir haben einige Ausrüster in der Nähe, sodass wir Zugriff auf Kleinteile für einige "Bastelarbeiten" an Bord haben: Zur Zeit ist noch einmal die Bordelektronik dran: "Powerlader" für Lichtmaschine und Landstrom, damit unsere Computer und der Kühlschrank nicht alles wegfressen. Ansonsten ist noch nachzutragen, dass der am 24. Juli angegebene Standort "Vlycho Bay" noch nicht richtig gewürdigt wurde: Eine traumhafte, fast geschlossene Bucht von ca. 1,5 x 2 km Ausdehnung. In der ganzen Bucht erlaubt die Wassertiefe ein Ankern, sodass auch für viele Boote genügend Abstand für Sicherheit und Privatsphäre bleibt. Hier abends auf der Heckterrasse mit Blick auf das spiegelglatte Wasser in einer meist vorhandenen kühlen Brise zu sitzen, die Stille und das Panorama mit hohen Bergen und den Lichtern der verstreut am Ufer stehenden Häuser genießen -  das kommt dem BilderbuchIdeal von "SegelParadies" schon recht nahe.

Unser letzter Aufenthalt in dieser Bucht diente einem Test: In Lefkas freundeten wir uns mit einer echten Griechin an: Schön, klug, liebevoll - eine junge Windhundmischung, die uns einfach adoptierte und tage- und nächtelang geduldig vor unserer Gangway wartete, um gestreichelt zu werden, ab und zu einen Happen zu ergattern und uns mehr und mehr bei unseren Spaziergängen zu begleiten, als hätte sie schon immer "dazu" gehört. Als ein Gewitter kam, holten wir sie an Deck unters Sonnendach, damit sie nicht nass wurde, später sogar ins Ruderhaus. Keine Fremdheit, keine Nervosität. Dann durfte sie nachts auf dem Achterdeck bleiben, tags jedoch setzten wir sie an Land - auch um ihr die Möglichkeit zu geben, ihrer Wege zu gehen; so dringend wollten wir ja eigentlich keine dritte DecksPfote an Bord. Pia, wie wir sie inzwischen getauft hatten, benahm sich weiterhin als "unser Hund" wich plötzlich anderen Menschen, die sie streicheln wollten (sie ist wirklich hübsch) aus, ja - nahm mehr und mehr nicht einmal Leckereien von anderen an. Elisabeth war begeistert - Thomas skeptisch - angetan. Nun gut - ein Test: 2 Tage Ausflug zur Vlycho-Bay und zurück, während wir auf unsere Nachsendepost warteten - dann konnte man weitersehen. Pia benahm sich 2 Tage, wie wenn "Yachthund" ihr zweiter Name wäre. Inklusive erfreut wedelndem Mitfahren im wackligen Dinghi ans Ufer. Als sie eines morgens tief unten am Heck auf der Badeplattform saß (der einzige Teil des Schiffs, den man direkt aus dem Wasser entern kann), war rekonstruierbar, dass Pia von alleine ins Dinghi gesprungen war, um ihr "Geschäft" nicht auf dem Schiff machen zu müssen, dann eben das Dinghi, als niemand mit ihr an Land ruderte,  als Ablage benutzte (macht nichts - ein Eimerchen Seewasser und gut), leider aber beim Versuch, wieder aufs Schiff zurückzuspringen, im Meer landete. Das sportliche Tier schaffte es aber immerhin ums Schiff herumzuschwimmen, setzte sich dann auf die tablett-große Badeplattform und wartete geduldig ohne Winseln und Bellen, bis wir Schlafmützen Stunden später das inzwischen wieder getrocknete Tier an Bord holten. Seehund-Test hiermit bestanden. Wir sind also zu dritt. Heute Abend geht´s zum Tierarzt für Impfungen und Sterilisation (muss sein) und Anfang nächster Woche sind wir nach diesem, technisch und tierisch bedingt, verlängerten Aufenthalt fest entschlossen, wieder ein Stück weiter südwärts zu kommen. Kalamata (s. 24. Juli) wartet.

Donnerstag, 24. Juli 2003 - Nydrion / Vlycho Bay, Insel Lefkas * Als wir am 15. Juli Preveza verließen, verhieß der Wetterdienst mäßige Winde von 2-3 Bf. - Was uns "draußen" erwartete: Sturm mit 6-7 Bf., der unser Schiff auch ohne Segel in bedenkliche Schlagseite brachte und meterhohe Wellen, die das Schiff wie ein Spielzeug hin und her warfen. Trotzdem setzten wir eine gereffte Genua zur Stabilisierung und meisterten so die kurze Strecke bis zur Einfahrt in den LefkasKanal in ca. 2 Stunden. Leider ist die genannte Einfahrt wenn man von See kommt durch nichts zu erkennen: gleichförmige Sandbänke, auf die man aufzulaufen droht, aber kein Seezeichen - nichts. Ich fluchte mal wieder über die griechische Gelassenheit (in D würde man das "saumäßige Schlamperei" nennen), während wir uns durch Wellen und Starkwind vorsichtig der Küste näherten. Erst als der Tiefenmesser bereits das baldige Auflaufen auf eine der Sandbänke anzeigte, erschloss sich eine von Untiefen gesäumte Rinne. Nun galt es, das Boot bei Starkwind in einem winzigen Wartebecken vor einer Drehbrücke eine halbe Stunde lang vor dem Stranden zu bewahren, um dann in den eigentlichen Kanal einzufahren, der so schmal war, dass wir Sorge hatten, dass unser vom Seitenwind schräg gedrücktes Schiff mit den Masten ein entgegenkommendes Schiff touchieren könnte. Danach noch ein Starkwind - Anlegemanöver (da sind wir zum Glück inzwischen ganz fit, trotz schwer zu manövrierendem Langkieler) und wir lagen in Lefkas - Stadt. Nach diesem Abenteuer beschlossen wir, wieder ein paar Tage zu bleiben, da auch einige Reparaturen anstanden: Der leckende Wassertank nervte (nach jedem Tanken war nach kurzer Zeit die Hälfte des wertvollen Frischwassers in die Bilge entfleucht und dass Schiff soff fast "von innen" ab), wurde zersägt, stückweise entfernt und durch 2 neue 150 Liter - Tanks ersetzt. Da wir schon dabei waren, gab es auch noch eine neue Wasserpumpe. Außerdem haben wir mal eben den Regler der Lichtmaschine, den Keilriemen und ein Rohr der Motorkühlung ausgetauscht - inzwischen gehört die ständige Bastelei zum Alltag und wird möglichst schnell und mit immer größerer Routine erledigt.

Lefkas selbst hat eine sehenswerte und weitläufige Altstadt, die einen ganz eigenen durchgehenden Baustil aufweist, den wir so noch nie gesehen haben. Mich erinnerte er etwas an die Architektur französischer Strandbäder in der Bretagne aus dem 19. Jahrhundert - sogar ein wenig an die Altstadt von New Orleans, die ja auch französisch beeinflusst ist. Wenn es abends kühler wurde, bummelten wir durch die teilweise sehr belebten, teilweise still - heimeligen Gassen und fanden immer wieder neue interessante Winkel. Tagsüber zwischen 12 und 17 Uhr ist es am sinnvollsten, im Schatten zu bleiben - also ist Lesen, Schreiben (mein Notitzbuch für die "Geschichten vom Meer" wächst täglich um etliche Seiten) und ein MittagsSchläfchen angesagt. Dafür dehnt sich der Abend etwas länger - zumindest was mich betrifft - Elisabeth steht dafür gerne etwas früher auf und genießt die Morgenfrische. So haben wir beide unsere "eigene" Zeit am Tag.

In Lefkas war unser Stegnachbar der 76 (!!) - jährige Jack aus England. Einhandsegler seit 9 Jahren und seit seinem 13. Lebensjahr beruflich auf See in jeder Ecke der Welt unterwegs. Ein drahtiger, origineller und freundlicher "Knabe", mit dem wir uns gleich angefreundet haben. Eigentlich wollte er am nächsten Tag auslaufen, aber nachdem wir abends bis spät bei einigen Bieren eine angeregte Konversation hatten, beschloss er am Morgen, obwohl wir extra früh aufgestanden waren, um ihn zu verabschieden, dass es doch eigentlich sehr nett sei in Lefkas und so blieben wir für 5 Tage Nachbarn, plauderten viel miteinander, halfen uns gegenseitig, als ein weiterer Sturm drohte, die Anker unserer Schiffe auszureißen und erst am Dienstag, den 22. Juli legten wir gemeinsam ab - Jack nach Norden Richtung Preveza, wir nach Süden weiter den Kanal abwärts Richtung Süden. Nachdem wir den (idyllischen) Kanal verlassen hatten und wieder in offenem (und damit glasklarem) Wasser waren, ließen wir uns erst mal treiben, badeten und putzten unser Schiff, das im dreckigen Hafenwasser von Preveza einige "Verzierungen" an der Wasserlinie eingefangen hatte.

Seit 3 Tagen belegen wir nun einen der begehrten Plätze an der Hafenpromenade von Nydrion, machen mit unserem Beiboot "Trinity" Ausflüge zu den vorgelagerten Inseln und morgen früh werden wir wohl etwas weiter nach Süden ziehen, um ohne Hast unser Fahrtenziel für diesen Sommer, Kalamata an der Südküste des Pelepones, zu erreichen, wo wir Ende September/ Anfang Oktober eintreffen und über den Winter in der Marina bleiben wollen - auch um einen festen Stromanschluss zu haben, der uns erlaubt, am Computer die Ideen dieses Sommers zu etwas "Vorzeigbarem" zu verarbeiten. Aber bis dahin wird es sicher noch viel zu erleben geben - wir werden unser Logbuch entsprechend damit füttern.

Montag, 14. Juli 2003. Preveza. Wir haben noch einen Tag drangehängt - alles so nett hier. Wir liegen längsseits an der hübschen Hafenpromenade, haben Wasser und Strom - und das alles gratis. In Gehweite gibt es mehrere Verkaufsstände mit frischem und preiswertem Obst und Gemüse, sodass unsere täglichen Salate abwechslungsreich und üppig ausfallen. Abends gibt es FreilichtTheater: Alle Einwohner von Preveza und Umgebung zwischen 1 und 100 Jahren flanieren auf der ca. 1 km langen hübsch illuminierten Promenade hin und her, wir sitzen auf unserer Heckterrasse wie in einer Loge mit dem Sonnensegel als Baldachin, schlürfen kaltes Bier und genießen die Aussicht auf Flaneure (beruht auf Gegenseitigkeit), Hafen und Bucht. Gestern gab es noch eine "Sondereinlage", als ein Frachter eilig am gegenüberliegenden Kai festmachte, um alsbald immer tiefer zu sinken, bis Fahrzeuge mit (wie wir vermuten) Pumpen eintrafen, die bewirkten, dass das Schiff wieder halbwegs schwimmfähig wurde. Weiterhin regelmäßig besucht uns "Caretta caretta", die große Seeschildkröte, zu der Elisabeth inzwischen eine solche Sympathie entwickelt hat, dass sie die imposante Amphibie gerne füttern würde (mag Caretta Golden Delitius?). Leider wird die Sympathie bisher jedoch nicht erwidert. 

Auf einer Ausstellung haben wir gestern Abend erste Kontakte zur Athener Kunstszene geknüpft - die Bilder waren teilweise handwerklich recht ordentlich, aber wir entdeckten nichts, was uns allzu sehr beeindruckt hätte - am ehesten noch die Organisatorin: jung, engagiert und voll idealistischer Begeisterung für ihr Vorhaben, mit dem Erlös der Ausstellung in Athen ein Künstlerhaus zu finanzieren. Der Lohn solcher Aktionen liegt nach meiner Erfahrung allerdings eher in den dabei zu gewinnenden Erfahrungen, als in der wirklichen Realisierbarkeit eines solchen Projekts, aber das habe ich für mich behalten - in meiner Sturm- und Drang- Zeit mochte ich auch keine älteren Klugscheißer, die mit ihren Bedenken jeden Enthusiasmus zu zerreden versuchten. Zuvor besichtigten wir die örtlichen Kirchen mit alten Ikonen (schön) und neuen Wandmalereien (kitschig). Zu unserer Überraschung wurden wir in einer Kirche von einem freundlich lächelnden Männlein mit der mildtätigen Gabe von zwei sorgsam in Silberfolie verpackten Muffins beschenkt. Da wir sonnengebräunt und gut genährt sind, also alles andere als verhärmt aussehen, nahmen wir das Geschenk erfreut dankend als Sympathiekundgebung - das nächste Frühstück war gesichert.

Heute Nachmittag habe ich noch einige Gedanken in den Computer getippt über Neue Horizonte, das Meer und warum ich hier einen Gott finde, der neu "erfunden" werden muss: Die Suche des Unbeschränkten.

Sonntag, 13. Juli 2003. Preveza, Ambrakischer Golf. Wir leben nun bereits seit 2 Monaten auf unserer Unity und endlich bewegen wir uns nun weiter südwärts. In den letzten Wochen waren stets nur kleinere Törns möglich (zusammen ca. 400 sm), da immer wieder noch etwas zu reparieren war, weshalb wir auch immer wieder nach Korfu zurückkehrten, um die Infrastruktur der Marina zur Verfügung zu haben. Das ging von einer gründlichen Überholung des Motors über unzählige Kleinigkeiten bis zum Umbau der Toilette (viele Yachten sinken ganz unspektakulär im Hafen - einfach weil die Toilette, die unterhalb der Wasserlinie liegt, schlecht gewartet und undicht ist).

Wenn wir jedoch bisher unterwegs waren, war es ein wunderbares Erlebnis. Wir segelten, wann immer der Wind passte - und überhaupt vorhanden war (die Ionische See ist eines der gemäßigten Gebiete des Mittelmeers - weshalb wir hier auch unsere ersten Törns absolvieren).  Bisherige Stationen: Korfu-Stadt, Petreti (Korfu), Lakka (Paxos), Gaios (Paxos), Mongonisi (Paxos), Plataria (Festland), Sivota (Fl.), Parga (Fl), Ammoudia, Fluss Acharon (FL), Preveza (Ambrak. Golf). Hier sichteten wir heute morgen unsere erste Seeschildkröte, die ganz gelassen mitten durch den Hafen paddelte. Zuerst dachten wir an Seehunde, dann, als ein genoppter Panzer sichtbar wurde, an das verirrte Ungeheuer von Loch Ness, zuletzt war klar, dass es eine über ein Meter große Schildkröte war, von der mal der gewaltige Kopf (ca. menschl. Größe), mal eine Flosse, mal der Panzer aus dem Wasser ragte.

Ansonsten lesen wir viel, erstellen erste Ideensammlungen und Skizzen für unsere Arbeit, bereiten wunderbare Salate, schwimmen, besuchen Sehenswürdigkeiten und Ausstellungen, plaudern abends auf unserer Heckterrasse - auch mit lieben und interessanten Gästen, die wir hier und da kennen lernen - und amüsieren uns mit Charterbooten. Das Letztere ist freundlich - ironisch gemeint. Hintergrund: Wer sich ein Mal im Jahr (oder noch seltener) eine (möglichst große) Yacht leiht (deren Eigenheiten ihm zusätzlich meist gänzlich fremd sind) und dann fröhlich mit Freunden und/oder Familie lossegelt, erleidet oft spätestens im ersten Hafen einen mehr oder weniger dramatischen Schiffbruch beim Anlegemanöver (was "draußen" so alles passiert ist, lässt sich anhand cholerischer und/oder unbeholfener Skipper bzw. einer des Segelns überwiegend unkundigen Crew leicht ausmalen). Aber wir helfen gerne. Erstens weil die Zeit der dramatischen Anlegemanöver auch bei uns noch nicht allzu lange vorbei ist (und bei Seitenwind oder Strömungen immer mal wieder fröhliche Urständ feiert) und zweitens, weil es uns noch immer Spaß macht, "mit Bötchen rumzuspielen". Außerdem sind wir ganz einfach gerne nette Menschen, die die Grundregeln klassischer Seemannschaft noch beachten. Was leider zunehmend selten vorkommt: Ruppigkeit, Gedrängel, Unachtsamkeit, Behinderung anderer und mangelnde oder gänzlich fehlende Hilfsbereitschaft sind an der Tagesordnung, was wir so von unseren Törns auf der Ostsee nicht kennen.

Vor allem anderen zählt jedoch "LA MER!" - Stille und Weite, die der Seele gut tun und ihr Zeit geben, "aufzuatmen". So vieles ist passiert in den letzten Jahren, was nun in Ruhe überdacht und eingeordnet werden will. Ein Segeltag, an dem die Landschaft langsam vorüberzieht, während man ab und zu ein Segel aufzieht, einholt, den Kurs korrigiert und ansonsten "einfach dasitzt", vielleicht noch mit einem Notizbuch  und dem grade aktuellen Lieblingsphilosophen griffbereit, ist so recht dafür geeignet.

Wir haben uns jetzt, da unsere Reise erst richtig losgeht, vorgenommen, regelmäßig etwas in unser Logbuch zu vermerken - also freuen wir uns über jedes Interesse und natürlich gelegentliche Grüße und Kommentare unter mail@t-w.de .