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Lakki (Insel Leros), 12. Juli 2005

 

Zuerst ein Nachtrag zum misstrauischen Ende des vorherigen Logbuchs: Der Hafen von Lipsi (Detailphoto rechts) ist abends nicht nur sehr hübsch anzuschauen (davon leider kein Bild - ich war zu faul, das Stativ heraus zu kramen), sondern auch angenehm ruhig. Sanftes Geplauder aus den umliegenden Tavernas machte die Atmosphäre eher noch heimeliger, lästige Zwangsbeschallung fand nicht statt. Wenn wir gewusst hätten, wie die weitere Seefahrt verläuft, wären wir vielleicht noch ein paar Tage am Steg des freundlichen Örtchens geblieben, so liefen wir am nächsten Morgen wieder aus, um uns vor einer angesagten Schlechtwetterphase noch auf den Weg nach Lakki auf der Insel Leros zu machen, wo wir aber vorerst nicht ankommen sollten.....

 

Am Anfang unserer Überfahrt passierten wir die kleinen, westlich vorgelagerten Inselchen des Archipels, in dem die Inseln Lipsi und Arki (Arkon) eingebettet sind. Ein ganzer Katalog verschiedener Inselformen im Miniaturformat glitt an uns vorüber:

Die Wettervorhersage zeigte noch immer ein starkes Sturmtief über dem Ionischen Meer, dessen Ausläufer uns einen moderaten "halben" Wind aus Südwest für die Fahrt entlang der von Nordwest nach Südost verlaufenden Küste von Leros bescheren sollte. Leider war nicht Weihnachten, die Bescherung viel aus, bzw. erbrachte nicht den Inhalt unseres Wunschzettels. Durch eine nachvollziehbare Umlenkung "schmiegte" sich die in weitem Rund vom Pelepones kommende Strömung an die Küste von Leros und kam uns in zunehmender Stärke mit immer höher werdenden Wellen genau von vorn entgegen. Elisabeth freute sich zwar im Sinne frischer Bettwäsche auf die in Lakki vom Hafenführer annoncierte Waschmaschine, aber als wir die nördlich von Leros gelegene Inselkette passierten und klar war, dass die Verhältnisse bis Lakki sich eher noch verschlechtern würden, streikte der Skipper im Namen seines Menschenverstandes, den er immer noch in einigermaßen akzeptablem Zustand wähnt, gegen ein stundenlanges unökonomisches Anmotoren gegen Welle und Wind. Also entführte ich Crew und Schiff, indem ich ohne zu blinken scharf links abbog hinter die Nordspitze von Leros, da die Seekarte hier verführerisch mit mehreren nach allen Seiten geschützten Buchten winkte. Wir nahmen kurzerhand gleich die erste, größte und am besten geschützte:

Ein paar Boote, die wir teilweise bereits in früher angelaufenen Häfen gesehen hatten, lagen bereits vor Anker, aber die Bucht ist so groß, dass noch genügend Platz für weitere Yachten vorhanden war. Nun gut - hier würden wir wohl die nächsten zwei Tage bleiben - das ionische Tief sollte auch hier eventuell etwas Regen und weiter nördlich sogar Gewitter bringen. Bereits kurze Zeit, nachdem wir ein Plätzchen gefunden hatten, wälzte sich eine dicke dunkelgraue Wolkenwalze aus südlicher Richtung über die Berge:

Wenig später waren wir dann endgültig ganz zufrieden, dass wir dem, was da aus Süden auf uns zu kam nicht auch noch entgegen gefahren waren, sondern den Schlamassel in aller Gemütsruhe mit sicher eingegrabenem und geprüftem Anker über uns hinweg ziehen lassen konnten:

Wir genossen jedoch unseren Aufenthalt, auch wenn er ungeplant aus einer Notlösung heraus entstanden war. Es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis, in einer Bucht frei vor Anker zu "schwoien". Während ich abends noch in der Tür des Ruderhauses saß, die schnell ziehenden Wolken beobachtete und, während Elisabeth bereits friedlich im Vorschiff schlummerte, mein allabendliches "Nachdenkestündchen" in Begleitung eines Biers zelebrierte, würdigte ich auch das Thema "Bucht" mit einigen Überlegungen:

Auf die Frage nach dem Gegenteil einer Insel wird die Antwort überwiegend "das Festland" lauten, was sachlich nur bedingt als richtig bewertet werden kann. Eine Insel ist ein Stück Land, das von allen Seiten von Wasser umgeben ist. Das Gegenteil davon ist also Wasser, das von allen Seiten von Land umgeben ist. Ergo: ein See. In diesem Sinne ist eine Bucht das Gegenteil einer Halbinsel. Eine geschützte Wasserfläche, die wie ein Fötus an einer Nabelschnur doch noch mit dem Meer verbunden ist.

Im besten Falle so geschützt wie ein Binnensee, aber nicht wie dieser die auf ihm treibenden Boote auf seiner Fläche in Haft nehmend, sondern ein Gewässer, das stets die Möglichkeit bietet, jederzeit ad libidum wieder im wahrsten Sinne "das Weite zu suchen". Auf diese Weise ist die Bucht ein Sinnbild für eine großzügige, souveräne Beziehung zu Menschen, die den andern nicht, wie ein Binnensee ein Boot, auf die eigene Begrenztheit festlegen, sondern bei aller Sicherheit und Verbindlichkeit das Angebot der Freiheit und Beweglichkeit des anderen aufrecht erhalten.

Ein Boot auf einem See ist ein schon fast zur Immobilie gewordenes Versprechen einer, letztendlich sehr begrenzten, Freiheit. Ein Boot in einer Bucht hat in jedem Augenblick die Option vor dem Bug, die Weltmeere zu durchpflügen. Vielleicht ist es grade dieses Gefühl der Freiheit, das dann doch viele Menschen lächelnd eine Zeit verweilen lässt. Man könnte ja -  jederzeit. Ob die Gründe für ein Verweilen dann ganz pragmatisch im Warten auf bessere Winde oder eher romantisch darin liegen, dass man dem stillen Charme des Ortes verfällt - die Bucht steht jeder Entscheidung gelassen gegenüber. Sie ist ja kein Mensch, sondern gehört dem "Großen-Ganzen" an, das eher göttlicher Natur ist. Und diese steht den kleinen Beweggründen des Menschen sehr gleichmütig gegenüber. Ohne jede emotionale Regung beschützt uns die Bucht vor schwerem Wetter und bestraft Leichtsinn und Unbedarftheit, wenn wir den Anker falsch oder schlampig geworfen haben.

Sind wir deshalb versucht, der Bucht eine wesenhafte Persönlichkeit zuzusprechen? Menschen vorgeschichtlich mystischer Zeiten wären vielleicht auf solche Deutungsversuche verfallen und werden aus unserer heutigen, vermeintlich aufgeklärten Warte fälschlicher Weise dafür belächelt, während noch immer die Mehrzahl der Zeitgenossen eine Personalisierung von "Gott", der ja "nur" eine ins Unendliche erweiterte Metapher der Bucht ist, achselzuckend oder engagiert zustimmen. "Gott" straft und hilft so viel und so wenig wie die Bucht. Wenn wir deren Chancen und Gefahren kennen, wird sie uns helfen. Wenn wir naiver Weise nur ihre Vorteile wahrnehmen, wird sie uns vielleicht mit schlierendem Anker an einen Felsen werfen. Die "Gute Bucht" ist in meinen Augen ein ebenso dummer Irrtum wie der "Liebe Gott".
Trotz ihrer Zugehörigkeit und Anbindung an die Weite ist eine Bucht ein begrenzter Raum, in dem, in immer wieder wechselnden Konstellationen, soziale Prozesse stattfinden. Boote laufen aus, neue Boote kommen herein. Anker werden mehr oder weniger geschickt geworfen, in mehr oder weniger Abstand kreisen die Boote dann mit der Windrichtung wie ein Zeitlupen-Ballett, wenden einander verschiedene Seiten zu und ohne das Zutun der Menschen auf den Booten wechseln Nachbarschaften und Ausblicke.

Man nimmt einander von Boot zu Boot mehr oder weniger intensiv wahr, grüßt vielleicht, besucht einander gar. Aber zuerst einmal hat jedes Boot den Status einer Privatinsel, deren Autonomität gegenseitig geachtet wird. Kein neugieriges Starren, genügend Abstand beim Anker werfen und bei der Passage mit dem Beiboot auf dem Weg zum Ufer. Wer sich entschließt, in einer Bucht vor Anker zu gehen, statt einen Hafen anzulaufen, sucht in der überwiegenden Zahl der Fälle die Stille. Daher halten sich Kontakte zwischen den Booten in Grenzen. Sofern es sich nicht um einen stil- und kulturlosen Tölpel handelt, ist jeder darauf bedacht, sich und den anderen die Chance zu der Illusion zu lassen, die Bucht und ihre Stille gehöre ganz ihnen alleine. "...and my deckchair is an island in a kaleidoscope world...." (Magna Carta "Seasons" 1972)

Nirgends sonst wird das Schiff so sehr zu einer autonomen "Hausinsel", wie in einer Bucht. Die Teile des Decks mit ihren verschiedenen Ausblicken, die Räume ohne die gedrängte Aussicht auf unmittelbar nebenan liegende Boote. Auf der weiten Fläche einer Bucht wird die Funktion eines Bootes als schwimmendes Zuhause am sinnlichsten erfahrbar.
Auch unser Bordhund Pia genießt die gelassene Insel-Situation offensichtlich, legt sich aber doch auf dem Umlauf hinter der niedrigen Brüstung in Beobachterposition, um nichts zu verpassen. Wenn wir dann mit dem Dingi ans Ufer fahren, holt sie nach, was wir bequem vom Boot aus können: ein erfrischendes Bad, bei dem sie optisch dem Begriff "Wasserratte" alle Ehre macht:
Jeden Abend machten wir einen kleinen Spaziergang über die Hügel der Umgebung, die in ihrer kargen Wildheit ihren ganz eigenen archaischen Charme haben und besuchen benachbarte Buchten.
Zwei Fischfarmen in unserer Bucht sind zum Glück nicht mehr in Betrieb, was der Wasserqualität sehr zugute kommt. Immerhin bieten sie mit dem Gewirr von hell gebleichten Stecken ein reizvolles graphisches Bild:

Zwei oder drei Mal am Tag landen auf dem winzigen benachbarten Flughafen kleine Propellermaschinen der "Olympic Airways". Als wir wieder ausliefen, hofften wir, dass wir keiner Maschine im Landeanflug in die Quere kämen: der Weg aus der Bucht führt direkt am Beginn der Landebahn vorbei. Unmittelbar nachdem wir die Strecke passiert hatten, flog eine Maschine ein - ob sie nun eine Warteschleife wegen uns fliegen musste, bleibt Spekulation.

Nach zwei Tagen in der Bucht ließ der Starkwind nach, am dritten Tag hatte sich auch die Welle geglättet, die sich während der Sturmtage aufgebaut hatte und wir konnten unsere Reise fortsetzen nach Lakki, dem Haupthafen der Insel Leros. Die Waschmaschine winkte.....

Nach drei ruhigen Tagen gilt es nun, einen mittelstarken Meltemi "abzufeiern" - wir haben es ja nicht eilig. Wir genießen die Annehmlichkeiten des Hafens und beobachten amüsiert - interessiert, was hin und wieder "so alles" hier einläuft:

Unter anderem ein betagtes "KüMo", ein norddeutsches Küstenmotorschiff unter deutscher Flagge, das auf recht originelle Weise zum "Pleasure-Boat" umgemodelt wurde. Hinten Panzer, in der Mitte Frachtkahn, vorne Liegewiese. Mit seiner Behäbigkeit und seinem tuckernden und schnaubenden Motor ein wirkliches Exotikum in diesen Breiten. Es darf spekuliert werden, welcher Umstände es bedurfte, den Oldtimer hier her zu bringen....

Dann wäre noch von einer ethnologischen Empirie zu berichten: Zum Einen ruhte ein einheimischer Wassermann nicht, bevor er uns für unseren geringen Bedarf den öffentlichen Wasserhahn gezeigt hatte. Das war wirklich nett, wurde aber leider von einem Landsmann kurze Zeit später wieder konterkariert:

Ich suchte danach noch einen Schreiner auf, da ich ein kleines Stück Sperrholz für eine Bastelarbeit brauchte. Ich musste die zwei Kilometer zur Schreinerei zwei mal hin und zurück radeln, da es anscheinend nicht möglich war, mir das Brettchen sofort zuzuschneiden. Als ich nach zwei Stunden zum zweiten Mal kam, war es noch immer nicht fertig, wurde jetzt aber gnädig innerhalb von etwa drei Minuten auf das von mir notierte Maß gebracht. Ich hatte einen Fünfzig-Euro-Schein eingesteckt, den ich während der Frage nach dem Preis unvorsichtiger Weise bereits aus meiner Tasche holte. Die Auskunft des Schreiners: 50 Euro! Auf meine ungläubige Nachfrage verbesserte er sich dann schnell auf 15 Euro. Zufällig kenne ich als notorischer Bastler die "Rohstoffpreise" relativ gut. Ein Quadratmeter Sperrholz kostet im Handel etwa 6-8 Euro. Ich brauchte weniger als 0,2 Quadratmeter. Die Materialkosten beliefen sich also auf höchstens 1,60 Euro. Für drei Minuten Arbeit sind jedoch 13,40 Euro etwas üppig - ein Stundenlohn von 268 Euro (nota bene über 500 Mark) billige ich keinem Schreiner zu, auch unter Berücksichtigung von einer Minute Maschinenlaufzeit. Zum Glück konnte der Mensch dann auf mein Wechselgeld nicht herausgeben, sodass ich zwar ohne Brettchen, aber auch ohne abgezockt zu werden, verschwinden konnte. 

Die Hilfsbereitschaft des ersten Fallbeispiels treffen wir ab und zu, die Unverschämtheit des zweiten Falls leider auch. Wenn man, ohne zu erwarten, etwas "geschenkt" zu bekommen, einfach "nur" seriös bedient und behandelt werden will, hat man es zuweilen schwer hierzulande. Wir würden oft gerne das eine oder andere kaufen, den einen oder anderen Service in Anspruch nehmen. Oft unterlassen wir es aber, durch einige unangenehme Vorerfahrungen, quer durch verschiedenste Gebiete, vorgewarnt. Geröstete Maiskolben werden bei unserem Erscheinen um das Doppelte teurer, nicht ausgezeichnete Waren haben bei unserer Nachfrage plötzlich exorbitante Preise (Salatkopf 5 Euro), eine Taxifahrt in Korfu, bei der ich unvorsichtiger Weise nicht vor Fahrtantritt auf einer Preisangabe bestanden habe, kostete für drei in wenigen Minuten zurückgelegte Kilometer 25 Euro. Beim Besuch von Tavernen mussten wir (wie bereits berichtet, zuweilen ein recht unerfreuliches Missverhältnis zwischen Preis und Leistung feststellen. Ähnliches weiß fast jeder, der in Griechenland unterwegs ist, zu berichten. Eine Feriencrew erzählte uns, dass sie vor Übernahme des Charterschiffs den Fehler machte, sich vom Taxifahrer auf dem Weg vom Flughafen zum Schiff in eine Taverna seiner Empfehlung fahren zu lassen. Dort nahmen die Mannen ohne die Preise genau studiert zu haben, ein handfestes Abendessen zu sich, wonach die Urlaubskasse der Fünf um 600 Euro (!!) leichter war. Man wird nach einigen Erfahrungen dieser Art sehr schnell etwas misstrauischer. Tavernenbesuche werden reduziert und, wenn denn, erst nach eingehender Inspektion des Etablissements, der Speisenqualität und der Preise getätigt. Bei Waren ohne Preisauszeichnung wird der Preis von uns meistens nicht mehr erfragt (Wahlspruch: Was nichts kostet, kann man nicht kaufen). Engpässe werden durch vorausschauendes Bunkern wo möglich vermieden - wenn man den Eindruck vermittelt, etwas dringend zu benötigen, wird es oft extrem teuer. Wir bekamen schon (ganz normales Leitungs-) Wasser für 10 Euro/100 Liter (also 100 Euro pro Kubikmeter) angeboten, ohne dass den Anbieter auch nur der Hauch einer Schamesröte ankam. Ein Abend am Landstrom angeschlossen zu sein, sollte ein anderes Mal 20 Euro kosten. Auch bei der Aufrüstung unseres Schiffs vor drei Jahren habe ich, damals noch etwas unerfahren, einige unangenehme Überraschungen erlebt. In der vorletzten Ausgabe der "ZEIT" las ich einen Bericht darüber, dass Griechenland sich standhaft weigert, sog. "All-inclusive"- Angebote zu machen, die gerade für Familien sehr hilfreich sind, um die Urlaubskosten überschaubar zu halten. Dafür gibt es dann überall Kioske, an denen eine Brause zum Preis von Schaumwein feilgeboten wird. Ich bin der Meinung, dass in Griechenland in dieser Hinsicht auf etwas zu kurze Sicht gedacht wird. Wer ein paar Mal übervorteilt wurde, wird zumindest sehr vorsichtig und konsumiert letztendlich weniger. Wir haben in Griechenland oft den Eindruck, dass in unseren Augen zu sehr auf einen momentanen Vorteil geachtet wird, was sich auf Dauer jedoch als sehr kurzsichtig herausstellen könnte.

Oben: Immer wieder entdecken wir in mehr oder (wie im aktuellen Fall) weniger fahrfertigem Zustand Automobile, die längst in ein Museum gehörten, hier aber bis zum Zustand der Unrettbarkeit still vor sich hin gammeln. Rechts der Hüter der (vermutlich längst verlorenen) Schätze, der mich so vorsichtig sein ließ, nicht für ein paar Detailphotos näher zu treten, auch wenn er mit dem Stummelschwanz wedelte (in der Vorfreude, mich in die Wade zu beißen?).