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Skyros / Psara, 23. Juni 2005

 

"Free like the wind...."  Wir haben trotz aller schönen Erlebnisse während unserer bisherigen Reise erst jetzt "so richtig" das Gefühl, wirklich unterwegs zu sein. Ankommen, wenn wir unseren Segeltag so verbracht haben, wie er für uns "Genuss" bedeutet, weiterfahren, wenn wir uns mit dem Wind geeinigt haben, dass es wieder eine schöne und sichere Fahrt weit über´s Meer zu den verstreuten Inseln der Ägäis wird. Bleiben, solange es uns an einem Ort gefällt. Und es gefällt uns immer besser....

 

Im Hafen Patitiri auf der Insel Alonisos warteten wir ganz geruhsam, bis die Ägäis-Winde für die längere Weiterfahrt zur Insel Skyros hinsichtlich Stärke und Richtung unseren Anforderungen entsprachen. Nach 3 Tagen sprach das Orakel: Halbe Winde (für Laien: ca. 90° seitlich) mit Stärke 3-4 Beaufort, Welle nicht signifikant. Wir stachen in See und es geschah, was in vielen Teilen der griechischen Seegebiete als Wunder betrachtet werden darf, uns jedoch auf unserer Fahrt über die Inseln begleitet, seit wir die Prüfungen des Euböa-Kanals brav erlitten und halbwegs ordentlich absolviert haben: Moderater Wind, immer aus der gleichen (passenden) Richtung vom Anfang bis zum Ende des jeweiligen Tagestörns. Dass der Wind zum Spätnachmittag um ca. 1 Bft. auf "5" zulegt und sich im Lauf des Nachmittags entsprechende Welle bis zu ca. 1 Meter aufbaut, stört nicht besonders: beides kam immer "halb", sprich: von der Seite, sodass sich die Unity gelassen über die Wellenhügel schwingen konnte, ohne allzu sehr zu "rollen". Immer noch ein lustiges Gefühl, wenn man zusammen mit ca. 8-9 Tonnen Schiff "mal kurz" einen Meter hochgehoben wird, bevor es dann mit einem leichten Kitzeln in der Magengegend nach dem obersten Punkt abrupt wieder abwärts geht. Das ist wohl eine Situation, bei der Seekrankheit entstehen kann. Weder Elisabeth noch ich, noch Pia sind jedoch dafür anfällig. Es ist immer wieder lustig, Pia zu beobachten, wie sie während der Fahrt breitbeinig ihre Runden ums Schiff dreht und sich bei jeder höheren Welle instinktsicher "tiefer legt" - scheint ihr Spaß zu machen. Pia zeigt ohnehin jedes Mal, wenn wir auslaufen, alle Anzeichen gespannter Freude - ein echter "Yachthund".
So erreichten wir nach einem herrlichen Segeltag am 21. Juni den kleinen Hafen Linaria auf der Insel Skyros (Bilder oben). Bei der Einfahrt in den Hafen schallte uns ein erfreutes "Hallo Thomas!" entgegen, während auf der einzigen Yacht, die bereits im Hafen lag, eine Person am Bug stand und heftig winkte. Da segelt man einen Tag lang über´s weite Meer zu einer unbekannten Insel - und ist "zu Hause": die Segler, die uns auf Alonisos ins "Päckchen" genommen hatten (s. Logbuch 20. 06.), waren zufällig inzwischen auch in diesem kleinen Hafen gelandet und halfen uns beim Anlegen. Wir legten uns längsseits ans Pier, das hier zwei mal im Winkel von 45° abknickt, hinter das Schiff der Küstenwache, wie bereits verschiedene Male im Hafen von Monemvasia. Der "Coast Guard", der auf dem Schiff Bereitschaftsdienst hatte, schien nichts dagegen zu haben. Hinter dem zweiten 45°-Knick vor unserer Heckterrasse lag der Fähranleger (s. Bild oben rechts). Wir dachten, dass an diesem wohl eine kleine Inselfähre anlegen würde. Um acht Uhr am Abend wurden wir eines Besseren belehrt: eine riesige Fähre schwenkte in die Bucht ein und während sie vor den Strahlen der untergehenden Sonne eine halbe Drehung zum Fährpier machte, ertönte mit mächtigen Paukenschlägen zur Begrüßung von einem Küstenfelsen herab die berühmte Melodie aus "Also sprach Zarathustra" von Richard Strauss (Titelmelodie des Filmklassikers "2001 - Odyssee im Weltraum"). Das "hatte was". Danach kam die Fähre rückwärts auf uns zu und legte gleich um die "flache" Ecke neben unserem Heck rückwärts an. Ich war kurz etwas besorgt, ob der Strom des Bremsschubs der mehrere Stockwerke hoch aufragenden Fähre unseren Halteleinen gefährlich werden könnte, oder das Boot stärker zum Schwanken brächte, beide Sorgen waren jedoch unbegründet. Danach konnten wir beobachten, was alles gebraucht wird, um eine Insel ohne allzu viel eigene Infrastruktur am Leben zu erhalten - vom in 4 Teilen vormontierten Wohncontainer bis zu Frischgemüse, von Maschinen verschiedenster Art bis zu den zahlreichen Tagespendlern von der Insel Euböa. Das halbe Dorf (inklusive Pope mit üppiger Gattin im hautengen, pastellfarbenen Stretchanzug) war anwesend, um zu begutachten, was angeliefert wurde und wer eintraf - offensichtlich ein tägliches Ritual. Während zuvor alles gespannt auf die Fähre gewartet hatte, eroberte auch hier die Port Authority unser Herz im Sturm: Wie auf Alonisos bretterte ein kleines Sportmotorboot mit viel zu hoher Geschwindigkeit durch den Hafen und brachte alles zum Wackeln. Elisabeth äußerte laut vernehmlich "....was ein Idiot...", während der Officer der Port Authority zwei Schritte neben unserem Boot stand. Die Kernaussage von Elisabeths Protest musste er wohl verstanden haben: Abrupt drehte er sich um, schlenderte zum Kreuzer der Seenotrettung und konferierte kurz mit dem Diensthabenden, worauf dieser zum mittlerweile angelegten Motorboot marschierte und den Bootsführer mit einer offensichtlich energischen Kurzansprache verwarnte. Bravo, Danke, dreifacher Tusch! Auch aus diesem Grund waren wir gar nicht böse, als, kurz bevor wir ins Bett verschwinden wollten, ein anderer Officer ans Boot trat, um uns noch schnell am Abend ins Büro der Hafenbehörde zur Überprüfung der Papiere zu bitten, da wir zu Protokoll gaben, schon früh am nächsten Morgen vor der Öffnung des Büros ablegen zu wollen. Zuvorkommender Weise nahm er mich gleich in seinem Dienst-Geländewagen mit - das Büro liegt hoch über dem Dorf am Berg. Im Büro lief dann eine lustige kleine Pantomime ab: Ein weiterer Officer - offensichtlich der Chef, saß hinter einem breiten Schreibtisch im Hintergrund. Der späten Stunde gemäß und aus der Machtvollkommenheit seiner gehobenen Stellung heraus hatte er es sich bequem gemacht und sah damit eher aus wie das Mitglied einer Rockgruppe: kahl rasierter Schädel, legere Lederweste (ohne Hemd), Schlabberhosen aus einem glänzenden, weich fallenden Stoff und offene Lederschlappen. Im Fernseher lief ein Fußballspiel, das er wohl verfolgt hatte, aber da jetzt "Besuch" eintraf, meinte er offensichtlich, auch etwas dienstlich wirken zu müssen und wanderte unschlüssig, aber gänzlich unhektisch, von einem Schreibtisch zum anderen, während er etwas wahllos irgendwelche Papiere durchblätterte und hin und her räumte. Währenddessen absolvierte der untergeordnete (in korrektes Strahlendweiß/Gold gekleidete) Officer die mir bereits wohlbekannten Amtspiruetten: Eifriges Blättern in hier und dort hervorgezogenen Ordnern, Notieren verschiedener Berechnungskriterien, Durchforsten meines Unterlagen-Ordners, abermaliges Rechnen unter Zuhilfenahme eines vielgebrauchten Taschenrechners. Der Eine mimte "Scheinbeschäftigung", der Andere mimte amtliche Korrektheit und das ging so etwa zehn Minuten lang in andächtiger Stille über die Bühne, während ich mich, das Gute-Nacht-Bier bereits genossen habend, damit wach hielt, meine Physiognomie in züchtigem Zaum zu halten, während ich die Szene, innerlich zutiefst amüsiert, beobachtete. Am Ende wurde mir der Eintrittspreis des kleinen Theaterstücks präsentiert: 4 Euro 27 Cent. Das war´s unbedingt wert. Linaria ist ein liebenswertes Örtchen.

Am nächsten Morgen liefen wir, wie am Vorabend der Port Authority angekündigt, bereits früh um sechs Uhr aus: Der Wetterdienst hatte optimale Bedingungen für die Überquerung der Zentralägäis vorausgesagt. Für diese Fahrt war das besonders wichtig, da es ein weiter "Schlag" quer über eine Seestraße werden würde, die während der Sommermonate äußerst berüchtigt ist für den Meltemi, einen gefährlichen Starkwind mit entsprechender Welle, die eine Höhe von bis zu 5 (!) Metern und mehr erreichen kann. Wieder einmal waren wir sehr froh um unsere Internetverbindung an Bord, mit der wir jederzeit die detaillierten Wind- und Wellenkarten von "Poseidon" abrufen können: Nördlich unserer Route vor der makedonischen Küste gab es Gewitter und Sturm, südlich davon Wellen mit einer Höhe von 2 Metern. Nur auf unserer Strecke gab es einen ca. 150 Seemeilen breiten Korridor mit idealen Bedingungen. Mit den pauschalen, das heißt viel zu groben Aussagen des Deutschen Wetterdienstes über die "Nördliche Ägäis" ist in diesem komplexen Gebiet mit den vielen Bergen, Inseln, Buchten und unregelmäßigen Landmassen so gut wie gar nichts anzufangen - die "Nördliche Ägäis" ist groß und bietet regional verteilt meistens gleichzeitig alles - von Flaute bis Sturm und allen Facetten dazwischen. Man muss eben nur wissen, wo es grade was gibt.... Eine Aussage der Qualität "in der nördlichen Ägäis gibt es Sturm" ist so präzise, wie wenn im Juni in Deutschland Schneefall angesagt wird - falls auf der Zugspitze ein paar Flocken zu erwarten sind .... Die Vorhersagen des DWD für die Ägäis sind in unseren Augen jedenfalls nur für den Papierkorb "gut".

Als wir die Insel umrundet und unseren Kurs von ca. 100° (Ost-Süd-Ost) eingeschlagen hatten, genehmigte ich mir noch "eine Mütze Schlaf". Währenddessen kam der vorausgesagte "halbe" Wind auf und Elisabeth setzte Segel, was mich wieder aufweckte. Als die Segel standen, legte sich Elisabeth ein Stündchen auf´s Ohr. Während ich die Seefläche beobachtete, meinte ich plötzlich neben dem Rauschen der Bugwelle noch ein anderes Geräusch zu hören, ähnlich dem Rauschen, wie es entsteht, wenn höhere Wellen von achtern unter dem Boot durchgehen. Die Welle war aber weder hoch, noch "überholte" sie uns von achtern. Als ich nachsah, flitzte ein Schatten am Boot entlang und plötzlich glitt ein ca. 2 Meter großer Körper elegant für kurze Zeit aus dem Wasser:

Eine "Schule" von acht Delfinen spielte mit unserem Schiff, die Kerlchen ließen sich reihum von unserer Bugwelle die Rückenflosse kitzeln, tauchten wieder weg, um den anderen Platz zu machen und kamen nach kurzer Zeit wieder, um das Spielchen zu wiederholen. Ich lehnte über dem Bugkorb und beobachtete das fröhliche Treiben knapp zwei Meter unter mir, während die Delphine sich immer wieder halb auf den Rücken drehten, um wiederum mich zu beobachten. Nach 10 Minuten holte ich doch noch meine Kamera und photographierte das Wasserballett, so gut es die Wasserspiegelung, die Sonnenreflexe und die Muster, die das durch die Wellen gebrochene Licht auf den Körpern der Delphine zuließen. So wie sich das Szenario zeigte, kann man gut nachvollziehen, dass die Seefahrer früherer Zeiten der Meinung waren, von mystischen Seejungfrauen umspielt zu werden:
Nach einer Weile schaute ich durch die Decksluke nach, ob Elisabeth noch schlief und da sie grade "ein Auge riskierte", informierte ich sie über unsere Begleiter, worauf sie umgehend mit am Bug stand, um das Schauspiel mitzuverfolgen. Nachdem die Delphine insgesamt etwa eine Viertelstunde ihre Künste vorgeführt hatten, war es offensichtlich an der Zeit, weiter zu ziehen und die Gruppe drehte "geschlossen" mit eleganten Schwüngen in nördliche Richtung ab.

Wir hatten inzwischen dank des stetigen Windes ungefähr die Hälfte der Strecke über die Mitte der nördlichen Ägäis hinter uns. Skyros lag, inzwischen nicht mehr sichtbar, über 20 Seemeilen hinter uns, die Insel Psara, unser Tagesziel war voraus noch nicht auszumachen. Rund um uns erstreckte sich nur ein relativ klar gezeichneter, leerer Wasserhorizont. Lange mussten wir uns aber nicht einsam fühlen: Nach einer Stunde tauchten die Schemen der ersten Frachtschiffe auf dem Weg vom und zum Bosporus auf, nach einer weiteren Stunde querten wir den nicht in der Karte eingezeichneten und wohl auch nicht ganz klar definierten Schifffahrtsweg, wobei einige Großfrachter, die anscheinend gradewegs auf uns zu hielten, doch etwas Herzklopfen hervorriefen, bis sie uns an Heck oder Bug im Abstand von ca. einer Seemeile passiert hatten.

Dann tauchte schemenhaft am Horizont die vorgelagerte Insel Antipsara auf, später auch die in nordöstlicher Richtung dahinter liegende Hauptinsel Psara, womit das Ende unserer Ägäisquerung in Sicht war. Der Wind steigerte sich wie jeden Nachmittag und mit ihm baute sich auch ganz allmählich wieder eine Welle von ca. einem Meter Höhe auf. Aber bevor sie allzu hoch wurde, waren wir im Landschutz von Antipsara. Das Hauptsegel hatten wir in Erwartung von Fallwinden bereits geborgen, was sich als kluger Entschluss erwies: es gab nicht nur Fallwinde von den Bergen, sondern auch eine Winddüse zwischen Psara und Antipsara, die unser Boot auch ohne Segel in eine Schräglage von 10° drückte, auch nachdem die schon zuvor gereffte Genua vollends ganz geborgen war. Die vorausfahrende Inselfähre wies uns den Weg in die Hafenbucht des einzigen Ortes der Insel.

Als wir am Pier ankamen, eilte ein freundlicher Einwohner heran, um uns zu helfen, unser Boot bei kräftigem ablandigem Wind längsseits ans Pier zu legen. Es war genau 19 Uhr - unsere Fahrt war angenehm und mit einem Schnitt von fast 5 Knoten für unsere Verhältnisse auch ziemlich flott verlaufen. Ab jetzt sollen die Schläge aber wieder kürzer werden. Um von einer Seite der Ägäis zur anderen zu gelangen, war dieser längere Schlag (über 60 Seemeilen) aber unvermeidbar gewesen. Allerdings war diese Distanz schon leicht über der Grenze dessen, was wir normalerweise bei der Planung als Limit für einen Tagestörn ansetzen, um noch eine zeitliche Sicherheitsreserve an Tageslicht zu haben. Bei längeren Distanzen starten wir am Nachmittag oder frühen Abend um die Nacht durch in den nächsten Tag hinein unterwegs zu sein. Nur die Vorhersage optimaler Windverhältnisse hatte uns das Risiko des weiten Schlags eingehen lassen und zu unserem Glück war die Kalkulation erfreulich gut aufgegangen. Nach dem Abendessen machten wir im Dämmerlicht noch einen kleinen ersten Rundgang durch den Ort, um danach relativ bald in die Kojen zu kriechen.

Am nächsten Morgen erkundeten wir die Umgebung genauer. Das vom Ägäiswind fast ständig umtoste Eiland hat einen ganz eigenen Reiz und eine bewegte Geschichte: Als erste Insel eröffnete Psara die Separationsbestrebungen von der Türkei und wurde 1824 von den Türken mit einer Flotte von 140 Schiffen und 14000 Soldaten angegriffen. Wiewohl Psara damals die drittgrößte Seeflotte Griechenlands hatte, endete die Schlacht mit einer vernichtenden Niederlage. Nur der berühmte Kapitän Kanaris konnte mit einer kleinen Gruppe nach Euböa fliehen, die meisten Menschen wurden niedergemetzelt, der Rest jagte sich in der Verzweiflung mit dem Pulverlager selbst in die Luft. Danach war Psara lange Zeit unbewohnt und kam erst 1912 doch noch zu Griechenland. Heute leben ca. 450 Menschen auf der Insel.

Oben der Hauptplatz des Ortes vor unserem Boot während der Siestazeit etwa von 13 bis 17 Uhr - ein Stillleben im wahrsten Sinne. Abends erwacht der Platz dann zum Leben: Gruppen von jungen Frauen und Mädchen flanieren den Kai entlang, wobei es augenscheinlich permanent viele hoch wichtige Dinge zu beplaudern gibt. In den Tavernas palavern die Männer und am zentralen Platz in der Mitte (sinniger Weise vor dem Gebäude der kleinen Bank) tobt sich das wichtigste "Kapital" aus, das es auf der Insel gibt: eine Horde von Kindern spielt, wie wir in den frühen Sechzigern in einem Schwarzwalddorf, "Abklatschen" - hochdramatisch und mit der entsprechenden Geräuschkulisse, was aber wenig stört und gegen 23 Uhr auch wieder vorbei ist. Dann kommen die Teenager in der Dorfbar (im Bild oben links) noch mit ein paar etwas lauter gespielten Schlagern zu ihrem Recht. Zum Glück nicht so laut, dass es bis in unsere Schlafkajüte schallt. Hoffentlich dringt nie das barbarische Techno-Unwesen bis hierher durch - der Hafen wäre dann für Yachten schlicht nicht mehr nutzbar, eine weitere bescheidene Einkommensquelle des Ortes würde versiegen. Um ein Uhr kehrt zur Zeit aber noch tiefe Stille ein. Dass den Kindern und Jugendlichen im möglichen Rahmen etwas geboten wird, ist allerdings nachgerade überlebensnotwendig für die Insel:
Es müssen Kinder hier geboren werden, aufwachsen und sich hier wohl fühlen. Andernfalls wandern die Jugendlichen ab zu Ausbildung und Studium und kehren nicht mehr zurück. Es werden vermutlich schon jetzt viele Mädchen nach Chios und anderswo "weggeheiratet" und für junge Männer ist es, nicht anders wie in einem abgelegenen Schwarzwalddorf, sicher nicht einfach, eine junge Frau "bei aller Liebe" dazu zu bewegen, vom Festland oder einer größeren Insel mit ihnen ans "Ende der Welt" zu ziehen. Die einzige Verbindung zur Außenwelt besteht durch die Fähre, die frühmorgens nach Chios ablegt und abends um ca. 18 Uhr wieder anlegt. Einen weiteren Ort gibt es auf dem nur 8 Kilometer langen Inselchen nicht. Es gibt weder Landwirtschaft noch Weinbau auf der schroffen, kahlen Insel. Soweit wir sehen konnten, auch kein produzierendes Gewerbe. Im Ort eine kleine und zwei winzige Tavernas, zwei Kramlädchen, ein paar Fremdenzimmer für die in homöopathischen Dosen auftauchenden Touristen. Auch dies keine bedeutende Arbeitsplatzbeschaffung. Wer also Arbeit braucht, muss zur Insel Chios pendeln. Wenn das zu vielen Menschen als zu mühselig und das Freizeitangebot mit "Flanieren am Hafenkai" als zu dürftig erscheint, bleiben nur die Alten und der Ort stirbt aus. Das große Kloster über dem Ort scheint dieses Schicksal bereits ereilt zu haben: die große Kirche ist ausgeräumt, die Mönchszellen stehen leer und teilweise offen, obwohl augenscheinlich noch vor wenigen Jahren eine Renovierung begonnen, aber dann abgebrochen wurde. Der Verfall des imposanten Gebäudekomplexes (Bild oben rechts) scheint absehbar.
Uns aber gefällt es auf dieser rauen, einsamen "Insel unter den Winden". Wenn man über viele Stufen zu einer kleinen Kapelle pilgert, die hoch über dem Ort auf einer weit ins Meer ragenden Felszunge gelegenen ist, empfängt einen eine atemberaubende Rundumsicht und fast völlige, nur vom Rauschen des ununterbrochen wehenden Windes konterkarierte Stille. Das dörfliche Leben ist so beschaulich, wie wir es von unseren Besuchen vor über 25 Jahren kennen. Da es wieder ein paar Tage Starkwind gibt, haben wir beschlossen, bis zu dessen Abklingen ca. eine Woche lang hier zu bleiben. Vor zwei Stunden haben sich Johannes und Dorothée mit ihrem originellen 7-Meter-Boot mit "Dschunkenrigg" an unserer Seite ins Päckchen gelegt. Die Beiden sind langjährig erfahrene Segler und es bestand gleich eine freundliche Sympathie - bei einem ersten Gespräch haben Johannes und ich, wiewohl er einige Jahre älter ist, schon einige Gemeinsamkeiten entdeckt. Die Beiden wollen auch einige Tage bleiben - es wird sicher nett werden.

Heute in der Rubrik "Das Letzte":

1. "Salatnavigation": Während der Tage, vor unserem Aufbruch zur anspruchsvollen Überfahrt von Alonisos nach Skyros und weiter nach Psara, begann Elisabeth zu meiner Verwunderung, alle Entfernungen und Kurse fein säuberlich auf einem Blatt zu notieren und ging schon früh morgens per Internet "ins Wetter", um dann die aktuellen Karten in den entsprechenden Ordnern abzuspeichern, wie ich es normaler Weise mache, sodass ich sie nun nur noch später aufrufen musste. Auf meine verdutzte Nachfrage bezüglich ihrer gesteigerten navigatorischen Aktivitäten tat meine liebe Gattin dann kund, dass ihrem Tun nicht so sehr plötzlich gesteigerter fachlicher Eifer oder gar Übergriffe auf meine Kompetenzen als Skipper zugrunde lagen, sondern sehr haushaltlich-pragmatische Erwägungen: sie wollte vor ihrem allmorgendlichen Einkaufsgang mit Pia abschätzen können, ob wir wohl am nächsten Tag auslaufen würden, um gegebenenfalls vor unserer Abreise noch genügend Frischgemüse für mehrere Tage bunkern zu können, da dies vielleicht auf kleineren Inseln schwierig sein könnte....

2. Da wir immer wieder gefragt werden, ob ein Bad im offenen Meer nicht gefährlich sei "wegen der Haie": Oben die Abbildung des einzigen Hais, dessen wir auf unseren bisherigen Reisen jemals ansichtig wurden: Ein ca. 40 cm kleiner "Katzenhai", der, für Menschen gänzlich ungefährlich, wohl das Pech hatte, einem Fischer während der vergangenen Nacht als "Beifang" ins Netz zu gehen und, da ungenießbar, am Morgen weggeworfen hier am Kai lag.