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Bild oben: Nicht dass nach dem vorigen Logbucheintrag der Eindruck entsteht, das "griechische Ruhrgebiet" biete nur Schornsteine: Die Nähe zu Athen generiert dazwischen ganze Landstriche mit gepflegtem üppigem Grün und eingesprenkelten Landhäusern.

 

(C)Halkis (Insel Euböa), 09. Juni 2005

 

Griechische Pastorale (prototypisch): Beschirmter Strand und Kirche

 

Ziemlich flott sind wir von Aliveri nach Chalkis geeilt, auch wenn wir damit gar nicht so glücklich waren: Auch unter Seglern entsteht manchmal ein gruppendynamischer Prozess, wie er eigentlich nur Rindviechern, Schafen und Lemmingen zugeschrieben wird. Da meinte einer im Sprechfunk aufgeschnappt zu haben, dass die Schwenkbrücke in Chalkis nicht nur am späten Abend, sondern auch um drei Uhr öffnen würde. Plötzlich befanden wir uns in einem Hochgeschwindigkeits-Korso in Richtung der Brücke, weil wir die etwas knifflige Ansteuerung durch die Meerenge vor der Brücke lieber im Konvoi absolvieren wollten (obwohl wir doch bisher unsere Ansteuerungen problemlos solo gemeistert hatten). Außerdem fanden wir es eigentlich ganz nett, noch eine Weile in Gesellschaft unterwegs zu sein. Statt unseren ca. 4,5 Knoten wie üblich, "fetzten" wir also mit gut 6 Knoten über die 24 Seemeilen, auch wenn wir die Strecke ursprünglich viel gelassener geplant hatten. Natürlich geht das mit unserem Schiff - der Rumpf ist für Motorfahrt optimiert (dafür sind wir unter Segeln eben etwas langsamer) und der großvolumige Motor ist für knapp 10 Knoten "gut" - das bringt kein "reiner" Segler. Aber damit verhält es sich eben wie mit einer großvolumigen Stereoanlage: Der Luxus liegt darin, dass man Musik qualitativ gut und nicht laut hören kann. Viereinhalb Knoten sind mit unserem Schiff so mühelos zu erreichen, dass es ein Genuss ist - und das soll es doch bitteschön auch sein, oder wir haben etwas falsch verstanden. Außerdem haben wir so in Gefahrensituationen ein gewaltiges Kraft- und GeschwindigkeitsPotential, auf das wir zurückgreifen können. Jetzt "zischten" wir eben vorbei an zwei sicheren Häfen, die sich gut für Zwischenstopps geeignet hätten. Ich wurde immer grantiger, vor allem da ich feststellte, dass ich eigentlich nur auf mich grantig sein konnte, weil ich den Blödsinn mitmachte. Alleine die Geschwindigkeit war Quatsch: Unsere Maschine braucht normalerweise für eine Geschwindigkeit von 4,5 Knoten knapp 1,5 Liter Diesel pro Betriebsstunde. Für eine Geschwindigkeit von knapp über 6 Knoten ist das Dreifache, nämlich 4,5 Liter fällig, weil sich der Wasserwiderstand überproportional vergrößert. Und mit gelassen - beschaulichem Schippern, wie wir es sonst so schätzen, war natürlich auch nichts mehr. Alleine der Schallpegel der Bugwelle und des Motors, die erhöhten Vibrationen. Dazu bekam der Autopilot einiges an Mehrarbeit, weil das Schiff viel öfter und schneller ausbrach aus der Kurslinie. Und ob es nun so viel sicherer war, in Gesellschaft mit "High-Speed" durch die gefährliche Ansteuerung zu fahren, anstatt alleine in gemäßigtem Tempo, soll an dieser Stelle dahingestellt bleiben.

Seestraße, Hängebrücke, Zementwerk - das Panorama kurz vor Chalkis (das Foto haben wir später bei einem Spaziergang aus der "umgekehrten" Perspektive gemacht - wir kamen von Süden mit dem Schiff aus der Richtung des Zementwerks - eine nützliche Ansteuerungshilfe.

 

Als über Funk verabredet wurde, dass man ja gleich noch zum nächsten Hafen im Norden durchbrausen könne, auch wenn man den dann erst bei Nacht erreichen würde, stiegen wir aus. Wir wollen zwar vor Beginn der Meltemi-Hauptsaison über die Sporaden die Ägäis gequert haben, aber dazu müssen wir uns nicht wie viele "Charterer" hektisch über das Meer prügeln. Wir beobachteten bereits auf der Ostssee etwas befremdet eilig durch die Gegend motorende Segler. Immer der nächste Hafen war der bessere, als ob es dort Extra-Freibier gäbe. Wir sind auf dem Schiff, um auf dem Schiff zu sein, ergo - wir sind immer am richtigen Platz. Wenn wir weiterziehen, dann um unterwegs zu sein, nicht weil wir dringend irgendwo hin müssten. Den Allgemeinplatz, dass der Weg das Ziel sei, praktizieren wir mit Genuss, seit wir "auf Tour" sind. Wir haben uns ein paar Jahre Zeit genommen, um auf dem Boot zu leben. Angesichts dessen Verhaltensmuster zu praktizieren wie in einem zweiwöchigen Urlaub, in den möglichst viel reingepackt werden soll, ist in unseren Augen genau das, als was uns diese Hektikfahrt auch erschien: Quatsch. Also taten wir kund, dass wir erst mal in einem kleinen Hafen kurz vor der Brücke anlegen wollten, uns dann in Ruhe umsehen und erst wenn das Wetter passt, weiterzuziehen gedächten. Damit brachten wir die Seglerstampete kurz zum Zögern, aber dann preschten die andern eben doch am selben Abend durch die Brücke (der außergewöhnliche Öffnungstermin am Nachmittag hatte sich, wie einiges andere (Öffnungszeiten und -konditionen, Wettermeldungen etc.) als "Fake" erwiesen - mangelnde Englischkenntnisse in Verbindung mit Störungen im Funkempfang generieren teilweise Fehlmeldungen in Serie). Wir machten abends noch einen Spaziergang zur Brücke und beobachteten fasziniert, wie die äußerst starke Strömung binnen einer halben Stunde kippte und zum Stillstand kam.

Die Brücke von Chalkis (rechts im Bild), aus südlicher Richtung, wie wir sie morgen Abend auch ansteuern werden.

Deutlich sichtbar die beiden Brückenhälften, die einmal am Tag für die Passage höherer Schiffe nach rechts und links in Schächte unter die Strasse zurück gefahren werden. Das Wasser erscheint auf dem Photo glatt, weil bei der langen Belichtungszeit die reißenden Wirbel verwischt wurden.

Die Brücke von Norden. Man erkennt die extrem kleine Öffnung, durch die ein davor und danach mehrere Meilen breites Gewässer passieren muss, was die extreme Strömung generiert.

 

Es passierte ein Frachter, danach durften ihm die Segler folgen. Erst von Nord nach Süd, dann umgekehrt. Aha - jetzt wussten wir bereits, wie das Procedere verlief, was uns bei unserer Passage wesentlich sicherer machen wird. Da es jedoch morgen bedeckt sein wird und es eventuell auch etwas Regen geben kann, machen wir noch einen Tag Pause und passieren zwei Tage später als unsere "Powersegler", um danach möglichst gleich nach der Brücke an einem kurzen Pier wieder fest zu machen. Am nächsten Tag geht´s dann weiter - gelassen.

Wir unternehmen einstweilen Spaziergänge durch die Stadt und entlang der Seestraße und machen unsere kleinen Entdeckungen. Zum Beispiel einen recht imposanten Kirchenneubau oberhalb des Hafens, der mit den üblichen Freskenmalereien in einem äußerst farbenfrohen "neubyzantinischen" Stil über und über ausgemalt ist. Anscheinend drängeln sich hier sämtliche Apostel und Heilige in Lebensgröße, für die noch Platz an den Wänden zu finden war. Einige Spots:

Dass sich die meisten Gesichter recht ähnlich sehen, soll wohl dem schönen Gedanken Ausdruck geben, dass sie ja "im Geiste" alle Brüder und Schwestern sind...

 

Auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens befindet sich eine traditionelle Schiffswerft, in der Art, wie wir im letzten Jahr auf der Insel Spetses bereits eine ganze Ansammlung besichtigt haben. Die Produktionsstätten sehen von weitem stets aus wie ein Schrottplatz, bei näherer Betrachtung kann man dann jedoch beeindruckende Zeugnisse handwerklich perfekt gearbeiteter Bootsbaukunst bewundern. Als Enkel eines Schreinermeisters bin ich immer wieder unmittelbar beeindruckt:
Was mich jedoch etwas ratlos zurück lässt, ist die Frage, wann oder in welchem Zeitraum die Boote entstehen. Immer wenn wir vorbei kommen oder über den Hafen von unserem Platz aus hinüber schauen, ist entweder niemand da, oder einige Männer stehen geruhsam im Schatten und sind in wortreiche Gespräche vertieft. An den Booten haben wir noch niemanden bei der Arbeit gesehen. Alleine ihre Existenz jedoch belegt eine Tätigkeit - oder die Griechen sind das einzige Volk der Erde, das mit Reden Spanten zusammenfügen kann. Vielleicht eine neue Form der Telekinese, die der Wissenschaft bisher verborgen blieb?

.... und in der Rubrik "das Letzte" heute: Die Praxis der Abfallbeseitigung in Griechenland ist mitunter von einer Art, die man am wohlwollendsten mit "sorglos" umschreiben kann. Also liegt das Gerümpel eben in der Landschaft, wo immer eine solche zur Verfügung steht. Recht pittoresk, wenn dann plötzlich mitten in der Pastorale ein roter Plüschsessel auftaucht. Wir nutzten ihn, in Anlehnung an ein Kunstprojekt des vorigen Jahrhunderts (damals mit rotem Sofa), zum ironischen Doppelportrait (ganz zu schweigen vom Hunde...):