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Insel Paros, 02. Oktober 2004

Paros überschüttet den Besucher mit einer solchen Fülle kykladischer Prototype und Geschichte, dass ich als Illustration dieser Logbuchseite dem Leser einfach einen sporadisch herausgegriffenen Teil dieser Fülle vorführe. Selbstverständlich liegt es in der Begrenztheit der Darstellung, dass nur ein ungefährer Eindruck vermittelt werden kann.

Wir haben´s mal wieder im zweiten Anlauf geschafft: Vorgestern wollten wir von Tinos aus weitersegeln zur Museumsinsel Delos bei Mykonos. Netter kurzer Schlag von ca. 12 Seemeilen, um wieder mal in einer größeren Ansammlung alter Steine herumzustromern. Also Aufbruch um sieben Uhr. Schon beim Auslaufen wurden wir von einem frischen "4er" aus dem Hafen geblasen. Wir spekulierten darauf, dass sich das wohl am späteren Vormittag geben würde. Gab sich aber nicht: Als wir vor dem Eingang der Mehrenge zwischen Delos und der Nachbarinsel Rinia standen, hatte das Wetter weiter aufgefrischt: ein Meter Welle und sechs Beauford Starkwind. Im "Elias" war nun nachzulesen, dass im Delos-Kanal bei Nordwind, wie wir ihn hatten, eine starke Düsenwirkung mit entsprechender Strömung und Welle entstehe. Dazu eine anspruchsvolle Navigation mit vielen Untiefen und Riffs. Außerdem hätten wir nach Besuch der Museumsinsel frei in einer Bucht auf der unbewohnten Insel Rinia ankern müssen - bei Starkwind auch nicht eben ein Vergnügen. Rein in die Düse mit dann vielleicht acht Beaufort Starkwind, eineinhalb Meter Welle und dazu noch ein paar Knoten Strom? Wir schauten sehnsüchtig zurück auf das nette Tinos und ließen Steine Steine sein. Zwei Stunden später lagen wir wieder sicher im Hafen und beschlossen, mehr auf die alten Legenden zu achten: Auf Tinos gibt es, gegen Mykonos gelegen, den hohen Berg Tsiknias, auf dem Aeolos , der Gott der Winde (auch bei uns bekannt, z.B. durch die "Aeolsharfe"), in einer tiefen Höhle hausen sollte. Solche Legenden entstehen ja nicht von ungefähr - die Insel Tinos ist allgemein für heftige Winde bekannt, was sich durch ihre Lage zum Ägäisgebiet leicht erklären lässt.
Am nächsten Morgen ein erneuter Anlauf, allerdings nicht mehr nach Delos. Wir wussten, dass die nächsten Starkwindtage anstanden und bereits am übernächsten Tag mit Spitzen von 5-6 Beaufort einsetzen sollten. Also direkt zur Insel Paros, wo der nächste sichere Hafen winkte, in dem wir den Starkwind gelassen abfeiern können. Eine idyllische Fahrt mit dezentem Rückenwind, bei dem wir sogar wagten, unsere Riesengenua auszubaumen. Das Highlight der Fahrt war eine "Schule" von Delphinen, die eine Viertelstunde lang knapp unter der Wasserfläche rings um unser Schiff herum schwammen. Ein Spiel schien ihnen besonderen Spaß zu machen: Vor unseren Bug schwimmen und sich zurückfallen lassen, bis der Bug fast die Rückenflosse kitzelt um dann in angepasster Geschwindigkeit mit dem Schiff "hasch mich" zu spielen. Es war so schön, die eleganten etwa zwei Meter großen Tiere zu beobachten, dass ich keine Lust hatte, ins Ruderhaus zu stürzen, um den Fotoapparat zu holen; daher gibt´s an dieser Stelle auch keine Photos. Nach einer Weile wurde den übermütigen Delphinen das Spielchen wohl langweilig und mit einer schnellen Wende verschwanden sie in die Richtung aus der wir gekommen waren. Inzwischen hatten wir statt Rückenwind eine angenehme Strömung von hinten, die unsere "Marschgeschwindigkeit" deutlich erhöhte. Prompt trafen wir bereits um ein Uhr nachmittags im Hafen von Paros ein, was sich als sehr sinnvoll erwies: wir ergatterten den letzten geschützten Platz im kleinen Hafen, drei Viertel des Hafens sind von Fischerbooten belegt. Alle Yachten, die später kamen, mussten außen an der Mole anlegen und werden von den einlaufenden Fähren herumgeschaukelt.
Paros selbst ist wenn möglich noch pittoresker als Tinos. Eine große Altstadt, die offensichtlich in Jahrhunderten zu einem sehenswerten Gewinkel von Gassen und Plätzen gewachsen ist. Wir haben uns in dem "malerischen" Gewirr in Weiß und Dunkelblau bereits einige Male so verlaufen, dass wir immer wieder erstaunt durch unbekannte Gassen und Durchgänge an uns noch völlig unbekannten Plätzen landeten. Hübsch, das alles bei abendlichen Spaziergängen zu erkunden. Also haben wir absolut nichts gegen ein paar Tage Aufenthalt einzuwenden - der Starkwind wird uns wohl bis weit in die kommende Woche hinein erhalten bleiben.
Sogar ausländische Zeitungen gibt´s und so kauften wir uns die Zeit und den Stern. Letzteren, weil ein Artikel über eine neue Wertschätzung des Alters auf dem Titelblatt angekündigt war. Auch wenn ich vom gefühlten Lebensalter her bis vor kurzem annahm, mal eben der Adoleszenz entwachsen zu sein, wurde ich unlängst eines Schlechteren belehrt: Vor vier Jahren überlegte ich, mich zum Mediendesigner für Schulungs- und Unterrichtsmaterial weiter zu bilden. Die Firma Siemens hatte einen anspruchsvollen Studiengang ausgeschrieben und ich erkundigte mich nach den Modalitäten. Der freundliche Schulungsleiter meinte auch gleich nach einem kurzen Blick in meine Homepage, dass die Aufnahmekriterien bei weitem übererfüllt seien. Was noch? Der Kurs werde vom Arbeitsamt gefördert, aber für die Förderung sei ich mit meinen 44 Jahren zu alt. Na gut, dann bezahle ich die 56.000,00 DM eben selbst. Hab ich dann eine Chance, irgendwo arbeiten zu können? "Eher unwahrscheinlich bei Ihrem Alter." Erfahrung und Leistungsbereitschaft eines zwanzig Jahre international erfolgreich im Kreativbereich tätigen Freiberuflers? Zählt nicht. Ich hatte ab vierzig teilweise mit meinem Alter kokettiert und für mich selbstironisch die Bezeichnung "alter Sack" reklamiert, ohne die Zahl "vierzig plus" sonderlich ernst zu nehmen. Jetzt fühlte ich mich plötzlich wirklich alt. Mit 44 Jahren. Meine Lebenserwartung könnte knapp achtzig Jahre oder sogar mehr betragen und mitten in dieser Zeitspanne wird mir mitgeteilt, dass ich nicht nur "alt" bin - ich bin "zu alt". Soll ich mich jetzt bitteschön auf meinen Lebensabend vorbereiten, oder mir gleich "die Kugel" geben?
Und damit bin ich beim zweiten Artikel, der mich beschäftigt, diesmal in der "Zeit": Selbst totkranken Menschen wird ein Ableben auf eigenen Wunsch verweigert, noch nicht einmal das Aussetzen der ärztlichen Quacksalberei am eigenen Körper kann selbst bestimmt werden. Ich habe 11 Jahre in verschiedenen Krankenhäusern ausgestattet mit der Qualifikation eines deutschen Staatsexamens und eines internationalen Fachdiploms für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin auf fast allen medizinischen Disziplinen gearbeitet und empfand (nicht nur) den im Artikel angesprochenen Umstand schon damals als einen Skandal, für den die Verantwortlichen geteert, gefedert und ans Kreuz geschlagen gehören, damit sie wenigstens einen kleinen Teil der Qualen, die sie anderen Menschen zufügen, selbst erleben können. Starker Tobak? Ich habe zu lange mit angesehen, was Denkfaulheit, Feigheit und Verlogenheit in deutschen Krankenhäusern anrichten, um nicht ganz sicher zu sein, dass ich alles daransetzen werde, bei einer chronischen Krankheit wie z.B. Krebs die Einlieferung in eine Intensivstation zu verhindern. Ein Klüngel aus "Sozialethikern", Kirchen und Ärzten schöpft noch immer Rechtfertigungen für einen täglich in hilflosem Leiden stattfindenden Skandal aus einem Gepfriemel zwischen Nazi-Euthanasie und passend zurechtgebogenen religiösen Lehren, deren Interpretation in mir oft den Verdacht erweckt, dass ihre Urheber "Aufklärung" noch immer als einen beklagenswerten Betriebsunfall abendländischer Geistesgeschichte bewerten. Ich kenne die Argumente der eitlen "Nachdenklichen", aber man kann keine Ausnahme zur Regel machen, um genügend Erklärungen für einen himmelschreienden Missstand zu konstruieren, der in Defiziten von Gesellschaft und Staat begründet ist. Mit pseudo-ethischem Gesäusel wird nur die eigene Hilflosigkeit und Feigheit bemäntelt. Leidtragende sind zumeist Menschen, die sich nicht mehr wehren können. Und das Gros der Gesellschaft blickt weg, da Leiden und Tod ein absolutes Tabuthema in einer oberflächlichen Spaßgesellschaft darstellt. "Immer nur lachen, immer vergnügt..." - mit der idiotischen Annahme, dass es ja immer nur "die anderen" trifft. Wenn man dann selbst in den Fängen scheinheilig - gnadenloser Moralapostel steckt, ist es meist zu spät. Deshalb äußere ich mich jetzt. Im Zustand sozialer, geistiger und körperlicher Gesundheit (nach Definition WHO) und in aller mir als geboten erscheinender Deutlichkeit.
Der Mensch kann weder entscheiden, geboren zu werden, noch in welche persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Verhältnisse er hineingeboren wird. Aber spätestens wenn er reif genug ist, sein Leben nach seinem eigenen Willen zu gestalten, sollte ihm auch die Entscheidung zugestanden werden, ob er überhaupt leben will - oder eben nicht. Die gesellschaftliche Praxis, diese freie Entscheidung zu untersagen, kann man nur mit einem hohen Grad an Selbstbetrug und Verlogenheit als "humanistisch" akzeptieren. Die Botschaft lautet doch vielmehr: Wir sind weder willens noch fähig, einen zeitgemäßen Moralcodex zu entwickeln, also hast du "da" zu bleiben. Ob es dir schlecht geht, ob du krank bist, Schmerzen hast, gequält wirst, ist für uns kein Entscheidungskriterium - solange es uns gut geht. Wir können dir zwar nicht garantieren, dass dein Leben nicht die Hölle auf Erden wird, aber wir maßen uns an, für dich zu entscheiden, dass du es auszuhalten hast bis zur bittersten Neige. Wir bewahren dein Leben. Militant. Unerbittlich. Mit dem Tick eines Psychopathen, der nichts wegwerfen kann: für irgend etwas könntest du ja noch zu gebrauchen sein. Und das in einer Zeit, in der für die Gewinnmaximierung des "Shareholder Value" immer weniger Menschen gebraucht werden, was dem Rest dann auch überdeutlich mitgeteilt wird. Zitat eines Managers der Deutschen Bank: "Menschlicher Abfall". Zynischer könnte das ursprünglich aus einer humanistischen Tradition heraus entstandene Gebot zur Hilfe nicht mehr miss-interpretiert werden. In unserem Land ist Mord ein Kapitalverbrechen. Das Verbrechen, Menschen nicht zu erlauben, selbstbestimmt und auf humane Weise zu sterben, wenn dies ihre persönliche Entscheidung ist, sollte ebenfalls in dieser Weise bewertet werden. Ich habe schon zu viel Tod und Sterben sowohl ganz persönlich in meiner Kindheit wie auch später in meinem direkten persönlichen Umfeld und in meinem früheren Beruf erlebt, um noch irgendwelche Angst vor dem Tod zu haben. Von dem Philosophen Heidegger ist der Satz überliefert: "Es gibt keinen Tod. Es gibt nur die Angst vor dem Tod - und die kann man heilen". In dieser Hinsicht wurde ich schon relativ früh in meinem Leben "geheilt" zu einer gelassenen Furchtlosigkeit. Aber davor, sozial, psychisch und/oder körperlich elend zu verrecken - davor habe ich wirklich Angst, und ich weiß aus vielen Erfahrungen und Schicksalen, die ich in meinem früheren Beruf mitbekommen habe, von was ich hier rede. Und ich habe Angst vor denen, die mir das ungerührt zufügen würden, wenn ich in die Notlage käme, von ihren Entscheidungen abhängig zu werden und die sich dabei auch noch "Gott weiß wie" moralisch vorkommen. Es wird endlich Zeit, dass eine ernsthafte und effektive Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht nur beginnt, sondern in wünschenswerter Schnelle zu Resultaten führt. Alles andere ist dekadent und auf beschämende Weise feige.

Ein Nachsatz, um der Unterstellung der Pauschalisierung und dem Vorwurf mangelnder Differenziertheit vorzubeugen: wenn ein verwirrter Teenager einen Selbstmordversuch macht, bin ich selbstverständlich der Meinung, dass dies wo irgend möglich verhindert werden sollte. Ich habe das bei zwei befreundeten Mädels in meiner Jugend mitbekommen. Ein Versuch war "erfolgreich", der andere konnte verhindert werden. Ich habe über beide Fälle viel nachgedacht. Wo eine Grenze bei Alter, Reife und persönlicher Verfassung gezogen werden sollte, müsste selbstverständlich Thema in einem breitest-möglich geführten Diskurs sein. Ebenso, welche Kriterien und Umstände erfüllt sein müssen für die Gewährung von aktiver Sterbehilfe (es geht mir wirklich "nur" um den Fall einer freien persönlichen Entscheidung). Solange das Tabuthema jedoch noch behandelt wird wie die bildhafte Schilderung von Hämorridenproblemen auf einer Stehparty, wird sich wenig ändern.

Aufnahmen aus der Kirche Katapoliani in Poros-Stadt (Außenaufnahmen: oben, 2. Reihe Mitte). Der Kern der Kirche wurde im 4. Jahrhundert erbaut und der Kirchenraum bietet mit seinen Fresken und Steinbildern einen überwältigenden Eindruck. Wie wir anlässlich einer prächtigen Hochzeitsfeier, zu der wir zufällig stießen, feststellen konnten, hat die Kirche auch eine wunderschöne Akustik.