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Warum die Kirche das Zentrum des Dorfes sein musste: Bindeglied zwischen HerrgottsWinkel und Himmel. Zum   religionsgeschichtlich-wissenschaftlichen Hintergrund ein Text>

Aus: "Vom Wesen des Religiösen" von Mircea Eliade

Unsere Welt liegt immer im Zentrum

Zitiert sind Passagen des OriginalTextes, denen ich mein Essay "Weg & Ziel" anfüge.

Der Ruf des Kwakiutl-Neophyten (Neu-Getauften): "Ich bin im Zentrum der Welt", enthüllt eine der tiefsten Bedeutungen des heiligen Raums. Wo eine Hierophanie (Hierro > Nullmeridian) zur Durchbrechung der Ebenenen geführt hat, ist zugleich eine "Öffnung" nach oben (in die göttliche Welt) oder nach unten (zu den unteren Regionen, der Welt der Toten) entstanden. Die drei kosmischen Ebenen - Erde, Himmel, untere Region - sind miteinander in Verbindung gesetzt. Die Verbindung wird manchmal durch das Bild einer Weltsäule (axis mundi) ausgedrückt, die Himmel und Erde trägt und verbindet und deren Basis in der unteren Welt verankert ist. Diese kosmische Säule kann nur im Zentrum des Universums stehen, denn die ganze bewohnbare Welt erstreckt sich um sie herum. ........

....... Aus all dem geht hervor, daß die "wahre Welt" immer in der Mitte, im Zentrum liegt; denn nur dort gibt es eine Durchbrechung der Ebenen und damit eine Verbindung zwischen den drei kosmischen Zonen. Es handelt sich immer um einen vollständigen Kosmos, wie groß oder klein er auch sein mag. Ein ganzes Land (Palästina), eine Stadt (Jerusalem), ein Heiligtum (der Tempel von Jerusalem) - sie alle sind in gleicher Weise eine imago mundi. Flavius Josephus schrieb über den Symbolismus des Tempels, daß der Hof das "Meer" darstelle (das heisst, die unteren Regionen), das Sanktuarium die Erde, und das Allerheiligste den Himmel. Wie man sieht, treten sowohl die imago mundi als auch das "Zentrum" innerhalb der bewohnten Welt in Wiederholungen auf. Palästina, Jerusalem und der Tempel repräsentieren jedes für sich und simultan das Bild des Universums und das Zentrum der Welt. Diese Vielheit von "Zentren" und diese Wiederholung des Bildes der Welt in immer bescheidenerem MaßStab ist ein besonderes Kennzeichen der traditionsgebundenen Gesellschaften.

Daraus müssen wir folgern: der Mensch der vormodernen Gesellschaften will so nahe wie möglich am Zentrum der Welt leben. Er weiß, daß sein Land wirklich in der Mitte der Erde liegt, daß seine Stadt den Nabel des Universums bildet, und vor allem, daß der Tempel oder der Palast wahre Zentren der Welt sind; aber er will darüber hinaus, daß sein eigenes Haus im Zentrum liege und eine imago mundi sei - ein migroskopisches Abbild des Universums. Mit anderen Worten: Der Mesch der traditionsgebundenen Gesellschaften konnte nur leben in einem Raum, der nach oben "offen" war, in dem die Durchbrechung der Ebenen durch Symbole gesichert und der Kontakt mit der anderen, der transzendentalen Welt möglich war. Freilich war das Heiligtum - das "Zentrum" par excellence - ganz nah, in seiner Stadt, und er brauchte nur den Tempel zu betreten, um mit der Welt der Götter zu kommunizieren, aber der homo religiosus hatte das Bedürfnis, immer im Zentrum zu leben, wie die Achilpa, die stets den heiligen Pfahl, die axis mundi (s.o.), mit sich führten, um sich nicht vom Zentrum zu entfernen und mit der überirdischen Welt verbunden zu bleiben. Kurz, welcher Größenordnung sein vertrauter Raum auch angehört - sein Land, seine Stadt, sein Dorf, sein Haus - , der Mensch der traditionsgebundenen Gesellschaften hat das Bedürfnis, ständig in einer ganzen, geordneten Welt, in einem Kosmos zu leben.

Quelle: Mircea Eliade "Das Heilige und das Profane - Vom Wesen des Religiösen" Insel Taschenbuch (DM 14.80) ISBN 3-458-33942-6